Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 17. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Römerbrief)

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24. Juli 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Kein Recht auf der Welt zu sein

  • Seine Körperhaltung schien zu sagen: 'Entschuldigung, dass es mich gibt!' Er war eine Student an der Universität. Er war intelligent, fleißig und ein umgänglicher Mensch. Dennoch schien ihn das Lebensgefühl zu prägen, dass er eigentlich kein Recht habe hier zu sein - weder an der Universität noch vielleicht gar auf der Welt. Als ich ihn darauf ansprach, lachte er unsicher. Ganz falsch scheint mein Eindruck nicht gewesen zu sein.
  • Ich bin kein Psychologe und versuche mich auch nicht als Hobbypsychologe. Aber irgend etwas oder jemand in ihrer Biographie wird solchen Menschen das Gefühl gegeben haben, sie seien nichts wert und hätten kein Recht da zu sein. So etwas könnte vielleicht eine dauernde Zurücksetzung bewirken, eine Erfahrung von Gewalt und Übergriffigkeit auf die eigene Intimsphäre als Kind, oder aber schlicht, dass jemand von früh auf im Zweifel darüber war, ob schon seine Geburt erwünscht war, und Zweifel besteht, ob es nicht für seine Eltern "ein Unfall" gewesen ist, dass er überhaupt geboren wurde.
  • Umgekehrt hat mir einmal eine Frau, deren Eltern sich getrennt hatten, betont: Die Eltern hätten ihnen immer gesagt, dass sie als Kinder gewünscht gewesen seien. Dies war für sie ganz offenbar sehr wichtig. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir auf dieser Welt erwünscht sind. Mancher mag bewusst oder unbewusst versuchen, durch besondere Leistung sich das 'Recht' zu erwerben, dass es ihn gibt. Das ist im Effekt eine Form von Sklaverei, ständig unter dem Druck zu stehen, die eigene Existenz zu rechtfertigen.

2. Unerwünscht unter den Menschen

  • Auf ihre Weise kennen das diejenigen unter uns, die als Zuwanderer in Deutschland sind. Sie müssen immer wieder mit der offenen oder versteckten Botschaft leben: Du musst erst einmal beweisen, dass du ein Recht hast hier zu sein. Manche versuchen dann, deutscher zu sein als die Deutschen. Oft hilft auch das nicht. Im Alltag bekommen Zuwanderer immer wieder das Signal, man frage sich was sie hier überhaupt wollen.
  • So ging es den Christen damals. Dies ist in gewisser Weise die Situation derer, an die Paulus den Römerbrief schreibt. Und er selbst kennt es aus eigener Erfahrung. Auch wenn die Christen geduldet wurden, blieben sie doch unter dem Verdacht, anders zu sein; sie mussten sich in ihrer Gesellschaft dauernd dafür rechtfertigen.
    Dabei wissen Christen um die eigene Unzulänglichkeit. Sie kennen wie alle Menschen, die sich selbst gegenüber ehrlich sind, die eigene Vergänglichkeit. Gerade weil sie Gottes Heiligen Geist und im Glauben an Christus Gottes Herrlichkeit erfahren haben, ist ihnen die eigene Vergänglichkeit bewusst. (Das Thema hat uns beim Durchgang durch das 8. Kapitel des Römerbriefes an den vergangenen Sonntagen mehrfach beschäftigt).
  • In diese Situation sagt Paulus, besser, jubelt Paulus "Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt". Die Menschen mögen sagen, sie seien unerwünscht. Die Menschen mögen sie unter Druck setzen, ihr Sosein und Dasein zu rechtfertigen. Paulus aber nimmt den Blick Gottes auf und schaut sozusagen aus Gottes Ewigkeit zurück und sieht: Diejenigen, die Gott "vorausbestimmt hat, hat er auch berufen, und die er berufen hat, hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht."
    Auch wenn Ihr für Eure Eltern ein Unfall der Familienplanung wart, auch wenn sie Euch in diesem Land nur dulden, aber nicht aufnehmen, auch wenn sie Euch dauernd spüren lassen, dass ihr unerwünscht seid, lasst Euch dadurch nicht verwirren. Gott hat Euch schon vor Eurer Geburt gewollt, sich auf Euch gefreut, und Euch so "vorausbestimmt". Aus Gott seid Ihr geboren und von Gott seid Ihr adoptiert - deutlicher geht es kaum. Ihr seid nicht nutzlos und nur geduldet, vielmehr hat Euch Gott für sein großes Werk "berufen". Ihr braucht Euch nicht dafür rechtfertigen, dass es Euch gibt, Gott hat euch gerechtfertigt ("gerecht gemacht"). Und auch wenn Ihr es selbst vielleicht noch nicht ahnt: Ihr seid Gottes Herrlichkeit in dieser Welt, denn Gott hat Euch dazu bestimmt an "Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben".

3. Mit Christus leben

  • All dies bleibt abstrakt und reine Theorie ohne das, was Paulus mit "teilhaben" meint. Gott hat uns "dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei". Sein Wesen war es Mensch unter Menschen zu sein. Er hat die Gestalt eines Sklaven angenommen (vgl. Phil 2,6-11). Er hat nicht die Machtmittel eines herrschenden Gottes, sondern die Existenz eines Menschen gewählt, der sich in seiner Ohnmacht ausliefert. Christus hat "Wesen und Gestalt" derer angenommen, die nicht willkommen sind, die sich dafür rechtfertigen müssen, dass es sie gibt.
  • Wie können wir daran teilhaben? Zunächst einmal sind all die unter uns angesprochen, die diese Situation als die ihre kennen und erfahren. Ihnen erspart Gott den Preis, den man zahlen muss, um "dabei zu sein", mit den Wölfen zu heulen und mit ihnen Beute zu machen. Das, was die Menschen ihnen verweigern, gibt Gott ihnen: Rechtfertigung. Gott will, dass es sie gibt.
  • Und diejenigen von uns, denen es nicht so geht? Wer immer schon von allen geliebt und anerkannt ist, wessen Existenz von niemand in Frage gestellt wird, der wird durch diese Vorliebe Gottes für die Armen verunsichert. Er wird heilsam verunsichert, denn die Anerkennung durch Menschen ist vergänglich. Schnell können wir in der Situation sein, unsere Seele zu verspielen, nur um diese Anerkennung nicht zu verlieren. Schnell würden wir zu Sklaven unseres Bedürfnisses nach Anerkennung, statt den Schatz zu suchen, der mehr wert ist, als all das. Durch die Gestalt seines Sohnes und die Gestalt der Menschen, die Jesu Schicksal teilen, kann uns Gott befreien. An uns ist es, uns auf diesen Weg einzulassen. Amen.