Predigt 1. Adventssonntag Lesejahr C 2006 (Präfation)
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3.12.2006 - Hochschulgottesdienst Kaiserdom Frankfurt
1. Wertedebatte
- Die Kirchen sind wieder gefragt. Seit Jahren fällt auf, dass Politiker die Kirche wieder im Munde führen, als Instanz zur Wertevermittlung. Werte bezeichnet dabei nebulös das Heilmittel bei allem, was als Problemen über die Gesellschaft hereinbricht. Und da sich der Staat schwer tut, "Werte zu vermitteln", wird nach der Kirche gerufen. - wie immer das gehen soll.
- Wenn der Glaube dazu da ist, Werte zu vermitteln, dann wäre der Advent die rechte Zeit. Zu Beginn des kirchlichen Jahres sollten wir uns wertemäßig zurüsten. Wer sich weltlich an Neujahr mit guten Vorsätzen beglückt, könne das dann christlich im Advent schon tun. Denn darin seien sich doch Christen wie Gesellschaft einig, dass es im christlichen Glauben alles um Werte dreht.
- Die Lesungen des Advents müssten wir dann abklopfen auf Werteertüchtigung. Schreibt doch das Buch des Propheten Jeremia etwas über "Recht und Gerechtigkeit", fordert doch Paulus im Thessalonicherbrief dazu auf, dass wir "ohne Tadel" seien. Und selbst beim Evangelium kann man sich die Warnung vor "Rausch und Trunkenheit" herauspicken, weil das ja auch irgendwie mit Werten zu tun hat. Nur, niemand dürfte aufrichtig meinen, damit den Kern dessen erfasst zu haben, was die Lesungen meinen.
2. Gegenwartsdiagnose
- Alle drei Lesungen sprechen nicht von moralischer Ertüchtigung, sondern von der Zukunft. Bei Jeremia wird dem Volk Israel in der Zeit der Zerstörung Jerusalems und der Verbannung in das babylonische Exil ein König verheißen, der das Volk in "Recht und Gerechtigkeit" führen wird. Der Apostel Paulus spricht von dem Kommen Jesu, des Herrn. Und im Evangelium spricht Jesus selbst davon, dass er am Ende der Zeiten als Menschensohn kommen wird: nicht mehr in der Verhülltheit wie beim Ersten Kommen im Stall von Betlehem, sondern als kosmisches Ereignis, wenn die Welt, wie wir sie kennen, ihr Ende erreicht.
- Alle drei Lesungen blicken aus der Gegenwart in die Zukunft. Alle drei sehen die Gegenwart kritisch. Den Armen geschieht Unrecht (heute etwa nicht?), und die Gerechten werden verfolgt - auch darin könnten wir unsere Gegenwart wiedererkennen. Die Stimmung des Advent lässt sich nicht beruhigen, es sei doch alles in Ordnung, wie es ist. Am weitesten geht das Evangelium, wenn Jesus ganz tief in die Struktur dieser Welt blickt und sieht, dass nicht alles irgendwie schon besser wird, sondern die Zeit darauf zuläuft, dass die Strukturen der Welt vergehen. Jesus drückt das aus mit dem bedrängenden "Toben und Donnern des Meeres", jener Urgewalt, die für das Chaos steht.
- Das könnte als lähmender Pessimismus gelesen werden. Für Menschen, die an Gottes Treue glauben, ist es das aber nicht. Denn wir sehen, dass Gott uns in dieser Welt und Geschichte entgegen kommt. Wir können die Zeichen erkennen und die Erfahrungen machen, dass Gott in diese Welt hinein gesprochen hat, ja, dass er selbst in diese Welt gekommen ist, in dem Menschen Jesus von Nazareth, der das Schicksal der Menschen geteilt hat. "Richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe".
3. Zukunftsperspektive
- Aus der Vergangenheit blicken wir in die Zukunft. Aus dem Kommen Gottes im Damals hoffen wir auf das Kommen Gottes im Morgen. Vielleicht häufig gedankenlos beten wir jeden Sonntag in der Mitte der Messe "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit." Das ist Advent. Heute wird es in der Präfation, dem großen Lobgesang vor dem Sanctus ausdrücklicher von Jesus Christus heißen: "In seinem ersten Kommen hat er sich entäußert und ist Mensch geworden. So hat er die alte Verheißung erfüllt und den Weg des Heiles erschlossen. Wenn er wiederkommt im Glanz seiner Herrlichkeit, werden wir sichtbar empfangen, was wir jetzt mit wachem Herzen gläubig erwarten."
- Der Advent lädt uns ein, Christus "mit wachem Herzen" zu erwarten. Man könnte auch sagen, das ist das Zentrale, was einen Christen ausmacht - ausmachen könnte. Im Zentrum des Glaubens stehen weder Werte noch abstrakte Dogmen, sondern die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Deswegen ist der Gottesdienst für ein christliches Leben ebenso wichtig, wie das ganz persönliche Gebet. Deswegen lesen wir die Bibel, als Berichte und Zeugnisse über die Begegnung mit Gott in der Vergangenheit, um in unserer ganz persönlichen Gegenwart und Zukunft Gott entgegen zu gehen.
- Werte sind dem gegenüber ein Nebenprodukt, "Kollateralnutzen". Denn im Evangelium sagt Jesus uns, wo wir schon jetzt Gott begegnen können: im Nächsten. Und wie bei jeder Begegnung ist auch zentral, in welcher Weise wir begegnen wollen: in Liebe. Die Kirche ist keine Werteerhaltungsinstitution, sondern die Gemeinschaft der Menschen, die Gott zusammengeführt hat, um ihnen zu begegnen. Der Advent ist die Zeit, sich vorzubereiten, voll Freude darauf, dass unser ganzes Leben auf die Begegnung mit Gott hinausläuft. Amen.