Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 21. Sonntag im Lesejahr B 2006 (Josua)

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27. August 2006 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt,

1. Eine Kürzung

  • Ein halber Vers fehlt. Aus dem Buch Josua wird in der Leseordnung für die Sonntage nur zwei Mal in drei Jahren gelesen. Diese Entscheidung lässt sich vielleicht rechtfertigen. Einer der Texte ist die heutige mit einer Auswahl aus der Erneuerung des Bundesschlusses in Sichem. In den 70er Jahren wurde diese Auswahl von einer Kommission festgelegt. Eines fällt dabei auf: Ein halber Vers wurde dabei gekürzt.
  • Eben dieser halbe Vers passt besonders gut zu dem Buch Josua. Es handelt von der Ansiedelung der Israeliten unter Josua, dem Nachfolger des Mose, nach der vierzigjährigen Wanderung durch die Wüste. Im neuen, im verheißenen Land stellt Josua das Volk vor die Frage, ob es den Bund erneuern will, den Mose für das Volk mit Gott auf dem Sinai geschlossen hatte. Und, in der Darstellung unseres biblischen Textes, bekennt das Volk "Gott hat uns beschützt auf dem ganzen Weg, den wir gegangen sind, und unter allen Völkern, durch deren Gebiet wir gezogen sind." Diesem Gott will das Volk treu sein und die Gebote halten.
  • Die Auswahl verschweigt aber eines. Das Volk Israel konnte im gelobten Land - so das ganze Buch Josua - sich erst ansiedeln, nachdem die Städte dort dem Erdboden gleichgemacht und die Bewohner zumeist ermordet worden waren. Der gekürzte Halbvers lautet: "Der Herr hat alle Völker vertrieben, auch die Amoriter, die vor uns im Land wohnten". "Vertrieben" ist nett gesagt. Es wird ausdrücklich geschildert, wie diese Städte und ihre Bewohner "dem Untergang geweiht" (21 mal im Buch Josua!) wurden: niedergemacht mit Mann und Maus. Das Buch Josua ist voll erschreckender Gewalt und die vernichtende Gewalt wird ausdrücklich als Gottes Tat und Gottes Wille geschildert. Mitten in der Bibel.

2. Geschichte und Botschaft

  • Die wirkliche Geschichte verlief anders. Im 13. Jahrhundert, im Übergang von der späten Bronzezeit zur Eisenzeit verloren die großen Städte Palästinas an Einfluss und die stammesmäßig organisierte Landbevölkerung wurde durch neue Ackerbaumethoden und die Entdeckung des Eisens immer einflussreicher. Diese Landbevölkerung war durch den Glauben an einen Schöpfergott (El) geprägt und sozial viel egalitärer gegliedert als die hierarchischen Stadtgesellschaften. Zusammen mit den aus Ägypten geflohenen JHWH-Gläubigen formten diese Gruppen den Stammesbund Israel.
  • Der Vorgang wird nicht immer friedlich verlaufen sein. Es war jedoch keine plötzliche militärische Invasion, mit der Israel sich bildete, sondern ein allmählicher Prozess, eine Entwicklung mit einzelnen Aufständen und lokalen Auseinandersetzungen, bei denen sich die Stämme durchsetzten. Ihre Identität bezogen sie aus dem Glauben an den einen Gott und seine Gerechtigkeit, wie sie in den Gesetzen des Bundesbuches festgehalten wurden: Treue zu dem einen Gott, Solidarität unter Gleichen und Schutz vor allem des bedrohten Lebens: der Armen, der Witwen, der Fremden.
  • Das Josuabuch hat erst 700 später seine heutige Gestalt gefunden. Verschiedene Traditionen sind darin aufgenommen worden. Das Buch gibt sich gar keine Mühe, das zu verbergen. Es ist damals wie heute erkennbar weder Geschichtsbuch noch Geschichtsfälschung, sondern eine Sammlung und Neuformung verschiedener Traditionen als Zeugnis des Gottesglaubens. Aber gerade das macht es für uns heute ebenso aktuell wie problematisch. Denn das Buch Josua schildert die Besiedlung als kriegerische Invasion, als blutige Landnahme. Diese sei mit all ihrer Vernichtung nicht nur von Gott befohlen. Gott wird immer wieder als der eigentliche Täter dargestellt. Alle militärische Kraft und List wird relativiert, denn Gott allein, so sagt das Buch, sei Täter dieses Krieges.

3. Gewalt, Gottvertrauen, Gottesbilder

  • Biblischer Fundamentalismus ist falsch und gefährlich. Wer einfachhin das Buch Josua aufschlägt und daraus das Recht auf Krieg und Gewalt ableitet, ist Fundamentalist. Denn die Bibel ist nur als Ganze für uns "Wort Gottes". Und nicht erst im Neuen Testament setzt sich ein ganz anderes Gottesbild durch. Gerade das Alte Testament lehrt eine Entwicklung und zeigt wie Israel zunehmend lernt, dass Gott ein Gott des Friedens ist. Nicht nur die Landnahme war viel friedlicher, als der Text es darstellt. Die ganze historische Geschichte aus 3.000 Jahren zeigt die Juden viel weniger gewalttätig als später die Christen. Die Jünger Jesu haben viel grausamer zur Waffe gegriffen, als je das Volk des Ersten Bundes. Vielleicht hängt dies sogar damit zusammen, dass im Alten Testament Gewalt viel offener dargestellt wird.
  • Denn darin besteht die eigentliche Botschaft des Buches Josua. Nicht Menschen, sondern Gott allein gesteht das Recht zur Gewalt zu. Die von Menschen angemaßte Gewalt, die willkürliche und eigenmächtige Gewalt ist auch im Buch Josua unvereinbar mit der Treue zu Gott, dem Herrn. "Fürchtet also jetzt den Herrn, und dient ihm in vollkommener Treue", ruft deswegen Josua dem Volk zu. Vertrauen auf Gott allein und Treue zu Gott allein ist seine Botschaft.
  • Daher ist es wichtig zu wissen, wie Gott ist. Glauben heißt, sein ganzes Vertrauen auf Gott zu setzen. Aber dieser Glaube darf nicht blind sein und schon gar nicht blind-fundamentalistisch in Gott Gewalt sehen wollen. So läuft denn auch die Schilderung der Landnahme auf drei Punkte hinaus.
    • - Auf die Ruhe und friedvolle Sicherheit, die Gott seinem Volk schenken will,
    • - auf die Berufung ein Segen zu sein auch für die Fremden unter dem Volk
    • - und auf die unbedingte Geltung von Recht und Gerechtigkeit, das was Jesus zusammenfasst in dem einen Gebot der Nächstenliebe.
  • Diesem Gott gilt unser Glaube. Mit der ganzen Bibel gehen wir den Weg der Überwindung der Gewalt, zu aller erst in unseren Köpfen und uneingestandenen Gottesbildern. Gott ist ein "heiliger Gott", den wir mit ganzem Herzen lieben dürfen. "Das Volk sagte zu Josua: Dem Herrn, unserem Gott, wollen wir dienen und auf seine Stimme hören. So schloss Josua an jenem Tag einen Bund für das Volk und gab dem Volk Gesetz und Recht in Sichem." Amen.

 


 

Literaturempfehlung: Bock, Sebastian: Kleine Geschichte Israels. Von den Anfängen bis in die Zeit des Neuen Testamentes. Überarbeitete Auflage. Mit einem Vorwort von Norbert Lohfink. Freiburg, Basel, Wien (Herder) 1998.