Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt Ostern Lesejahr C - In der Nacht 2013

Zurück zur Übersicht von: Osternacht (C)

30. März 2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. John, der Kindersoldat

  • John war 11 Jahre alt, als sie in sein Dorf kamen. Sie nennen sich LRA, die 'Widerstandskämpfer des Herrn'. Sie mögen aus einer formal christlichen Gegend im Süd-Sudan kommen. Ihr Gott aber ist Joseph Kony, der Erbarmungslose, der weiß wie man Kinder zu gefügigen Mördern macht.
  • Dem 11jährigen John gaben sie eine Pistole in die Hand und setzen ihm eine andere an die Schläfe. Entweder, so sagten sie ihm, würde er jetzt seine Mutter erschießen oder sie würden ihn und seine Mutter erschießen, so wie sie den Vater schon erschossen hatten. Das Kind steht da, die Pistole mit zittrigen Fingern auf seine Mutter gerichtet. Die Mutter nickt John zu. So könne er wenigstens sein Leben retten. So wird ein 11jähriger zum Mörder und zum gefügigen Kinder-Soldaten, indem sie ihn in eine ausweglose Entscheidung getrieben haben, aus der es keine Rettung gab.
  • Geschätzten 66.000 Kindern ging es ähnlich wie John. Erst seit letztem Jahr erst gibt es eine breite Aktion den UN, um diesen Joseph Kony zu fassen, der so viel Unheil über Kinder im Sudan und in Uganda gebracht hat.
    Es ist solche Realität, die als Hintergrund für Ostern gelesen werden kann, ja, eigentlich gelesen werden muss. Denn das Schicksal von Menschen wie dem heute 13jährigen John, der gezwungen wurde seine eigene Mutter zu erschießen, sind Teil der Realität des Lebens.

2. Hören auf die Schrift

  • Von daher stelle ich mir vor, wie wohl der John, der 13jährige, heute Nacht die Lesungen gehört hat. Mancher von uns ist versucht, bei so viel Bibellesung erschöpft vom Stuhl zu sinken. Sieben Lesungen aus dem Alten Testament, dazu die sieben Psalmen, dazu eine Lesung aus dem Römerbrief im Neuen Testament und schließlich das Evangelium - das macht 16 Bibeltexte in einem Gottesdienst! -
    Vielleicht aber haben auch heute wieder viele die Erfahrung gemacht, dass man in diese Texte eintauchen kann, wie in einen Strom. Dann wird diese Stunde der biblischen Lesungen zur Meditation. Die einzelnen Wörter bekommen Sinn auf einer tieferen Ebene als nur dem Verstand. Der Fluss der Lesungen wird zu einer Einheit. Und darin bekommen einzelne der Lesungen Kontur, je nachdem, wer sie hört.
  • John, der ehemalige Kindersoldat, hätte gehört, dass diese Welt nicht böse geschaffen ist, als Welt aus Krieg und Gewalt; nein, Gott hat die Welt geschaffen, damit der Mensch leben kann. Und dort, wo Gewalt herrscht, steht Gott seinem Volk bei und befreit es aus der Sklaverei. John hätte aufmerksam die Propheten gehört, die eine Welt verheißen, die von Gottes Liebe verwandelt wird. Das alles hätte John auf das Evangelium vorbereitet: Gott vermag den Tod zu überwinden.
  • An einer Stelle wäre John vielleicht hellwach gewesen; es ist die Lesung, die uns so fremd und falsch vorkommt, weil dort auf Gottes Geheiß die Opferung eines Sohnes geplant wird. Abraham, so heißt es, sei von Gott in eine schreckliche Situation gebracht worden. Sein Vertrauen in Gott wird auf die härteste aller Proben gestellt: Er steht vor der Wahl, Isaak seinen eigenen Sohn, zu opfern oder Gott untreu zu werden.
    John würde sofort verstehen, worum es hier geht. Ist Gott so wie Joseph Kony, der Kinder zwingt zu Mördern zu werden? Wo ist Gott, wenn Menschen eine solche Prüfung zu bestehen haben? Hier, in dem Drama, das hier berichtet wird, findet eine Entscheidung statt.

3. Gott offenbart sich im Leben

  • Die Stunde der Lesungen in der Osternacht ist die Stunde des Dramas um Gott und Mensch. Hier steht zur Debatte, ob Gott sein Werk verpfuscht hat oder ob die Schöpfung im Kern gut ist. Hier steht zur Debatte, ob Gott den Schrei derer hört, die in Sklaverei, Gefangenschaft oder gar im Tode sind, oder ob Gott diese Welt egal ist. Und hier steht zur Debatte, ob Gott zu den Götzen gehört, die Menschenopfer fordern, oder ob er ein Gott ist, dem man vertrauen darf, wie Abraham vertraut, wenn er zu Isaak sagt: "Gott wird sich das Opferlamm aussuchen, mein Sohn."
  • Ja, Gott rettet aus ausweglosen Situationen. Um dieses Vertrauen kreist unser ganzes Osterfest. Ohne dieses Vertrauen wäre auch der schönste Ostergottesdienst nur Show. Das Vertrauen aber besteht nicht im luftleeren Raum, sondern angesichts des realen Lebens und realer Erfahrung. Das Vertrauen ist auch keine Aufwallung der Halleluja-Gefühle, sondern kann wachsen und sich verändern, denn das Leben ist mindestens so vielfältig, wie die vielen Situationen, von denen die Lesungen berichten.
  • John lebt heute in einer Einrichtung der Comboni-Schwestern im Sudan. Er lernt darauf zu vertrauen, dass der wahre Gott ihn nicht zwingt andere zu morden. Er lernt, dass er diesem Gott sein Herz öffnen darf, denn Gott weiß, dass er gezwungen wurde zu morden. Gott weiß, dass John kein Mörder ist, und dieses Wissen gibt John die Kraft, mit seiner Vergangenheit zu leben und aus dem Tod, in den er getrieben worden war, aufzuerstehen. Er wird, wie wir heute Nacht, das Fest der Auferstehung Christi feiern und sein Halleluja singen, dass im Drama der Welt sich Gott als Gott des Lebens erweist, dem er und wir vertrauen dürfen. Amen.

 


 

Ob "John", von dem ein Artikel in DIE ZEIT gezwungen wurde, seine Mutter zu erschießen, weiß ich nicht. Tatsächlich aber war (und ist?) das eine Methode der Truppen von Joseph Kony, um Kinder zu gefügigen Soldaten zu machen, die nach dieser Traumatisierung für Massaker an Zivilisten eingesetzt werden können. 
Vergeleiche die Informationen unter http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Kony und zur Aktion Kony 2012.

Fragwürdig sind die filmischen Verarbeitungen des Themas in Machine Gun Preacher von Marc Forster (2011) und in "Mr. Eko" in der Serie Lost.