Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Gründonnerstag 2012

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5. April 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Vom zufälligen Geschehen zum Sinn

  • Was heute durch Jesus von Nazareth in Jerusalem geschieht, ist kein plötzlicher Einfall Jesu. Das Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern hält, das Beispiel, das er ihnen in der Fußwaschung gibt, das Brot, von dem er sagt, das sei sein Leib, der Wein, über den er den Segen spricht und in dem er sein Leben gibt - all das geschieht nicht zufällig.
    Uns mag es vielleicht so scheinen, als hätte dieser Abend auch ganz anders gestaltet werden können. So als hätte es auch ein ganz anderes Zeichen sein können, das Jesus seinen Jüngern gegeben hätte. Aber wie auch die anderen Ereignisse und Taten Jesu in diesen letzten Tagen, hängt auch dieses Abendmahl eng zusammen mit dem ganzen Leben Jesu und mit dem, was er wollte und beabsichtigte. Jesus ist von Anfang an der Sohn Gottes, der seinen Leib und sein Leben schenkt. Er ist von Anfang an der Menschensohn, der erscheint, um die Gemeinschaft des Volkes Gottes zu sammeln.
  • Hier und heute, an diesem letzten Abend Jesu mit seinen Jüngern, findet der rote Faden, der sich durch die Existenz des Jesus von Nazareth zieht, seinen Ausdruck, Hier wird diese Linie Wirklichkeit. Jesus hatte mit Vollmacht Gottes Wort gesprochen, in dieser Vollmacht sich den Kräften des Bösen und der Krankheit entgegengestellt. Er war überzeugt, dass in ihm Gottes Gegenwart für diese Welt ist: Die Gegenwart des Gottes, der die Welt erschaffen hat, der sich dem Abraham, Isaak und Jakob offenbart und sein Volk Israel aus der Sklaverei befreit hat.
  • In den Zeichen des Abendmahles greift Jesus auf die Erinnerung Israels zurück. Seinen eigenen Tod bezieht er auf diese Geschichte, in der Gott an Israel handelt, und das Mahl, das er mit seinen Jüngern hält, lässt diese Geschichte Gegenwart werden. Das ungesäuerte Brot, das Jesus nimmt und bricht und seinen Jüngern reicht, verweist auf den Aufbruch aus Ägypten. Es ist die Speise der Befreiung. Der Becher Wein, über den Jesus den Segen spricht und ihn seinen Jüngern reicht und sagt "Das ist mein Blut", verweist zurück auf den uralten Hirtenritus, der mit dem Blut der Opfertiere bestrichenen Türpfosten (oder ursprünglich Zeltposten). Dieses Zeichen wurde Israel zum Zeichen des Bundes und der Bewahrung vor dem Tod.
    Auf all dies bezieht sich Jesus am letzten Abend mit seinen Jüngern. Er will die Geschichte Gottes mit Israel erfüllen. Daher das Brot und der Wein.

2. Existenz aus dem Willen des Vaters

  • Viele Bruchstücke unserer eigenen Biographie mögen auf den ersten Blick belanglos und wie zufällig neben einander liegen. Je mehr aber es unsere eigene Biographie ist, desto mehr ergeben die Bruchstücke ein Ganzes. Dies geschieht, indem ich mein Leben selbst gestaltet. Dies geschieht aber auch, wo ich das annehme, was mir von anderen angetan wird. Aus den Bruchstücken meines Lebens wird ein Ganzes, wenn ich es Gott anvertraue. Gestalten, was ich gestalten kann, annehmen, was mir auferlegt ist: Das ist die Dynamik, die den Sinn in meinem Leben sichtbar und wirklich macht, die den Sinn meines Lebens erfüllt.
  • Jesus kann seinem eigenen Leben Sinn und Richtung geben, weil er es auf diese Geschichte bezieht. Er empfängt den Sinn für sein Leben aus der Geschichte, die Gott mit seinem Volk gegangen ist. Wenn er nur für sich selbst und aus sich selbst gelebt hätte, wären die Teile seines Lebens Bruchstücke geblieben.
  • Aber er hat sein Leben immer in Verbindung mit der Geschichte Gottes gelebt. In seinem Handeln hat er Gottes Liebe ausgedrückt. Und in dem, was ihm angetan wurde, ist er dieser Liebe treu geblieben. Mit dem Brot, in dem sein Leib gebrochen wird, ist er in unserer Mitte; mit dem Wein, in dem sein Blut vergossen wird, führt er seine Jünger zusammen in dem erneuerten Bund Gottes mit seinem Volk.

3. Teilhaben im Sakrament

  • Jeden Sonntag und in besonderer Weise heute feiern wir dies gemäß dem Auftrag Jesu "Tut dies zu meinem Gedächtnis!". Es ist keine Feier, die wir uns ausgedacht hätten oder selbst herstellen könnten. Auch Paulus betont "Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe". Wegen dieser Treue zum Ursprung ist das Gedächtnis hier nicht bloße Erinnerung. Heute ereignet sich und wird Wirklichkeit, was damals im Abendmahlsaal geschah und seine Kraft bezogen hat aus dem Handeln Gottes beim Auszug aus Ägypten.
  • Für uns bedeutet das: Wenn wir Christen sind, liegt in dieser Feier der Sinn unseres eigenen Lebens. Die Bruchstücke unserer Biographie und unseres Alltags, dessen was wir gestaltet und getan, aber auch dessen was uns angetan wurde und was wir erlitten haben, tragen wir zu diesem Altar. Als einzelne Teile mögen sie keinen Sinn ergeben. Keiner von uns kann behaupten, dass unser Leben dadurch eine Einheit bildet, dass wir immer aus dem Willen Gottes leben würden. Aber jeder von uns ist eingeladen, das, was wir gestalten, und das, was wir an Erlittenem annehmen, hier darzubringen. Mit den Gaben von Brot und Wein tragen wir sie zum Altar, vor Gott hin. Wir bitten ihn, dass er uns verwandelt und annimmt.
  • Aber wir machen dies nicht allein, jeder für sich. Wir müssen es auch nicht aus eigener Kraft und Vollkommenheit tun. Wir feiern zusammen ganz schlicht in der Treue zu dem, was uns überliefert und aufgetragen ist. Unter uns sind die Kinder, die im Mai zum ersten Mal an der Heiligen Kommunion teilhaben werden. Im Blick auf sie wird deutlich, wie wichtig die Treue zu dem Auftrag Jesu ist. Diese Kinder sollen hineingeführt werden in das Mysterium, in dem ihr Leben Sinn und Richtung bekommt.
    Das Wort, das die Bibel verwendet, heißt "Erfüllung". Die Vergangenheit, die wie zufällig erscheint, kommt zur Erfüllung, wo wir sie gemeinsam mit Christus zu Gott bringen. Das Gedächtnis, das wir gemeinsam feiern, wird zum Auftrag, einander mit der Liebe zu dienen, mit der Gott uns dient, unser Leben annimmt und zur Erfüllung bringt. Amen.