Predigt zum 2. Weihnachtsfeiertag/Stephanus 2003
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26.12.2003 - St. Gallus, Frankfurt
1. Märtyrer
- "Wir ehren am heutigen Fest den ersten Märtyrer deiner Kirche", hieß es vorhin im Tagesgebet (Kollektengebet). Wir sind also sprungartig von den Anfängen an Weihnachten in die dritte Generation gesprungen. Die erste Generation, der Erstgeborene, ist Jesus Christus, der im Stall von Betlehem geborene. Die zweite Generation sind die von ihm berufenen Jünger und Apostel. Ihnen hat er seinen Auftrag anvertraut. Stephanus ist die dritte Generation, die in der frühen Kirche in Jerusalem beginnt und bis heute andauert. Wir sind also bei "JC, 3. Teil" angelangt: in der Gegenwart, bei uns.
- Das Fremdwort "Märtyrer" kann das verschleiern, denn es lässt allzu schnell an einen grausamen, gewaltsamen Tod denken. Von seiner ursprünglichen Bedeutung aber bezeichnet das Wort den Zeugen, jemand, der bezeugt, was er gesehen, gehört und erlebt hat. Ein Märtyrer-Zeuge ist aber kein beliebiger Geschichtenerzähler. Er ist ein Zeuge vor Gericht. Er steht unter Eid. Wie ein Meineid den Falschzeugen ins Gefängnis bringen kann, so ist auch dieser Zeuge einer, der mit seinem eigenen Schicksal einsteht für das, wovon er spricht.
- Die Dritte Generation.
- Jesus ist der Gotteszeuge. Er ist es, der uns Gott als unsren Vater gezeigt hat ("Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht." Joh 1,18).
- Die Apostel sind Jesuszeugen. Sie bezeugen, was sie erlebt haben: Jesu Leben, Tod und Auferstehung. Sie waren dabei. Durch sie kann der Heilige Geist nach Ostern die Kirche begründen. (Deswegen wird Matthias nachgewählt als einer von denen, "die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und aufgenommen wurde, - einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge (Märtyrer) seiner Auferstehung sein." Apg 1,21f)
- Stephanus ist der erste prominente Zeuge unserer Generation. Er ist ein Glaubenszeuge. Von den Aposteln hat er den Glauben und durch deren Handauflegung (Apg 6,6) den Auftrag übernommen. Er ist der erste von uns, die wir von nichts anderem Zeugnis ablegen können als von dem, was wir im Glauben erfahren haben.
2. Protest gegen Stephanus
- Die Lesung, die wir gehört haben, überspringt eine lange Rede, die die Apostelgeschichte im 7. Kapitel von Stephanus überliefert. Durch diese Lücke erscheint die brutale Reaktion der Zuhörer auf das Glaubenszeugnis des Stephanus etwas unmotiviert. Steinigen ist eine auch damals nicht ganz alltägliche Antwort auf eine Rede.
- Wenn Sie diese Rede nachlesen, wird Ihnen deutlich, dass Stephanus nicht zu Ungläubigen spricht, sondern zu frommen Männern, Juden die aus verschiedenen Ländern nach Jerusalem gezogen sind, um hier, am Tempel, zu beten. Paulus wird später in Griechenland zu Leuten reden, die vom Glauben an den Gott Jesu Christi keine Ahnung haben. Stephanus aber spricht zu Leuten wie uns, die so einiges wissen oder zu wissen glauben, Leuten, die auch am zweiten Weihnachtstag den Gottesdienst nicht missen wollen, weil es uns wichtig ist, dieses Fest in der Nähe Gottes zu feiern. Und zumindest wir wollen uns doch zugute halten, dass der Prediger nicht gleich gesteinigt wird.
- Zwei Punkte sind es, mit denen Stephanus die Leute gegen sich aufbringt. Erstens erzählt er die Kirchengeschichte nicht als Abfolge von Heiligen und Helden, sondern als Geschichte der Mühe, die Gott hat, sein Volk in Liebe auf dem Weg zu führen. Und zweitens relativiert er das große Heiligtum aller Frommen, den Tempel. Die Kirchen, in denen wir uns zu Hause fühlen, die nicht selten in ihrer Pracht der Stolz der Gemeinde sind, diese Kirchen relativiert Stephanus auch gegenüber uns. Und der Kult, der uns so vertraut und heilig ist, auch er kann am Wesentlichen vorbei führen.
3. Der Himmel offen
- Aber das ist nur die Kehrseite dessen, was Stephanus bezeugt. Die Vorderseite ist eine andere. Die Apostelgeschichte drückt das so aus: "Stephanus, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Ich sehe den Himmel offen". Den Himmel sieht er offen. So drück er das aus, was für ihn das Zentrum seiner Glaubenserfahrung ist.
- Und eben dies ist das Zentrum der Weihnacht. Nicht die Sammlung aus "Stille Nacht" und "Vom Himmel hoch, da komm ich her". Nicht das Kerzenlicht der Christmette, nicht all das, was uns das Weihnachtsfest so lieb und vertraut macht, sondern einzig das, was Stephanus erfährt: "Ich sehe den Himmel offen!". Der Himmel ist offen, weil Gott selbst als Mensch zu uns gekommen ist. Und der Himmel ist offen, weil er uns seinen Heiligen Geist schenken will, um hier sein Volk zu sein, an jedem Ort, in jeder Sprache, mit jeder Melodie und in jedem Raum.
- Die Orte, die Zeichen, die Lieder und Melodien sind uns so vertraut. Sie sprechen die Sprache des Herzens. Aber nur, wenn diese Sprache vom Himmel spricht, der geöffnet wurde, betrügen wir uns nicht selbst. Deswegen braucht es Zeugen wie Stephanus, die ihr Leben dafür einsetzen, dass uns die Erinnerung nicht verloren geht, an das Geheimnis dessen, was Gott getan hat und noch heute tut. Stephanus ist einer von uns. Denn auch wir können einander Zeugen sein, für die Erfahrung, die uns geschenkt ist. Gott ist unter uns. Der Himmel ist offen. Amen.