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11. Februar 2024 - St. Peter, Sinzig
1. Priester, Arzt und Jurist
"Zeige dich dem Priester!". Der von seinem Aussatz Geheilte wird von Jesus zu den Priestern gesandt, weil diese dafür zuständig waren, ansteckende Krankheiten zu diagnostizieren. Denn es geht um eine Krankheit, die ansteckend ist – und damit hat sie Bedeutung für das Zusammenleben. Daher ist Medizin hier keine Privatsache. Es geht alle an. Die etwas längere Lesung aus dem Buch Levitikus im Alten Testament war nur ein kleinerer Teil dessen, was dort an Regeln für die Diagnose ansteckender Hautkrankheit – es war wohl nicht nur Lepra – steht; wir haben kann ein Drittel des betreffenden Kapitels gehört.
Wir sind es drei Jahrtausende später gewohnt, dass Priester, Arzt und Jurist drei verschiedene Berufe und Fächer sind: Es fällt daher schwer, sich in eine Zeit zurückzudenken, in der dies anders war. Dabei ist uns klar: Die Zeiten haben sich geändert. Für Christen und Juden ist die Bibel wichtig. Es ist Wort Gottes, weil Gott durch diese Schriften zu uns spricht, die Menschen im Verlauf eines Jahrtausends aufgeschrieben haben. Aber wir wissen: Gerade die Entstehungsgeschichte der Bibel macht deutlich, dass die Zeiten sich verändern. Die Bibel macht deutlich: Volk Gottes zu sein, bedeutet sich verändern und zugleich diesem Gott treu zu sein, der mit uns geht.
Das Anliegen der biblischen Gesetzgebung bleibt wichtig. Gerechtigkeit und Schutz für die Gemeinschaft, aber besonders die Armen. Doch die konkreten Gesetze und Regeln haben sich überholt. Hautkrankheiten überlassen wir den Medizinern, Hygienegesetze den Juristen.
[Für Muslime, denen zumeist der Koran als unmittelbar von Gott mitgeteilter Text gilt, ist es weitaus schwerer, diesen Schritt zu gehen. Im Islam ist grundlegend: Das Wort ist Buch geworden! Entsprechend gibt es in einigen sogenannten islamischen Ländern den Versuch, den Rechtsvorschriften des Koran unmittelbare Geltung zu verschaffen.]
2. Recht und Gerechtigkeit
Wir trennen in modernen Gesellschaften Recht und Religion. Das ist eine wichtige Grundlage für den Frieden. Das ist ein hoher Wert – wie uns alle Zeiten lehren, denen das nicht gelingt. Wo der Rechtsstaat nicht mehr wertgeschätzt wird und stattdessen Willkür oder angemaßter Volkswille ihn unterlaufen, ist es um die Menschen meist schlechter bestellt.
Und dennoch hat das Recht nicht einfach nichts mit Gott zu tun. Wir mögen es zwar nicht immer so nennen. Aber es gibt nach unserer Verfassung, dem Grundgesetz, grundlegende Rechte, die dem Zugriff des Gesetzgebers entzogen sind. Gerade augenblicklich wird darüber diskutiert, wie diese grundlegenden Rechte, die Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung geschützt werden können, wenn sie nicht mehr selbstverständlich sind. Denn dem Grundgesetz sind sie "heilig", also unantastbar und der Vollmacht der Menschen entzogen.
Wir mögen uns über einzelne Gesetze – oder viel zu viele Gesetze – ärgern. Wir sollten aber das Gespür dafür nicht verlieren, dass Recht und Gesetz etwas sehr, sehr wertvolles ist – und dennoch nicht das Höchste. Über dem Recht steht immer der Maßstab der höheren Gerechtigkeit. Über der Legalität die Legitimität. Doch darf man das nur mit äußerster Vorsicht sagen. Denn wie leicht wird Gottes Namen missbraucht; wie leicht Gott für etwas in Anspruch genommen, was so gar nicht Gottes' ist! Deswegen ist es die schwierigste Gewissensentscheidung, wann es geboten ist, das hohe Gut des Rechts im Namen der Gerechtigkeit infrage zu stellen.
3. Recht und Barmherzigkeit
Unser Gesundheits-Recht lesen wir nicht mehr an der Bibel ab. Alles andere wäre nicht nur unverantwortlich. Es wäre m.E. auch Blasphemie, weil es Gott für etwas missbraucht. Die biblischen Reinheitsgebote sind nicht zeitlos, sondern zeitbedingt.
Dennoch gibt es etwas, das wir aus dem Umgang Jesu mit den Reinheitsgeboten des mosaischen Gesetzes lernen können. Jesus respektiert dieses, denn er weist den Mann, den er geheilt hat, ausdrücklich an, sich der Priester-Gesundheitsbehörde zu zeigen. Doch zuvor hat er ihn geheilt!
Dieses Wunder – wie so viele Wunder Jesu – sind Zeichen dafür, wozu wir berufen sind. Wir können uns nicht dabei ausruhen, dass es irgendwie Gesetze und Regelungen gibt. Kein Gesetz kann in jedem Einzelfall Gerechtigkeit schaffen. Gesetze müssen notwendig allgemein sein, für alle Fälle gelten. Gerade deswegen gibt es immer Fälle, wo Menschen wach sehen, wo sie berufen sind, den einzelnen Menschen zu sehen. In einer Welt, in der wir das Recht, heiliges Recht!, brauchen, um das Zusammenleben zu schützen, brauchen wir immer auch Menschen, die Barmherzigkeit üben: Jene Fähigkeit, auch die zu sehen, die durch das Raster fallen. Ihnen zu helfen ist eben auch göttlich, göttliche Barmherzigkeit.