Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Karfreitag 201

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7. April 2023 - St. Georg, Sinzig-Löhndorf

 

An manchen Tagen spüre ich es besonders stark, dass alles seinem Ende entgegengeht. (…) Wenn man jetzt an einem sonnigen Morgen durch die Straßen geht und sich die Menschen ansieht, ihr großes Leid in ihren Augen erblickt, ihre Unwissenheit und ihr Suchen nach dem Höchsten in ihren Gebärden und ihren Gesichtern entdeckt, so kann man nichts Anderes tun als sie zu lieben und man vergisst - muss sogar vergessen - dass sie so oft nicht richtig handeln.
Cato Bontjes van Beek (1920-1943) am 4. März 1940 in einem Brief an ihre Freundin Lolo nachdem sie Nachrichten über die Ghettos und Lager der Deutschen für Juden in Polen bekommen hat.
Hermann Vinke, Cato Bontjes van Beek: „Leben will ich, leben, leben.“ Die junge Frau, die gegen die Nazis kämpfte und ihr Leben ließ. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2020, S.56-57.

1. Weg

  • "Er selbst trug das Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelstätte". Mehr berichtet das Johannesevangelium nicht.
  • Sonst bewahrt es viele Details. Hier jedoch nur das eine:  Jesus, selbst das Kreuz tragend, auf dem Weg hinaus aus der Stadt der Lebenden. "Schädelstätte", "Gólgota", heißt der Steinbruch vor der Stadt, wohin sie ihn führen.
  • Mit ihm auf diesem Weg die Soldaten die ihn zwingen. Viele Menschen, die zufällig da sind, oder aber Menschen, die gekommen sind, um ihn zu sehen. Und Jesus sieht am Rand ganz wenige, die er kannte: Die drei Maria und der Jünger, den er liebte.

2. Einwohner

  • Jesus sieht die Menschen am Rand nur mühsam. Der Kreuzesbalken liegt schwer auf ihm. Er sieht feindselige Gesichter: Menschen aus der Hauptstadt von Jerusalem.
  • Sie haben ihre Ordnung. Sie haben ihren Kaiser. Diesen König aus Galiläa brauchen sie nicht. Er bringt Unruhe. Er erinnert sie unangenehm an Gottes Königsherrschaft. "Hinweg, hinweg, kreuzige ihn!", hatten sie gerufen. Sie wollen, dass er weg ist. Alles werde so, wie es früher doch so schön war, meinen sie, wenn nur diese Fremden weg sind, dieser Fremde. Er ist ihnen fremd, wie ihnen Gott fremd geworden ist.
  • Jesus trägt sein Kreuz und sieht ihre Augen, die nicht mehr suchend fragen, weil sie meinen zu wissen.

3. Pilger

  • Da sind aber auch die Peschach-Pilger aus allen Teilen Israels. "Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!" Sie hatten ihn begrüßt. Sie hatten auf Jesus gehofft. Sie waren nicht in Jerusalem zuhause. Sie mussten sich auf den Weg machen zum Fest. Sie hatten in diesem Mann aus Nazareth die Herrlichkeit des Höchsten gesehen.
  • Jetzt schaut er sie an. Jesus trägt sein Kreuz und sieht verunsicherte Menschen, hoffend und doch ängstlich. Menschen die ihn ansehen und doch wegschauen wollen. Menschen, die ahnen, dass ihr Leben mit seinem Tod verknüpft ist.
  • Jesus sieht diese Menschen und trägt sein Kreuz. Leicht wäre es, über sie zu urteilen. Sie zu verurteilen. Die einen wie die anderen – schuldig geworden, ist ihre Wahrheit.
    Doch die Wahrheit, für die Jesus in die Welt gekommen ist und für die er das Kreuz auf seine Schultern genommen hat, ist eine andere. Es ist die Wahrheit, die jetzt in seinem Blick ist: Er schaut die Menschen am Rand – uns am Rand – mit Liebe an. Nicht verurteilend, sondern einladend: Einladend, ihn zu sehen und selbst neu zu leben.