Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 12. Sonntag im Lesejahr A 2017 (Matthäus)

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25. Juni 2017 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Ohne Festlegung

  • Man kommt im Leben erstaunlich weit ohne sich festzulegen. In welche Richtung man dabei kommt, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall gelingt es erstaunlich vielen Menschen erstaunlich lange ohne Festlegungen und Verpflichtungen durchs Leben zu gehen. Allein, einen Gutteil seines Lebens zu verbringen ohne etwas draus zu machen, ist auch eine Festlegung.
  • Der heutige Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium richtet sich ausdrücklich an die zwölf Jünger, jener innerste Freundes- und Schülerkreis, den Jesus ausgesucht hat. Sie sind ganz normale, manchmal charakterlich schwierige oder problematische Menschen. Aber diese zwölf sollen Apostel sein, Gesandte von Gottes Reich und der Erneuerung seines Volkes. An sie richtet sich, was Jesus sagt. Denn sie haben sich auf ihn festgelegt.
  • Insofern können wir uns entspannt zurück lehnen. Die Bischöfe gelten als Nachfolger der Apostel. Ob sie mit gemeint sind in dem, was Jesus sagt, müssen ja nicht wir entscheiden.
    Nur in einer, kleinen Rücksicht könnte ich den Text auf mich beziehen: Dort und so weit ich mich ebenfalls von Jesus senden lassen will - und sei es nur für eine kleine, zeitlich ganz begrenzte Aufgabe; also dort wo ich es spannend fände apostolisch zu sein. Dort könnte ich mich darauf einlassen - einlassen wollen! - mich festzulegen und eine Verpflichtung einzugehen. Ich könnte ahnen, dass es zumindest entfernt so etwas gibt wie eine Berufung durch Jesus Christus - auf die ich antworte: Okay, darauf will ich mich einlassen.

2. Ohne Furcht berufen lassen

  • Die Evangelien vermitteln nicht den Eindruck, als hätten sich die Apostel ausgesucht, Apostel zu sein. Einmal sagt es Jesus sogar - im Johannesevangelium - ausdrücklich: "Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt" (Joh 15,16). Ich mag das, insbesondere die Richtung, "dass ihr euch aufmacht". Das war mal mein Motto, als ich 1990 als Priester angefangen habe ("Primizspruch").
  • Es ist daher gar nicht die Frage, was meine Lebensplanung ist. Vielmehr ist die Frage: Wie antworte ich, dort wo ich gefragt bin. Ich bin Jesuit und Priester geworden, nicht in langer Abwägung aller Möglichkeiten. Auch nicht, weil Jesus mit sonoriger Stimme vom Himmel zu mir gesprochen hätte, sondern weil sich ein paar Umstände ergaben, die in die Richtung wiesen, und ich mit 19 Jahren das Gefühl hatte: Warum nicht? Es ist sinnvoll, sich zu engagieren. Warum nicht etwas Sinnvolles tun und darauf vertrauen, dass Gott mich dabei nicht hängen lässt?
  • Das allerdings ist ein zentraler Punkt. Der Abschnitt aus dem Evangelium heute beginnt mit der Aufforderung: "Fürchtet euch nicht vor den Menschen!" Jesus selbst hat die Erfahrung gemacht, dass es Widerstand geben kann, mehr als ich es je erleben werde.
    Heute würde das "Fürchtet euch nicht vor den Menschen!" vielleicht vor allem bedeuten: Habe keine Angst vor dir selbst, deinen eigenen Erwartungen und all dem, was dir eingeimpft worden ist, was unabkömmlich sei zu einem sinnvollen Leben gehöre: Selbstverwirklichung, Erfolg, ein aktives Sexualleben, Wohlstand, Ansehen.

3. Dass ihr euch aufmacht

  • Von all dem verspricht Jesus nichts. Statt dessen spricht er von Entbehrung und Verfolgung. Daher mussten die Apostel schon reichlich naiv sein, sich darauf einzulassen. Vielleicht ist das aber genau die Naivität, die uns gut täte. Es muss ja nicht immer gleich die Berufung zum Ordensleben sein. Aber in einer Kirche und einer Kultur, die diese Naivität nicht mehr aufbringt, wird es auch keine Priester und Ordensleute mehr geben. Es ist die Naivität, alles auf die eine Karte zu setzen: Gott zu vertrauen, jetzt das Sinnvolle zu tun. Zumindest einmal, zumindest in einer Sache sich festlegen und binden für andere, Menschen in Not, für das Projekt Gottes einer Gerechtigkeit, die keinen außen vor lässt.
  • Vertrauen in Gott geht nur ohne Netz und doppelten Boden. Das ist vergleichbar, wie wenn man ein Flüchtlings-Kind aufnimmt. Das sollte man sich davor überlegen und dann dazu stehen. Wehrlose Kinder darf man nicht belügen. Gott auch nicht.
    Nur in diese Richtung kann ich die beiden Verse im Evangelium verstehen, in denen Jesus sagt, dass er sich "vor seinem Vater im Himmel" zu jedem bekennt, der ihn "vor den Menschen" bekennt, aber auch jeden verleugnet, der ihn vor den Menschen verleugnet. Das ist ja nicht, weil Jesus schmollt, wenn einer der Apostel ihn vor den Menschen verleugnet. Vielmehr ist das ein weiteres unter vielen Bildern Jesu, mit denen er deutlich macht: Wo immer Du es annimmst und 'Ja!' zu einer Berufung und Sendung durch Gott sagst, da geht das nur ohne Vorbehalt. Oder anders gesagt: Ein bisschen Vertrauen in Gott geht genau so wenig wie ein bisschen schwanger. Fragt mal die Jungfrau Maria!
  • "Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt". Wo immer du dich auch nur ansatzweise darauf einlässt, apostolisch zu sein, also nicht in eigenem, sondern im Auftrag des Herrn unterwegs zu sein, dort ist das mit Aufbruch verbunden, "dass ihr euch aufmacht". Das kann bedeuten, einen Ort zu verlassen, der mir sehr lieb geworden ist. Doch die Verheißung "...und dass ihr Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt" gilt nicht erst nur für den Ort, wo ich hingehe, sondern auch für die vergangene Zeit und das Ganze des Lebens, ja selbst und besonders auch für die Schuld und das Versagen: Alles, alles kann letztlich nur Frucht bringen, Frucht die bleibt, wo wir ihm vertrauen und uns senden lassen, ein wenig zumindest apostolisch sind. Amen.