Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr C) 2003

Zurück zur Übersicht von: Hl. Familie Lesejahr C - Lukas

28.12.2003 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt

"The Last Temptation of Christ"/"Die letzte Versuchung Christi" hat Martin Scorsese nach dem Roman von Nikos Kazantzakis (Drehbuch Paul Schrader) , nicht nach einer Evangeliumsvorlage gedreht. Der Film löste in manchen Kreisen heftige Ablehnung aus. Denn er schildert - und zeigt - als die Versuchung, die Jesus plagt, die Versuchung nach einem ruhigen Leben in bürgerlicher Normalität. Die drei Versuchungen Christi, die die Evangelien schildern, haben sicher nichts von ihrer Aktualität verloren. Aber Kazantzakis und Scorsese haben in diesem sehr intensiven Film deutlich gemacht, dass im Rückzug in das Private vielleicht die Hauptversuchung des christlichen Glaubens in der Gegenwart besteht.

1. Hanna und Samuel

  • Hanna hat Sehnsucht nach Leben. Ihr Mann Elkána liebt sie. Aber sie hat keine Kinder. Für sie bedeutet das gesellschaftliche Ausgrenzung und tiefe Selbstzweifel. Sie ist wie jemand, der als einziger im Bekanntenkreis keinen Job hat und durchgefüttert werden muss. Niemand macht ihr Vorwürfe. Aber sie weiß, dass sie gescheitert ist und erfährt die stille Einsamkeit.
    Jahr für Jahr zieht sie zur Wallfahrt zum Heiligtum nach Schilo und stammelt verzweifelt vor Gott, bringt ihr Unheil vor den Höchsten. Sie verspricht Gott für den Fall, dass ihre Bitte nach einem Kind erfüllt wird, ihm, Gott, dieses Kind zu weihen.
  • Hannas Sehnsucht wird gestillt. Eine Verheißung erfüllt sich. Gott hat auf sie gehört - und Hanna erfüllt ihr Versprechen. Nur scheinbar gibt sie sogleich wieder her, was sie von Gott empfangen hat. Nur scheinbar, denn diese Frau lebt in solcher Verbundenheit mit Gott, dass etwas Gott anzuvertrauen für sie ebenso gut ist, wie es selbst für sich zu behalten. Sie gibt Samuel, ihr kleines Kind, in die Obhut des Priesters Eli am Heiligtum von Schilo. So wird aus Samuel der erste der Propheten.
  • Welten und über 3.000 Jahre trennen uns von Hanna. Aber einiges erkennen auch wir wieder. Die Sehnsucht nach Anerkennung und Leben. Vielleicht auch die Sehnsucht nach einem Kind. Vielleicht auch das flehentliche Gebet zu Gott: Gib mir einen Ort an dem ich leben kann, gib mir Menschen, bei denen ich geborgen bin. Wenn wir das wieder erkennen, dann hat uns die Glaubenshaltung der Hanna auch heute noch etwas zu sagen.

2. Jesus - an Gott ausgeliefert

  • Der 12jährige Jesus, der sich in Jerusalem von seinen Eltern absetzt, ist ein Aufflackern des Kommenden. Bei einem Halbwüchsigen mag es noch ein Abenteuer gewesen sein. Aber vielleicht hat der Junge von 12 Jahren schon gespürt, was kommt. Hier hat er zum ersten Mal erfahren, dass Gott sich zwischen ihn und seine Familie stellt.
  • Für Jesus bleibt die Heilige Familie eine vorübergehende Erfahrung. Das Schweigen der Evangelien über Joseph lassen vermuten, dass Jesus seinen Vater auf Erden früh verloren hat. Statt dessen wurde er in die Arme seines himmlischen Vaters getrieben: durch den Geist Gottes, in die Wüste. Dort, in der Einsamkeit, wird er die ganze Wucht der Versuchung erfahren haben: Der Versuchung, sich anzupassen, zu sein wie die anderen, einem geregelten Leben nachzugehen, sein Glück zu suchen, eine Frau zu finden, eine Familie zu gründen, zu einem angesehenen Bürger seiner Heimat zu werden. So hätte es werden können. Die Wüste aber führt ihm nachhaltig vor Augen, zu welcher Einsamkeit ihn Gott bestimmt hat.
  • Jesus wäre sicher ein geachteter Bürger seiner Heimat geworden. Er wäre ein wunderbarer Ehemann und Familienvater gewesen, hätte auf die Schar seiner Kinder und Enkel stolz sein können. Wer weiß, vielleicht würde man sich heute noch dieser heiligmäßigen Familie erinnern.
    Diese Alternative vor Augen mögen wir ermessen, was es für Jesus bedeutet haben muss, dass Gott ihn einen so anderen Weg führt. Der 12jährige im Tempel ist beeindruckend, wie er da unter den bedeutenden Lehrern im Tempel sitzt. Beeindruckend ist es - und einsam ist dieser Knabe. Er hat seine Familie verloren und ist dem allmächtigen Gott ausgeliefert.

3. Berufung

  • 1000 Jahre liegen zwischen dem Knaben Samuel, den Hanna im Tempel abliefert, und dem Knaben Jesus, der Gottes Ruf spürt und seine Familie verlässt. Noch einmal 2000 Jahre liegen zwischen Jesus und uns. . Die Frage aber bleibt: Wozu hat Gott uns berufen? Was hat es zu bedeuten, dass ich heute hier sitze, statt wie die Mehrheit der Zeitgenossen den Sonntag Abend zu verbringen? Die Distanz zwischen Jesus und uns ist nicht groß genug, dass wir sicher sein könnten, dass auch unsere Berufung nicht darin aufgeht, unser ganz privates Glück zu finden.
  • Trotz all der Jahre knirscht es noch heute im Räderwerk dieser Welt. Und zugleich knirscht es im Getriebe unseres eigenen Lebens. Kann sein, dass Sie berufen sind, in dieser Welt eine kleine Insel der Ruhe zu finden und zu schaffen. Gottes Berufung kann dort liegen. Kann aber auch sein, dass dieses Knirschen im Räderwerk der Welt um uns herum lauter wird und mich erreicht. Kann sein, dass der Moment kommt, an dem ich spüre, dass ich nicht so weiter leben kann, als wäre alles in Ordnung.
  • Dann muss ich mich entscheiden, ob ich dem privaten Glück vertraue oder mich dem allmächtigen Gott ausliefern muss. Ich kann nur hoffen, dass dieser Gott mir dann die nötige Kraft gibt. Kraft, wenn die Zumutung einer Welt nicht mehr auszuhalten ist, die will, dass ich schweige zum Unrecht. Kraft, wenn die letzte Versuchung da ist, vor der Kälte des Getriebes in die schützende Wärme des Privaten abzutauchen. Maria, die Mutter Jesu, hat ihren Sohn im Tempel verloren und erst unter dem Kreuz wieder gefunden. Welchen Weg Gott für uns bereit hält, ich weiß es nicht. Mir bleibt nur der Glaube, dass Gott mich trägt. Das ist der Glaube Jesu. Amen.