Predigt zum 28. Sonntag im Lesejahr B 2003 (Markus)
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12. Oktober 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
Eine Anregung zur Gestaltung der Predigt
ist der Film "Absolute
Giganten" (1999) von Sebastian Schipper. In manchmal ruhigen, manchmal
ausgesprochen komischen, immer aber stimmigen Szenen wird vom Abschied aus
einem Freundeskreis erzählt. Woher Floyd die Kraft hat, diesen Abschied
zu nehmen, erfährt man nicht, man spürt nur, dass er sie hat. |
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1. Durchhalten
- Verzicht sei das Geheimnis des Erfolges. So wenigstens lautet ein Grundsatz der irgendwo in uns allen steckt. Zumindest
ist er ein fester Bestandteil unserer Kultur. Ein wenig vom Kuchenteig mag man naschen dürfen. Sonst aber müssen wir
erst einmal aufs Naschen verzichten und Arbeit investieren, wollen wir später genießen. Vor den Reichtum ist der
Schweiß gesetzt.
- Nichts lässt erkennen, dass der Mann, von dem das Evangelium berichtet, seinen Reichtum genießt. Er, der sich treu an
die Gebote hält, ist im Inneren unzufrieden. Deswegen kommt er zu Jesus. Im Ergebnis des Gespräches mit Jesus ist
schließlich der Reichtum der Grund, warum er traurig weg geht. Die Gebote hält er. Die Antwort, welchen Lohn er dafür
im Himmel bekomme, erhält er. Aber von Freude ist dabei nichts zu spüren. Er spürt die Last des Wartens, nicht die
Freude der Gegenwart. Sein Reichtum hält ihn fest. Zu mehr als dem Minimalprogramm zur Sicherung des ewigen
Lebens einst, im Himmel, reicht es nicht.
- Jesus muss diese Trauer gespürt haben. Sie wird bereits zuvor schon da gewesen sein. In der Begegnung mit Jesus ist sie
nur offenbar geworden. Der Mann aber ist unfähig, die Liebe Jesu zu spüren, mit der dieser ihn einlädt, seinem Leben eine
Wendung zu geben.
Weil er so an dem hängt, was er hat, geht ihm die Phantasie aus, was er haben könnte. In seinem Fall ist es großer
materieller Reichtum. Für andere ist es der Stolz auf Bildung, Herkunft, Kultur, den schönen Körper. Vielerlei Reichtum
kann uns so wichtig erscheinen, dass wir traurig werden, sobald wir merken, dass wir schon so viel haben und damit
kaum noch was kommen kann.
Die Zukunft hat dieser Mann schon hinter sich. Er kann nur noch durchhalten, anständig sein und wenigstens das Ewige
Leben, einst im Himmel, nicht zu gefährden.
2. Abschied
- Jesus wendet sich dem Mann mit der ganzen Liebe Gottes zu und sagt: "Eines fehlt dir noch: (1) Geh, verkaufe, was du
hast, (2) gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann (3) komm und folge
mir nach!" Alle drei Punkte sind wichtig: den Reichtum aufgeben, ihn den Armen geben und schließlich als Frucht dieser
beiden Schritte die Fähigkeit zur Nachfolge.
Zunächst der Reichtum. Jesus redet nicht einfachhin gegen den Reichtum, sondern beobachtet und beschreibt seine
Folgen. Armut ist für ihn kein Ideal an sich. Er sieht und erlebt aber, dass die Fixierung auf und das Festhalten am
Reichtum in entscheidenden Situationen des Lebens traurig macht.
Wir mögen Menschen bewundern oder beneiden, die reiche Gaben zur Verfügung haben. Jesus hingegen sieht, wie sehr
genau das angepasst und unfrei macht. Es erzeugt Abhängigkeit.
Man merkt es selber vielleicht erst im Rückblick. Wer - um ein ganz anderes Beispiel zu nehmen - den Reichtum eines
Freundeskreises verloren hat, wird erst im Rückblick unterscheiden können, wie viel an den Kreisen, in denen er gelebt
hat, wirklich bereichernd war. Mag sein, dass er statt dessen nur gefangen war in einer Welt, die nicht erwachsen werden
will. Ob auf eigenen Entschluss oder notgedrungen, es kann heilsam sein, diesen Reichtum hinter sich zu lassen (lassen zu
müssen) und aufzubrechen.
- Zur Eigenart des Abschiedes, zu dem Jesus den Mann im Evangelium einlädt, gehört, dass er seinen Reichtum den Armen
geben soll. Für mich ist damit der Unterschied zu jener Weltverachtung gesetzt, die letztlich immer nur selbstbezogen ist.
Der Stoiker der Antike kennt auch die Aufforderung, den Reichtum aufzugeben. Aber er versenkt ihn im Meer. Ihm geht
es letztlich nur um sich selbst. Jesus aber will den Menschen gerade aus dem Immer-Ich-Hamsterkäfig befreien.
Deswegen sind hier die Armen im Blick.
- Entscheidend ist nun der dritte Schritt: "...dann komm und folge mir nach!" Die Aufgabe des Reichtums sollte doch die
Vergangenheitsfixierung überwinden. Der Ruf in die Nachfolge gibt die Zukunftsrichtung an.
3. Reich Gottes
- Daher ist es nicht nur assoziativ, wenn sich an die Episode zwischen Jesus und dem Reichen im Markusevangelium das
Gespräch mit den Jüngern anschließt. Petrus fragt: Was bringt's. "Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir
nachgefolgt." Petrus fragt, ob Nachfolge einfach nur bedeutet, die Vergangenheit zu verlassen, ob sie einfach nur
bedeutet, auf ein fernes Ziel hin zu leben, oder ob sich greifbar und erlebbar dadurch etwas verändert. Er hatte die Kraft,
aus der Begegnung mit Jesu heraus den Absprung zu wagen; aber jetzt fragt er sich, wo er landen wird.
- Die erste Antwort Jesu heißt: Das Rech Gottes beginnt hier. Es ist nicht identisch mit dem "Ewigen Leben" in einer
jenseitigen Welt, sondern Nachfolge bedeutet hier und jetzt etwas von dem zu erfahren, was sich im Ewigen vollenden
wird. Und die Antwort begnügt sich nicht mit Spirituellem: dass wir aus der Gemeinschaft mit Gott Kraft und Sinn
erfahren. Im Gegenteil. Provozierend handgreiflich zählt Jesus auf: "Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums
willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür
empfangen: Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten!"
Gemeint ist damit die Gemeinde derer, die sich auf den Weg der Nachfolge machen. Wir sitzen zumeist viel zu vereinzelt
in der Kirchenbank, um zu merken, wie sehr Jesus will, dass aus der Anrede "Schwestern und Brüder" eine lebendige
Beziehung für uns untereinander wird. Aber dennoch gibt es auch für uns Erfahrungen dieses Geschenkes. Allein schon,
dass wir unter Menschen sein dürfen, denen das Evangelium wichtig ist, bleibt dem nicht gleichgültig, der die meiste Zeit
unter Menschen zubringt, wo all dies ein Tabuthema bleibt. Dass wir uns gegenseitig durch die gemeinsame Feier diesen
Sonntag Abend schenken, ist nicht wenig. Es gibt aber auch - vereinzelt - Beispiele aus dieser Gottesdienstgemeinde hier,
wo einer dem anderen beisteht, wo Gemeinschaft entstanden ist und Solidarität. Das Reich Gottes erscheint uns vielleicht
als kleines Pflänzlein. Aber es ist da.
- Niemand wird das so überzeugend sagen können wie der, der erfährt, dass diese Gemeinschaft, wie Jesus es sagt, in
dieser Weltzeit nur unter Verfolgung zu haben ist. Denn der "Reichtum", der verlassen wird, fühlt sich immer brüskiert.
Er wird mit dem Vorwurf beginnen, dass der, der Jesus nachfolgt, wohl meint, etwas besseres zu sein. Das Neue steht
immer unter dem Verdacht, das Alte zu desavouieren. Nicht jeder Aufbruch führt zu Besserem. Wo aber Nachfolge Jesu
stattfindet, wo das Evangelium Maßstab bleibt und wo der Heilige Geist Gelegenheit behält mitzumischen, dort können
wir die Erfahrung machen, dass Jesus uns nicht Verzicht und Leiden zumutet, um später einmal, im Ewigen Leben,
belohnt zu werden. Schon hier werden wir hundertfach beschenkt. Amen.