Predigt zum Fest der Seligen Teresa von Kalkutta (Mutter Teresa)
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5. September 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Gott dürstet dürstet
- "Gott erschien Abraham bei den Eichen von Mamre." Mit diesem Satz leitet das Buch Genesis
im 18. Kapitel eine überraschende Erzählung ein. "Gott erscheint...", nach diesen ersten Worten
würde man erwarten, dass berichtet wird wie Gott in der Feuersäule oder im Dornbusch
erscheint, dass er sein Volk mit machtvollem Arm durch die Fluten des Meeres führt, Kranke
heilt, Brote vermehrt, Wasser aus dem Felsen quellen lässt, oder was sonst wir als Erscheinung
Gottes in einer biblischen Erzählung erwarten würden.
- Nichts von dem geschieht bei den Eichen von Mamre. Vielmehr hat dort, an den Eichen,
Abraham sein Zelt aufgeschlagen und döst zur Zeit der größten Mittagshitze am Zelteingang.
Gott erscheint - Abraham blickt auf und sieht drei Wanderer, müde, hungrig und durstig in der
Mittagshitze. Orientalisch-weitschweifig bietet Abraham ihnen Gastfreundschaft an, und die
drei Wanderer nehmen sie an: "Tu, wie du gesagt hast!" Die christliche Tradition hat in dieser
merkwürdigen Begebenheit, dass Gott erscheint, indem drei Wanderer die Gastfreundschaft des
Abraham annehmen, ein Symbol für den dreifaltigen Gott gesehen. Wie die drei durstigen
Wanderer kommt Gott und nimmt die Gastfreundschaft an.
- Der Durst Gottes, welch erstaunliches Thema. Und doch begegnet es uns wieder im Neuen
Testament. Eine der wichtigsten Offenbarungserzählungen des Johannesevangeliums spielt
ebenfalls zur Zeit der Mittagshitze. Jesus wird sich dort als "größer als Jakob", als "Prophet",
als der "Messias" und als "Retter der Welt" offenbaren. All das aber beginnt damit, dass Jesus
durstig ist und die Frau aus Samarien bittet: "Gib mir zu trinken!".
2. Der dreifaltige Gott
- So ist die grundlegende Erfahrung der Frau, die die Welt als Mutter Teresa kennen lernen
sollte, zutiefst in der Heiligen Schrift verankert. Jesus zeigt sich ihr als der Leidende am Kreuz,
der ihr dies sagt: "Mich dürstet". So offenbart sich Gott. Und so beruft Gott zugleich die
albanische Ordensfrau Anjezë Gonxhe Bojaxhiu, in der wir heute, zehn Jahre nach ihrem Tod, das
Erscheinen von Gottes gnadenvollem Wirken in der seligen Teresa von Kalkutta feiern dürfen.
- In dem "Mich dürstet!" offenbart Gott sein inneres Wesen. Es ist dem Allmächtigen, Schöpfer
des Himmels und der Erde, zu eigen Dürstender zu sein. Dieses Geheimnis umschreibt die
Rede vom Dreifaltigen Gott. In sich ist Gott Sohn und Vater, dürstend und schenkend, gebend
und empfangend, in allem lebend aus der Liebe, denn "Gott ist Liebe".
- Daher bezeugt auch die Heilige Schrift Gott nicht einfach als allgewaltig, machtvoll wirkend.
Vielmehr ist in der ganzen Geschichte des Heils Gott gegenwärtig als einer, der Liebe schenkt,
indem er empfänglich ist für Liebe, ja dürstend nach der Liebe seines Volkes. Die Schrift
bezeugt uns, dass Gott uns Menschen hinein nehmen möchte in diese Bewegung der Liebe.
Deswegen erscheint Gott an den Eichen von Mamre als die drei dürstendenden Wanderer,
deswegen kann Jesus gegen alle Konvention als Jude und Mann der samaritischen Frau seinen
Durst offenbaren. Deswegen ist es der unbegreiflich liebende Gott der geschlagen und
geschunden vom Kreuz herab spricht: "Mich dürstet".
3. Berufen zu lieben
- Diese Begegnung führte die selige Teresa von Kalkutta unmittelbar zum Dienst an den
Ärmsten. Sie erfährt, dass dies die Antwort auf Gottes Durst nach unserer Liebe ist, zu der er
sie und ihre Mitschwestern berufen hat. Sie erfahren seine göttliche Gegenwart und seinen
Segen dort, wo sie dem dürstenden Mitmenschen einen Schluck frischen Wassers geben.
Dieses schlichte Geben ist es, von dem Jesus dem Menschen verheißen hat, dass das Wasser,
das er ihm gibt " in ihm zur sprudelnden Quelle wird, deren Wasser ewiges Leben schenkt."
- Von manchen wurde das Werk von Mutter Teresa kritisiert, weil sie nicht effektiv genug sei.
Was helfe es, so wurde gefragt, die elend am Straßenrand Sterbenden ein paar Stunden zu
pflegen, statt die Ursache ihres Elends effektiv zu bekämpfen. Diese Kritik ist durchaus ernst
zu nehmen; wenn es in der Kirche die Berufung nicht gäbe, in der Gesellschaft die Ursachen
der Armut zu bekämpfen, würde der Kirche Christi etwas fehlen. Aber die Berufung der
Schwestern der Barmherzigkeit bewahrt die Kirche vor etwas anderem: Denn Stückwerk bleibt
auch die beste Sozialpolitik und Stückwerk bleibt alle Caritas, wenn ihr die Liebe fehlt. "Wenn
ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich
alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre
ich nichts." Gerade in der Neuzeit, die so gläubig ist an Programme und Strukturen, wollte Gott
Christen berufen, seine Liebe tiefer zu verstehen. Der schlichte Schluck Wasser, der gereicht
wird ohne nach Programmen und Strukturen zu fragen, offenbart die Sehnsucht, die Gott
erfüllt, nach einer Welt, die seine Liebe beantwortet.
- Deswegen haben wir uns auf dieses Fest vorbereitet in Stunden der
Anbetung der Gegenwart
Gottes im Heiligen Sakrament. In der Gestalt des Brotes ist Christus in
seiner Kirche gegenwärtig als einer, der sich schenkt in seinem Leib. In
den Armen ist er gegenwärtig, als der Gott, den
dürstet in der Mittagshitze. Uns beruft er, seinen Durst zu sehen, auf
seine Bitte zu antworten
und darin die Fülle des lebendigen Wassers zu finden, das Leben schenkt.
Amen.