Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Karfreitag 2017

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14. April 2017 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Der Film "Silence" (Schweigen) von 2016 ist eng an die Romanvorlage des des japanischen Autors Endo Shusaku angelehnt.  Dieser entwirft eine Erzählung vor dem Hintergrund der Situation, wie sie die Predigt (stark vergröbernd) schildert. Nur in einem geht der Regiesseur Martin Scorsese über die Vorlage hinaus: In einer ergänzten Schlussszene zeigt er den Priester, der aus Mitleid mit den um ihn zu erpressen Gefolterten den Glauben verleugnet hat. In seinen Händen bewahrt er, der für ein buddhistisches Begräbnis vorbereitet wird, das Bildnis des Gekreuzigten in den Händen - jenes Bildnis, dass ihm die einfachen Christen geschenkt hatten, für die ihm Christus gestorben ist.

1. Ist das Gott

  • Ist das wirklich Gott? Ist das Gott, der sich bespucken, treten und ans Kreuz schlagen lässt? Wem diese Frage nicht kommt, hat entweder nicht verstanden, wer Gott ist, oder nicht verstanden, welches Schicksal die Kreuzigung bedeutet.
  • Ist es nicht fast naheliegend zu leugnen, dass das Gott ist? Viele Zeitgenossen heute sehen in Jesus nur den Menschen, tragisch gescheitert. Nur seine Botschaft (oder was man dafür hält) habe überlebt. Aber Gott, nein, Gott sei er nicht.
  • In der antiken Kirche gab es umgekehrt starke Gruppen, die zwar in Jesus Gottes Gegenwart erkannten, aber überzeugt waren: Das war nicht er, der da gekreuzigt wurde. Noch im Koran schlägt sich diese Tradition nieder. Zwar wird Jesus dort nur als ein Prophet Gottes gesehen wird; doch ist es dem Koran unerträglich, dass dieser Mann Gottes einfach Opfer ist und einen solchen Tod gestorben sein soll.
    Der Islam erklärt daher die Kreuzigung Jesu zu einer Fake-News: Ein anderer sei es, der gekreuzigt wurde. Doch nicht Gottes Prophet! Und schon gar nicht Gott, der sich so erniedrigen ließe!

2. Gott, der auf sich treten lässt

  • Vor vierhundert Jahren hat die Christenheit eine ihrer blutigsten Verfolgungen erlebt. Die gegenwärtigen Christenverfolgungen in vielen Ländern machen uns dafür wieder sensibel.
    Damals geschah es in Japan. Auf grausamste Weise haben die Machthaber den christlichen Glauben ausgerottet. Tausende wurden gefoltert, viele davon gekreuzigt. Zehntausende sollten zum Glaubendabfall gezwungen werden. Dazu mussten sie auf ein Bild des Erlösers treten: Tritt drauf, dann entgehst du der Folter! Es sei doch nur ein äußerliches Zeichen, sagten die Folterknechte.
  • Die christliche Gemeinde in Japan war um 1600 schon auf ein paar Hunderttausend angewachsen. Vor allem unter den rechtslosen, ausgebeuteten Bauern hatte der Glaube Fuß gefasst. Sie haben die Botschaft verstanden: Der Gott des Himmels schaut uns an. Wir sind ihm nicht gleichgültig.
    Sicher war das Kolonialverhalten von Europäern Auslöser der Verfolgung durch die Regierung. Aber dass diese 250 Jahre blutig weiter ging, bis kaum noch Christen überlebt hatten, das hat eher einen tieferen Grund. Die Herrscher hatten verstanden, dass ihnen dieser Glaube gefährlich werden konnte. Nichts davon sollte überleben.
  • Diese teuflischen Verfolger haben verstanden, was unbegreiflich ist: Was ist das für ein Gott, auf den man treten kann! Das war sowohl den Verfolgern und wie den Verfolgten klar: Mit dem Treten auf das Bild, wird Gott selbst getroffen. So widersinnig das ist, ist Gott einer, der sich bespucken, treten und ans Kreuz schlagen lässt.
    Die Verfolger haben den Bauern zynisch lächelnd gesagt: Tritt ruhig drauf, es ist doch nur äußerlich. Aber sie wussten genau, dass sie die Seele treffen. Deswegen haben diese einfachen Menschen Christus geglaubt: Gott sitzt nicht im Himmel. Er, der Herr des Himmels, ist unter uns auf Erden. Das macht ihn auf Erden verletzlich. Wahrhaft göttlich ist nicht, in den Himmeln zu wohnen, sondern bei den Menschen zu sein, auch und gerade wo es schwer fällt.

3. Offenbarung Gottes

  • Aus der Verfolgung in Japan wird ein Detail erzählt: Man wollte auch Priester zum Abfall vom Glauben zwingen. Wenn sich der Priester geweigert hat, auf das Bild zu treten, hat man nicht etwa ihn selbst, sondern statt ihm wehrlose Christen gefoltert. Diese Strategie ist diabolisch. Tritt der Priester vor aller Augen auf das Bild, dann gibt er ein Zeugnis gegen seine Treue zu Christus. Tut er es nicht, verletzt er das Gebot der Liebe, für das derselbe Christus gestorben ist.
  • Die sich das ausgedacht hatten, waren gut informiert über Gott, an den die Christen glauben. Sie selbst waren an Menschenverachtung nicht zu überbieten; aber andere erpressten sie mit deren Liebe zum Menschen.
    Es wird von Priestern erzählt, die in dieser Situation den demonstrativen Glaubensabfall verweigerten und ermordet wurden. Es wird von anderen erzählt, die auf das Bild getreten sind und als Schatten ihrer selbst weiterexistieren durften. Niemand sollte über die einen oder die anderen urteilen.
  • Am heutigen Karfreitag jedoch verstehe ich durch diese Berichte tiefer, warum Jesus, der Sohn Gottes, das Kreuz auf sich genommen hat. Es ist der selbe Gott, der gegenwärtig ist im Bild, auf das sich treten lässt. Es ist der selbe Gott, der sich sogar verleugnen lässt durch seine Priester. Gott lässt sich bespucken und verleugnen, selbst durch seine Freunde. Gott lässt dies geschehen aus keinem anderen Grund als dem einen: Um ein Gott zu sein für die Menschen. Der auch die Geringen anschaut und ihnen Gott ist. Darin offenbart sich Gott; er zeigt sich, wie er ist.
    Doch Gott stellt sich im Kreuz des Jesus Christus nicht nur gegen die Menschenverachtung der Mächtigen. Gott offenbart darin auch dem Verbrecher seine Liebe. Ja, es ist wirklich Gott. In dieser Liebe scheint bereits Ostern auf. Durch sie öffnet Christus den Weg in eine neue Wirklichkeit. Amen.