Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 33. Sonntag im Lesejahr B 2015 (Daniel - Attentate von Paris)

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15. November 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Das letzte Wort

  • Das letzte Wort liegt bei Gott. So wie Gott das erste Wort gesprochen hat. Und wie das erste Wort, so ist auch das von Gott kommende letzte Wort über die Schöpfung ein Wort des Lebens. "Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen."
  • In diesen Tagen zum Ende des Kirchenjahres hin, nehmen die biblischen Lesungen diese Welt in den Blick und das, worauf sie hinläuft. Mehr als wir heute, weiß die Bibel von der "großen Not", von Zeiten der Unsicherheit und Angst; "Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden".
  • Die Bibel vergisst aber auch nicht die Menschen, die Unheil über andere Menschen bringen. Ihnen wird gesagt, dass nicht sie das letzte Wort behalten werden. Nicht die, die zur Gewalt greifen, nicht die, die das Recht zu ihrer Gunsten gebeugt haben, nicht die, die versuchen die Welt so zu ordnen, dass sie selbst auf der Sonnenseite des Lebens bleiben dürfen, während die anderen an der Peripherie den Preis zahlen müssen. All denen sei gesagt: Sie werden nicht das letzte Wort haben, mögen sie sich auch durch auch mit Gewalttat und angemaßter Macht berauschen.

2. Gericht Gottes

  • Im Buch Daniel aus dem Alten Testament findet Jesus die Sprache und die Bilder, vom Ende zu reden. In diesem Buch, das damals etwa einhundertfünfzig Jahre alt war, spiegelt sich die Erschütterung über die Erfahrung grenzenloser Machtherrschaft und hemmungsloser Gewalt wider.
  • Aber das Buch Daniel gibt zugleich Zeugnis von der Hoffnung des Gottesvolkes, dass dies nicht das letzte Wort sei. Das hat sich Gott in seinem Gericht vorbehalten. Sein Wort allein kann diejenigen zum Leben rufen, die zum Staub hinab gesunken sind.
  • Gott werde Gericht halten über Gerechte und Ungerechte, "die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach". Das gibt denen Mut, die ohnmächtig zusehen müssen. Das ist denen zur Mahnung gesagt, die meinen alles sei ihnen erlaubt, nur weil sie die Waffen dazu haben.

3. Menschensohn

  • Jesus spricht auch von diesem Gericht. Aber er offenbart, dass es ganz anders sein wird, als Menschen es sich vorgestellt haben. Das Gericht findet statt im Angesicht des Menschensohnes, dessen Richterstuhl das Kreuz ist. Das Gericht findet dort statt, wo der Mensch vor der Hingabe Gottes steht und sich entscheidet. Das Gericht findet im Angesicht des Leides und des Schmerzes statt. Hier entscheidet sich, ob wir uns dem Zug des Todes anschließen, auf Gewalt mit Gewalt antworten, auf Macht mit Gegenmacht. Oder ob wir auf den Menschensohn schauen, in dessen ohnmächtiger Liebe und in dessen vertrauender Hingabe Gott selbst uns den Weg zum Leben öffnet.
  • Diese Tage sind Tage der Offenbarung. In den Flüchtlingen, die zu uns kommen, wird das weltweite Elend offenbar, das sich nicht mehr so einfach wohldosiert auf Abstand halten lässt. Im Terror, der Paris und Europa erschüttert, offenbart sich uns, was das Schicksal der Menschen in Aleppo/Syrien und anderswo zur Tagesordnung gehört. Den größten Terror erlebt jetzt die Flüchtlingsfamilie, die aus Syrien geflohen ist, weil sie meinte, ihre Kinder seien bei uns sicher. Es wird sich zeigen, ob sie hier auf Menschen und Staaten treffen, die bereit sind, etwas von ihrer eigenen Sicherheit zu riskieren, um den Fremden zur Seite zu stehen.
  • Was immer die nächsten Tage, Wochen und Monate bringen werden, es wird auch eine Zeit der Offenbarung sein. Das griechische Wort für Offenbarung heißt 'Apokalypse'. Es wird offenbar werden, was uns die Werte wert sind, die wir für das Fundament des christlichen Abendlandes halten. Es wird offenbar werden, ob wir statt dessen zum Spiegelbild derer werden, die Gewalt anwenden. Es wird offenbar werden, ob wir fähig sind kritisch auf das zu schauen, was unser eigener Anteil an globaler Ungerechtigkeit ist. Es wird offenbar werden, ob wir statt dessen die Grenzen dicht machen, als ginge uns all das nicht an, was jenseits geschieht.
    Es ist eine Zeit des Gerichtes, in der sich entscheidet, ob wir fähig werden und bleiben, auf den Menschensohn zu schauen und mit ihm zu vertrauen, dass niemand anderes als Gott das letzte Wort haben wird - und das es ein Wort des Lebens ist. Amen.