Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Pfingsten 2000 (Apostelgeschichte)

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11. Juni 2000 - Göttingen, Universitätskirche St. Nikolai

1. Nicht allein auf dieser Welt

  • Jeder weiß: Wir leben nicht allein auf dieser Welt. Jeder weiß es, aber in gewisser Hinsicht verdrängen wir es auch gerne. Denn die triviale Weisheit bedeutet, dass diese Welt nicht nur von mir gestaltet wird. Ich bin nur ein kleines, vielleicht manchmal aufgeregt hin und her hüpfendes Sandkorn, neben vielen anderen.
    Was ich bin, das bin ich geworden, zusammengebackene Materie aus der Ursuppe, in Jahrmillionen der Evolution zu einem mehr oder weniger intelligenten Zweibeiner herangereift. Einer unter recht vielen.
  • Wohl kaum jemand wird sich mit dieser Beschreibung so recht verstanden fühlen. Wir leben doch mehr oder weniger im Bewusstsein der eigenen Bedeutung. Das tun wir nicht ganz ohne Grund und nicht ganz zu Unrecht. Es wird für uns auch erfahrbar dadurch, dass unser Lebensraum nicht das ganze Universum und nicht die ganze Welt, sondern in aller Regel überschaubar ist. Hier zumindest sind wir nicht mehr einer (oder eine) unter gar so vielen.
  • Es ist ein Phänomen der letzten Jahre, dass in Deutschland zwar nach wie vor erstaunlich viele bereit sind, sich ehrenamtlich zu engagieren. Aber immer wichtiger wird dabei das Kriterium, dass man den Zusammenhang zwischen dem, was man tut, und dem, was dabei herauskommt auch erlebt. Man merkt das daran, dass es immer schwieriger wird Freiwillige für Aufgaben zu finden, die irgendwie "abstrakter" sind, mehr im Hintergrund, Leitungsfunktionen im Jugend- oder Sozialverband auf höheren Ebenen, also all die Aufgaben, von denen man (abstrakt) einsieht, dass sie wichtig sind, damit die Arbeit an der Basis möglich ist und funktioniert, wo man aber eben nicht mit der Zielgruppe direkt zu tun hat, nicht mit eigenen Händen erlebt, dass man helfen und etwas verändern kann. Je globaler die Welt wird, desto kleinräumiger wird der Bereich, in dem wir uns zutrauen etwas bewegen zu können.

2. Universum

  • Andere sehen das positiver. Gerade die globale Vernetzung des Wissens eröffne dem Einzelnen die Welt, in der er wieder seinen Platz finden kann. Die für manche rauschhafte Faszination des Internets hat doch wohl mit der grenzenlosen Kommunikation zu tun, die bis vor kurzem bestenfalls in den kleinen elitären Zirkeln der Kurzwellenfunker geübt wurde.
  • Anfang der 90er Jahre bereits hatte ein Physiker die Entwicklung der Informationstechnologie im Horizont der Sinnfrage interpretiert(1).
    Wenn die Entwicklung der Informationstechnologie mit derselben exponentiellen Geschwindigkeit fortschreitet, ist es nur noch die Frage weniger Jahrzehnte, bis Maschinen die Kapazitäten des menschlichen Gehirns übertreffen - und das weltweit online! Das bedeutet, so diese Überlegung, dass all die Vorgänge, die bisher auf unser Gehirn beschränkt sind, dass unsere ganze neurale Persönlichkeit nicht mehr auf die paar chemischen Prozesse in unserem Körper angewiesen ist, sondern auf das Basis künstlicher Intelligenz weiterleben könne. Die ganze Vielfalt der Welt, alle möglichen Welten seien denkbar und errechenbar und damit real. Von uns Menschen kann der evolutionäre Prozess weitergeführt werden zu einem kosmischen Omegapunkt, an dem ein Informationsmaximum erreicht wird, das die ganze Welt umfasst und emulgiert - mich angeblich unbedeutendes Sandkorn eingeschlossen.
  • Das mag arg nach Sience Fiction klingen, aber es hat weltweit seine Faszination, von der handgreiflichen Physik her Unsterblichkeit neu zu denken und zu begreifen. Daher sollte man die Faszination des Gedankens einen Augenblick auf sich wirken lassen, um die Sehnsucht zu spüren, die dahinter steckt: Dass mein Ich, das was mein Leben ausmacht und hervorbringt, nicht verloren geht im erkaltenden Weltall, sondern Teil eines Ganzen ist oder wird, das den Zielpunkt, den Omegapunkt der Existenz darstellt.

3. Geist und Sakrament

  • Gegenüber diesen großen Visionen mag die Aufzählung der Völker aus dem Mittelmeerraum provinziell erscheinen, die uns die Apostelgeschichte liefert, Parther, Meder und Elamiter. Aber die Botschaft des Pfingsfestes ist auch so deutlich genug: Wo der Heilige Geist ist, lässt er sich nicht auf ein Volk oder eine Sprache begrenzen.
    Noch viel weniger lässt sich der Geist auf kleine Gruppen, Gemeinden oder sonst etwas eingrenzen. Der kuschelige Nahbereich ist zu eng für den Geist Gottes. - Nein, diese Formulierung ist ironisch und trifft daher nicht den Kern. Der Geist Gottes eignet nicht als Polemik gegen das Bedürfnis nach "kuscheligem Nahbereich", denn er ist keine Forderung, sondern Erfüllung. - Der Geist Gottes schenkt ganz real die Freiheit, im Letzten nicht auf die Bestätigung und Geborgenheit des Nahbereichs angewiesen zu sein, weil vom Herrn selbst eine Bestätigung ausgeht, die alles übertrifft.
    Das sei nicht als billige Entschuldigung für Anonymität und Kälte in der Kirche verstanden, sondern als das was es ist: Verweis auf die Verheißung Gottes. Auf diese Verheißung hin haben einzelne Menschen immer wieder zeugnishaft ihr Leben in das Evangelium "investiert" auch wenn sie selten oder gar nie selber die Frucht dieser Mühen sehen konnten. Charles des Foucault gehört für mich zu diesen Menschen.
  • Dennoch, Pfingsten ist nicht nur das Fest der Universalität. Der eine Geist des einen Gottes lässt sich in vielen Zungen auf die vielen versammelten Jünger nieder, denn sie alle sind ein Glied der Kirche. In all ihrer Verschiedenheit haben sie ihren Ort in dem anbrechenden Reich Gottes. Jeder Mensch mit seiner Fähigkeit.
    Am Dreifaltigkeitssonntag, der auf Pfingsten folgt, wird noch deutlicher warum das so ist. Denn dieser Heilige Geist, der sich auf die Jünger ergießt, ist der Geist, der nicht nur vom Vater ausgeht, sondern auch vom Sohn. Es ist auch der Geist, der den einen, individuellen Menschen Jesus Christus erfüllt hat. Auch wenn wir uns dies oft nicht so vorstellen. Der Christus war Mensch wie wir, mit seinen Bedürfnissen nach Nähe und Geborgenheit.
  • Was die Kirche ist, muss sich an diesem Geist messen lassen. Denn die Kirche ist aus dem Pfingstereignis hervorgegangen. Was in ihr daher Nähe ist und was in ihr Universalität ist, kann nie ihr eigenes Produkt sein.
    Die Kirche war nie ein lokaler Jerusalemer Glaubensverein, der nach und nach international geworden ist. Vielmehr: Sie ist aus dem Geist gegründet als die Kirche, die Israel und die Völker umfasst. Sie ist auch nicht aus Aktivitäten entstanden und hat dann nach und nach Gemeinden gebildet, in denen Menschen sich wohl gefühlt haben. Vielmehr: Sie ist aus dem Geist gegründet, der den einzelnen Menschen erfasst, begabt und in die Gemeinschaft Christi mit dem Vater hineinnimmt.
    Wenn das anders wäre, könnte man nur schreiend davonlaufen. Denn dann wäre der Anspruch der Kirche, "eins" sein zu wollen, totalitär. Gerade, wenn es auch um menschliche Nähe in der Kirche geht, wäre es unerträglich, wenn die Kirche nicht immer und in jedem Augenblick darum weiß: Wir sind nicht aus uns gegründet, sondern von dem anderen her, der diese Welt geschaffen hat und der sie sammeln will, um sie in den Ursprung zurückzuführen. Der Omegapunkt ist nicht die Summe dessen, was wir sind, sondern Christus allein(2).
  • (Das, nichts anderes, spiegelt sich auch in den Sakramenten nieder. In der Taufe werden wir mit Namen genannt in das auserwählte Volk Gottes eingegliedert, auserwählt ein Zeichen der Hoffnung zu sein für alle Völker. In der Firmung wird die Salbung mit dem Heiligen Geist zur Sendung. Und in der Eucharistie ist der eine Herr, gebrochen im Brot, für die vielen da, um uns als seinen Leib aufzubauen: Christus ist das Haupt, der Schöpfung und der Kirche und jedes einzelnen Getauften. Daher fließt Universalität und Singularität in ihm zusammen. Jeder Mensch gewinnt vor Gott unverlierbare Bedeutung.) Amen.

Anmerkungen

1. Tipler, Frank J.: Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten. München, Zürich (Piper) 1994. - Mutschler, Hans-Dieter: Auferstehung aus der Festplatte. Religiöse Weihe für den Fortschritt. Zu Frank Tiplers Buch "Die Physik der Unsterblichkeit". In: Pub lik-Forum. Nr. 12/1994, S. 45-46.

2. Diese Begrifflichkeit stammt natürlich nicht von F.J.Tipler, sondern von Pierre Teilhard de Chardin: Der Göttliche Bereich. Ein Entwurf des inneren Lebens. Deutsch von Josef Vital Kopp. Olten, Freiburg/Breisgau (Walter) 2. Auflage 1962.