Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten in der Nacht 2016

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24.12.2016 - Kleiner Michel Hamburg

1. Unruhe

  • Dies ist eine besondere Nacht. Selbst vielen Menschen, die gar nicht mehr darum wissen, was und warum wir feiern, ist dies eine besondere Nacht. Uns ist sie eine heilige Nacht, denn durch die Feier heute wird für uns das Geheimnis gegenwärtig und erfahrbar: Im Stall von Betlehem wird ein Kind geboren, das diese Welt verändert, weil Gott in ihm ist, Gottes und Marien Sohn, Jesus, "der Retter, der Messias, der Herr".
  • Eine heilige Nacht auf Erden, aber keine stille. Jemen steht nach fast zwei Jahren Krieg vor einer Hungersnot; Millionen Menschen sind betroffen, vor allem Kinder. Im Norden Nigerias ist weiter Krieg. Auf den Philippinen haben staatlich bestallte Killerkommandos die Rolle der Gerichte übernommen und der Präsident des Landes rühmt sich, ein solcher Mörder zu sein. In Syrien werden Aleppo und andere Städte in Schutt und Asche gebombt. In Indien macht ein Tropensturm Zehntausende obdachlos. Weltweit sind Millionen Menschen vor Gewalt, Armut, Krieg und Unterdrückung auf der Flucht. Und wir wissen darum. Auch bei uns ist Unruhe und bei vielen Angst vor der Zukunft. Der Lastwagen, der in Berlin in die Mitte eines Weihnachtsmarktes fährt, hat diese Angst nicht geringer gemacht.
  • Keine stille Nacht. Und doch. Irgendwie kann diese Nacht die Unruhe unterbrechen. Der Sturm kommt nicht zum erliegen, die Unruhe bleibt. Und doch wird für einen Moment spürbar, dass da etwas Stärkeres ist.
    Wie es eben manchmal passiert, dass der laute Streit der Eltern unterbrochen wird, wenn das fünfjährige Kind mit großen Augen im Schlafanzug in der Türe steht, und schlagartig klar wird, wie belanglos der Streit ist. Wie es dann doch manchmal passiert, dass einer der Sterne das ewige Kreisen durchbricht und stehen bleibt über einem Stall auf dem Feld, irgendwo in der Provinz, nur weil dort in dieser Nacht ein Kind geboren wird.

2. Gegenwart

  • Stille Nacht damals in Betlehem. Das Evangelium spricht gar nicht davon. Dort ist von unruhigen Zeiten die Rede. Zum Geheimnis dieser Nacht gehört daher: Durch die Fülle der Ereignisse hindurch ist etwas stärker, das unendlich zerbrechlich und zart, aber doch ganz real ist.
  • Mitten im Sturm dieser Welt ist Gott gegenwärtig. Die stille Nacht ist nicht die Stille der Weltereignisse. Zu allen Zeiten haben Kriege getobt, auch über Weihnachten. Die Stille dieser Nacht ist inmitten dieses Sturmes. Gott kommt in die Unruhe dieser Welt hinein und schafft dadurch eine Ruhe, die den Atem anhalten lässt.
  • Es kommt also nicht darauf an, dass wir die reale Welt ausblenden und ignorieren, um diese Nacht zu feiern. Im Gegenteil werden wir die Heilige, und darin auf ganz eigene Weise Stille Nacht dann und nur dann erfahren, wenn wir uns ganz nahe an den Gott wagen, der nicht fern der Ereignisse unserer Menschengeschichte, sondern mitten darin geboren wird.

3. Unterscheidung

  • Wie eigentümlich das doch ist: Die Welt voll Unruhe. Quirinius, der syrische Statthalter des fernen Zaren zwingt die Menschen durch sein Edikt, ihre Heimat zu verlassen. In der Herberge ist kein Platz für die Armen und bald schon wird dem neu geborenen Kind von einem machtversessenen König nach dem Leben getrachtet. Mitten in diesen Sturm der Ereignisse ist die Stille des Stalls, in dem Gott als Kind geboren wird. Mitten in der Unruhe kann Gott jedem Menschen, in dessen Herzen Gott geistlich geboren wird, eine unglaublich kraftvolle, tragende Ruhe schenken. Menschen haben mitten im Sturm gebetet und Gottes Stille dort trotz allem gefunden.
  • Doch eigentümlich: Gerade dort, wo ich dieses Gottes gewahr werde, werde ich eine andere Unruhe erfahren. Wer sich in die Nachfolge dieses Kindes begibt, kann sich nicht mehr ins private Idyll zurückziehen, als ginge ihn all das nicht an. Wenn Gott wirklich unter uns geboren wird, dann wird das Herz unruhig und lässt sich berühren von der Not der Welt. Es erstarrt nicht in Angst und greift nicht zur vermeintlichen Sicherheit einer vorurteilsgeladenen Propaganda, die doch nur immer zu Lasten der Armen und Notleidenden geht (Donald Trump macht es gerade vor). Nein, Gott, der Ruhe in der Unruhe der Weltereignisse schenkt, ruft das Herz zur Unruhe der Barmherzigkeit.
  • In seinen Regeln zur Unterscheidung der Geister hat Ignatius von Loyola das beschrieben. Dort, und nur dort, wo sie uns dazu führt, falsche Sicherheiten aufzugeben und Irrwege zu verlassen, ist die Unruhe des Herzens von Gottes gutem Geist gewirkt. Und zugleich: Dort und nur dort, wo die Ruhe des Herzens Kraft gibt zum Guten, dort ist sie in Wahrheit ein Geschenk Gottes. Dort, und nur dort, wo die Stille dieser Heiligen Nacht uns wachsen lässt in Glaube, Hoffnung und Liebe, dort ist es die Weihnacht Gottes. Dort wird Gott unter uns geboren. Amen.