Predigt zur Taufe: Gott ist Person (Dtn 18)
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29. Januar 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Die Faszination der Beherrschbarkeit
- Trotz aller Unschärferelationen hält sich ein Grundgefühl der Neuzeit, das sagt: Die Natur ist berechenbar. Lediglich in der Praxis ist das komplizierter. Selbst Technik funktioniert nicht immer so,
wie es berechnet wurde. Zudem ist das Versprechen der Beherrschbarkeit der Natur
mindestens so sehr Albtraum wie Traum. Dennoch prägt unsere Kultur die Erwartung, dass
die Dinge berechenbar und beherrschbar sind. Wir müssten uns nur mehr anstrengen.
- Die Berechenbarkeit der Natur mag ein Traum der Neuzeit sein. Der Versuch, die
"höheren" Mächte zu beherrschen, ist wohl so alt wie die Menschheit. Die Wissenschaften
der alten Kulturen waren die Wahrsagerei, die Astrologie und all die anderen magischen
Techniken in denen der Mensch "Losorakel befragt, Wolken deutet, aus dem Becher
weissagt, zaubert, Gebetsbeschwörungen hersagt oder Totengeister befragt".
Diese Liste stammt aus dem Buch Deuteronomium, dem fünften Buch der Bibel. Und dort
wird all das als "Gräuel", Grauenerregendes (hebräisch: to'ba), bezeichnet, denn diese
Techniken der Weltbeherrschung gingen mit der Bereitschaft einher, Menschenleben dafür
zu opfern, worauf die Formulierung, "der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer
gehen lässt" verweist.
- Es würde lohnen, unsere moderne Technik der Weltbeherrschung daraufhin zu befragen,
bis zu welchem Punkt auch sie ihre Kinder "durchs Feuer gehen lässt". Für den so
genannten Fortschritt wurde ein hoher Preis an Menschenleben bezahlt. Doch zugleich,
trotz allem Fortschritt und trotz aller Aufklärung, ist die Faszination der verschiedenen
Formen von Wahrsagerei und Astrologie keineswegs verschwunden - vielleicht, weil der
alten Astrologie und der modernen Technik letztlich dieselbe Idee zugrunde liegt, dass die
Welt und ihre Elementarmächte beherrschbar seien.
2. Die Weise Gott zu begegnen
- Die Bibel hat keine prinzipiellen Einwände gegen die Technik. So lange klar ist, dass der
Bereich dessen, was wir Menschen gestalten, Schöpfung ist, und wir uns als Mitgeschöpfe
sehen, die dem Schöpfer von allem verantwortlich sind, braucht der Glaube keinen
Fortschritt zu scheuen. Gerade dort aber, wo es um den Preis von Menschenleben geht,
wird uns die Schrift daran erinnern, dass all das, was wir berechnen und gestalten können,
nicht das letzte Heil und nicht göttliche Wirklichkeit ist, sondern "nur" Schöpfung, die
geworden ist, weil Gott sein Wort gesprochen hat.
- Gott selbst aber entzieht sich jeder Berechnung. Und weil Gottes Wille nicht berechenbar
ist, lehnt die Bibel Wahrsagerei, Astrologie und Totenbeschwörung so radikal ab, weil
dahinter der Versuch lauert, das Göttliche in das Korsett der Berechenbarkeit zu spannen.
Hier aber wird uns gesagt: "Du sollst ganz und gar bei dem HERRN JHWH, deinem Gott,
bleiben." Dem Volk Israel sagt Gott durch Mose, seinen Propheten angesichts all der
militärisch erfolgreichen Stadtkulturen seiner Zeit: Sie "hören auf Wolkendeuter und
Orakelleser. Für dich aber hat der HERR JHWH, dein Gott, es anders bestimmt."
- Gott will sich zu erkennen geben. Gott tritt mit uns Menschen in Beziehung. Aber keine
Orakeltechnik und kein Beschwörungsritual kann ihn zwingen. Wir können uns Gottes
nicht bemächtigen - zu unserem Glück. Die Weise, wie Gott uns begegnet und wie wir ihm
begegnen können, ist das Wort und die Begegnung von Person zu Person. Die biblischen
Propheten sind deswegen keine Orakeldeuter, sondern sprechen im Gebet mit Gott. Die
heutige Lesung aus dem Alten Testament stellt uns Mose als einen Propheten des wahren
Gottes vor. Ihn hat Gott berufen und ermächtigt. Zugleich aber klingt in der Lesung die
Verheißung an, die wir in Christus erfüllt sehen: "Einen Propheten wie mich wird dir der
Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Geschwistern, erstehen lassen." So will
Gott uns begegnen.
3. Die rechte Weise zu beten
- Der Schlüssel liegt darin, wie wir beten. Wenn wir die Heilige Schrift ernst nehmen, wird
Beten zu einem Risiko: Wir lassen uns darin auf einen Gott ein, von dem wir wissen und
bekennen, dass wir ihn nicht unter Kontrolle haben. Das Gebet "Dein Wille geschehe"
beinhaltet das Risiko des Vertrauens darauf, dass Gottes Wille gut ist.
- Es gibt auch im Christentum, gerade unter Katholiken, immer wieder die Versuchung,
solch riskantes Beten zu vermeiden. Das rituelle Beten in festen Texten und in der Feier
der Gottesdienste wird darin umgedeutet: Statt der Raum zu sein, den wir betreten um uns
Gott anzuvertrauen, werden in dieser Afterform feste Gebete und Rituale zu dem Versuch,
Gott unseren Willen aufzuzwingen: Gott müsse doch dieses oder jenes tun, wenn wir nur
in "rechter" Weise diese oder jene Gebet sprechen. Nicht selten kommt so eine Haltung als
besonders fromm daher. Über solche falsche Propheten sagt das Buch Deuteronomium nur:
"Du sollst dich dadurch nicht aus der Fassung bringen lassen."
- Das Gebet, zu dem uns die Bibel hinführt, kommt aus der Grundhaltung des Vertrauens.
In dem Maße, in dem Gottes Heiliger Geist in uns Raum gewinnt, wird unser Glaube an
Gott in dieses Vertrauen führen. In dem Maße wird es auch uns und unsere Kultur heilen
von der Versuchung, alles um jeden Preis beherrschen, machen und kontrollieren zu
wollen. Das Risiko des Vertrauens ist groß. Gott selbst geht es ein. Das Kreuz markiert das
Risiko - und zugleich den Grund, warum wir dennoch vertrauen. Amen.