Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Pfingsten 2023 (Apostelgeschichte)

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28. Mai 2023 - St. Peter, Sinzig

1. Sprachen sind nicht unschuldig

  • Sprachen sind nicht unschuldig. Sie schleppen immer auch eine Geschichte mit sich. – Der Bericht der Apostelgeschichte über das Pfingst-Fest zählt viele in Jerusalem versammelten Sprachen und Völker auf. Hinter jedem der Gruppen, die sich fragen, „Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?“, stecken Menschen und Völker, Geschichte und Geschichten. Es fällt auf, dass alle anderen einfach der Reihe nach aufgezählt werden, aber von den Römern heißt es ausführlicher: „auch die Römer, die sich hier aufhalten“. Die Römer sind eine Nummer für sich: Ihre Sprache ist die Herrschaftssprache der Soldaten und Verwaltungen in diesem riesigen Reich, das Afrika, Asien und Europa verbindet.
  • Vor ein paar Tagen hat ein Lehrer unserer Schule eine große Gruppe von Schülerinnen und Schülern nach ihrer Muttersprache oder einer Fremdsprache gefragt. Nach einander hat er Sprachen aufgezählt und gefragt, wer sie spreche. Die Kinder meldeten sich jeweils: deutsch, englisch, französisch, polnisch, arabisch, spanisch, italienisch.
  • Ich hielt die Luft an. Würde er auch ukrainisch und russisch fragen? Denn es sind nicht wenige unserer Familien, die daheim russisch sprechen. Nicht alle kommen aus den Gebieten, die zum Herrschaftsbereich der Russischen Föderation zählen, aber manche auch aus Russland selbst. Bei diesen Kindern und Jugendlichen steht die Sprache für ein ganz eigenes Drama. Die Familien müssen sich entscheiden, wo sie stehen. Die Kinder werden mit Vorurteilen oder gar Verurteilungen konfrontiert, wenn sie sagen, dass ihre Familie russisch sei oder sie gar auf der Straße russisch sprechen. Da werden junge Menschen in Solidaritäten mit einem Regime in Moskau gezwungen – oder dazu gezwungen, sich von etwas zu distanzieren, wofür sie nichts können, nur, weil sie daheim Russisch sprechen. Nein, Sprachen sind wirklich nicht unschuldig!

2. Christsein – aktiv, in der Tradition Israels und in Gemeinschaft

Was ist damals in Jerusalem geschehen? Die Apostelgeschichte ist keine „Geschichte“ im Sinne moderner Geschichtsbücher, sondern versucht die Erfahrung der ersten Christen mit dem Mittel einer symbolisch gestalteten Erzählung weiterzugeben. Die Wahrheit der Bibel ist nie die flache Oberfläche.  Nur die tiefere Bedeutung hat Bedeutung auch für uns; bloße Faktenhuberei interessiert mich nicht. Die tiefere Bedeutung liegt hier wie in den Evangelien darin, dass die Ereignisse, die bezeugt werden, vom Ganzen der Bibel und in einer Dramaturgie der Ereignisse erzählt werden.

  • Da fällt auf: Am Pfingsttag, also dem Jerusalemer Erntedankfest Schawuot „waren alle zusammen am selben Ort“. Christsein ist Gemeinschaft und damit Kirche; für sich allein kann man alles Mögliche sein, aber nicht Christ.
  • Das geschilderte Naturereignis, das wahrnehmbare stürmische Brausen, die sichtbaren Feuerzungen, will ich nicht ausschließen. Gott wirkt seine Wunder, aber nicht als Ersatz für einen Wetterbericht aus dem Jahr 33 n.Chr. Es ist vielmehr auch so eine deutliche Aussage: Der Sturm und das Feuer sind erkennbar auch die Symbole der Gotteserfahrung des Volkes Israel am Berg Horeb. Die individuelle Begeisterung und Geisterfülltheit ist also Verbunden mit der Tradition Israels. Christsein ist nicht möglich, ohne sich auf diese Geschichte einzulassen und aus der Bibel zu leben.
  • Deutlich ist weiterhin, dass diese ersten Christen sich nicht auf den hinteren Bänken einer Kirche in sicherer Entfernung verdrückten, sondern vorne dabei waren. Da ist offensichtlich etwas geschehen, dass sich Menschen begeistern ließen. Und wenn ich genau lese, wird gar nicht erzählt, dass nach dem Geistempfang die Christen auf die Straße gegangen oder die Leute ins Haus gekommen wären. Offensichtlich strahlte ihre Gotteserfülltheit aus, dass diese Grenze von Innen und Außen gesprengt wurde. Christsein ist ein aktives Tätigkeitswort, kein passives Konsumieren.

3.  In den vielen Sprachen Gott loben

  • Lukas baut also in seine Pfingsterzählung ein, was Christsein in einer Welt bedeutet, in der Menschen verschiedene Sprachen sprechen. Er sagt damit auch: Der Heilige Geist macht kein Spektakel, damit wir ehrfurchtsvoll ein Wunder bestaunen. Vielmehr ist das Wunder von Pfingsten eng damit verbunden, zu welchem Christsein der Geist in dieser Welt befähigt.
    Und es ist meiner Meinung nach umgekehrt: Nur wenn wir Christen in dieser Welt sein wollen, sind wir empfänglich für diesen Heiligen Geist. Pfingsten ist kein passives Geschehen, dass beliebig über Menschen hereinbricht.
  • Dann verstehe ich auch das Sprachenwunder. Denn Sprachen sind nicht harmlos. Sie sind eingebunden in die Lebenswirklichkeit von Menschen, ihren Kulturen und ihren Träumen, aber auch ihren Konflikten und Grenzen. Wenn es ein Lob Gottes gibt, dass diese Vielfalt zugleich akzeptiert und in jede einzelne Sprache eindringt, ist dies das Wunder. Das macht den ganzen Unterschied zur damals vorherrschenden Ideologie, dass Gebildete Griechisch sprechen (und auf Latein beherrscht werden), aber alle anderen Sprachen nur etwas für Barbaren sei.
  • Wir werden als Kirche nur in dem Maße empfänglich für Gottes Geist, in dem wir uns gemeinsam gleichermaßen immer wieder in der Tradition Israels und der Bibel verwurzeln und zugleich unsere Grenzen und Mauern durchlässig machen, indem wir aktiv werden: Heraus aus dem Gewohnten, auf die Menschen zu, die unsere Welt teilen. Vielfältig, reich an Gutem, aber auch an Konflikten. Und mitten in diese Lage hinein ist es dann auch uns möglich wie damals: "Gottes große Taten zu verkünden."