Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Karfreitag 2012

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7. April 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Notwendigkeit der Ereignisse des Karfreitag

  • Was heute durch Jesus von Nazareth in Jerusalem geschieht, ist kein Zufall. Es ist kein Zufall, so als hätte es auch einem anderen geschehen können, an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit.
  • Jesus wurde zum Spielball der Machtkämpfe zwischen Hohenpriestern und römischen Besatzern. Und dennoch stellt Johannesevangelium die Passion dar, als hätte Jesus souverän jederzeit die Fäden in der Hand. Oberflächlich ist es Pilatus, der ihn verurteilt. Johannes sieht tiefer: Jesus ist diesen Weg gegangen. Der Verurteilte ist der Richter, der Getötete hat das Leben.
  • Was heute geschehen ist, ist geschehen, weil Jesus in großer innerer Freiheit seinen Weg gegangen ist in der Verbundenheit mit Gott. Was uns in der Passionsgeschichte erneut vor Augen gestellt wurde, folgt aus dieser Verbundenheit mit Gott. Ohne Gott wäre Jesus vor dem Kreuz geflohen und wäre zum Spielball anderer Mächte geworden. Er aber ist der Sohn des Vaters geblieben.

2. Gottes Nähe, Gottes Ferne

  • Das Geschehen am Karfreitag rührt aus der Verbundenheit des Menschensohnes Jesus mit Gott, seinem himmlischen Vater.
  • Gott ist für Jesus die alles umfassende und alles überragende Wirklichkeit. Nichts ist für ihn so wirklich wie Gott. Nichts so mächtig, allmächtig wie sein himmlischer Vater. Niemand ist ihm auf seinem ganzen Lebensweg so nahe. In jedem Zeichen, das Jesus wirkt, in jedem Wort, das Jesus sagt, dort handelt und wirkt Gott. Gott ist der Grund der Freiheit und Souveränität Jesu. Er kann ganz er selbst sein, weil er ganz aus Gott lebt.
  • Gerade deswegen erlebt er nun die Gottesferne. Es scheint so zu sein: je näher ein Mensch der Wirklichkeit Gottes kommt, desto mehr überwältigt ihn, dass Gott eben nicht ein Teil dieser Welt ist. Solang ich zu klein von der Heiligkeit Gottes denke, kann ich meinen, hier oder dort, in dieser mystischen Erfahrung oder in jenem Wunder sei Gottes Gegenwart erfüllt. Je mehr ein Mensch Gottes wahre Heiligkeit erfährt, desto ferner ist ihm der stets nahe Gott.

3. Schmerz der Sehnsucht

  • Das Einzigartige des Kreuzestodes Jesu ist nach das physische Leid. Die Menschheit scheint sich bis heute darin zu steigern, Unschuldige leiden zu lassen. Was Jesu Kreuzestod so einzigartig macht, ist dies, dass er ganz aus Gott lebte und deswegen die Gottesferne durchlitt wie kein anderer. Gerade weil das Wort Fleisch geworden ist und als Gottes Licht unter uns leuchtet, wurde an ihm die Finsternis sichtbar.
  • Eine Spur des Verstehens kann die eigene Erfahrung der Liebe legen. Vielleicht ist es das Kennzeichen der größeren Liebe zwischen zwei Menschen, dass sie den Schmerz erfahren, dass der Geliebte größer ist, als alles, was ich haben und besitzen könnte. Je größer die Erfahrung der Heiligkeit eines Menschen ist, desto mehr könnte diese wunderbare Erfahrung von einem tiefinneren Schmerz begleitet sein.
  • Dieser Schmerz aber ist kein Schmerz der einsamen Verzweiflung. Vielmehr ist Jesus gerade im Augenblick der größten Einsamkeit am Kreuz ganz bei Gott. Vom Kreuz herab stiftet er die Gemeinschaft: "Siehe, deine Mutter! - Siehe, dein Sohn!". Vom Kreuz herab spricht er das Wort der Sehnsucht: Ihn dürstet nach der Liebe, in der Gott selbst sich offenbart. Am Kreuz ist sein Leben nicht beendet, nicht im Zufallsstrom verloren, sondern "vollbracht". Amen.