Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2023 (1. Petrusbrief)

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30. April 2023 - St. Peter, Sinzig

1. Gnadensack

  • Gnade gehört zu den Wörtern, die wir in der Kirche immer wieder hören und verwenden – und dann ungehört und unverwandt wieder vergessen. Diese Wörter mögen richtig ein. Aber sie sagen mir meist nichts. Vom "gnädigen Herrn" und der "gnädigen Frau" spricht zum Glück niemand mehr. "Gnadenerlasse des Präsidenten" klingen arg von oben herab - und die Gnade Gottes klingt für viele deswegen vielleicht auch.
  • Dabei ist Gnade für unseren Glauben doch ein so ungemein wichtiges Wort. Ich wüsste nicht, wodurch man es ersetzen sollte. – Nehmen Sie alles zusammen, was die Heilige Schrift über die Gegenwart Gottes schreibt und was Erfahrung von Menschen mit Gott ist, packen sie es in einen großen Sack und schreiben „Gnade“ drauf! So falsch wäre das nicht. Gnade ist irgendwie all das, was mich mit Gott verbindet – womit sich Gott mit mir verbindet.
  • Allerdings stellt sich dann die Frage, ob ich den Sack haben will. Denn ist alles angenehm und erfreulich, was Gott mir gibt? Wie fühlt sich die Gnade an, wenn ich nicht auf der Sonnenseite des Lebens bin? Wenn Gott Krankheit und Alter, Einsamkeit oder Verlust auferlegt. Wenn Sack der Gnade alles umfasst, was ich von Gott erfahre – ist nicht auch das dann mit dabei?
    Dekorativ in der Kirche, sonntags aus der Distanz betrachtet, mag Gnade erbaulich sein. Aber will ich Gottes Gnade? Oder gar: Habe ich Sehnsucht nach ihr? Würde ich beten und bitten und rufen: Gott, schenke mir deine Gnade? Auch wenn ich nicht weiß, was alles in dem Sack drin ist?

2. Unrechtes Leiden

  • Im Abschnitt aus dem ersten Petrusbrief heute kam das Wort "Gnade" vor. Petrus schreibt an Christen, die die Menschen und ihre Wirtschafts-Systeme an das untere Ende gestellt haben: An Sklaven. Petrus lässt keinen Zweifel daran, dass das wenig schön ist, der Willkür der irdischen Herren ausgeliefert zu sein. Doch weder Petrus noch die Sklaven haben – in der Situation damals – eine Chance gehabt, etwas daran zu ändern.
  • Genau diesen Christen schreibt er: "Wenn ihr recht handelt und trotzdem Leiden erduldet, das ist eine Gnade in den Augen Gottes." Wir haben uns nicht verhört: Unrecht Leiden kann für Christen "Gnade" sein.
  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass damit gemeint ist, Gott fände Leiden gut, zumal wenn es zu Unrecht erlitten wird (und selbst wenn Leiden nach menschlichen Maßstäben zu Recht wäre, ist Gottes Barmherzigkeit größer, als wir uns das vorstellen). Leiden ist Leiden und Unrecht ist Unrecht. Das gilt für das Leiden eines jeden Menschen. Doch unter bestimmten Umständen auch "Gnade in den Augen Gottes." Ja sogar: gerade in den Augen Gottes! Das gilt offenbar für Christen. Das gilt sogar für Jesus Christus! Sein Kreuz war, ist und bleibt Unrecht, sein Leiden ungerecht!

3. Ostern

  • Der Schlüssel ist: Ostern verwandelt das Unrecht in Gnade. Unrecht bleibt Unrecht. Aber es behält nicht das letzte Wort. Das, was die Täter des Unrechts wollen, wird machtlos. Es verfehlt sozusagen das Ziel der Ungerechten, wenn Christus das Kreuz, das sie ihm gezimmert haben, auf sich nimmt.
  • "Gnade in den Augen Gottes" bedeutet dann: Wenn ich das Unrecht erleide und mich dadurch nicht davon abbringen lasse, Gott zu vertrauen, dann ist das Gnade. Es wird zu Gottes Stärke in mir. Deswegen ist dieser Satz keine Begründung dafür, Unrecht gut zu finden. Es ist keine Begründung dafür, Unrecht zuzulassen.
    Es ist einzig und allein die österliche Antwort auf Unrecht, das erlitten wird. Die Antwort heißt: Selbst, wenn ich dich nicht verhindern kann: Ich lasse dich nicht gewinnen! Denn Gott ist stärker. Gott ist sogar stärker als der Tod. Auf Gottes Treue kann ich bauen. Das ist es, was Jesus uns zeigt. Das ist die Botschaft der Auferstehung.
  • Wenn ich meinen Sack öffne, auf dem Gnade steht, werde ich darin überraschend viel Bekanntes finden. Ich finde unglaublich viel Gutes und Schönes, das mir geschenkt ist. Ich finde darin die Stationen meines Lebens, an denen ich berufen wurde, diesen Schritt zu gehen, für jene Menschen da zu sein, dieser Aufgabe nicht auszuweichen. Ich bin dankbar, dass ich in dem Sack, der Gnade heißt, kein solches schreiendes Unrecht finde, wie andere Menschen es erdulden müssen. Vielleicht wird da noch etwas kommen, vor allem das Leiden von Krankheit und Alter. Auch das ist in der Gnade, wenn ich es verwandeln lasse. Es verbindet mich mit Christus, so hoffe und bete ich. In den Augen Gottes ist auch das Gnade.