Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr A) 1995

Zurück zur Übersicht von: Hl. Familie Lesejahr A - Matthäus

31.12.1995 - Pfarrei Rickenbach/Schwarzwald

1. Familienidylle

  • Das Fest der Hl. Familie ist ein verhältnismäßig neues Fest, mit dem die Kirche auf die Bedrohtheit der Familien seit der industriellen Revolution reagiert hat. Heute gilt das Thema Familie als typisch katholisch. Die Kirche, so meinen viele Christen, habe die wichtige Aufgabe, die Familien zu schützen und zu fördern. Das ist wohl auch so.
  • Dennoch sollten wir vorsichtig sein, uns als "Hüter der Familie" aufzuspielen: Ein Blick in die Heilige Schrift zeigt im Gegenteil, wie Jesus die Familie relativiert:
    - Jesus macht als 12jähriger im Tempel und später noch mehrfach durch sein Verhalten gegenüber seiner Mutter und seiner Familie deutlich, dass seine Bindung an Gott, den Vater im Himmel, über der zu seiner leiblichen Familie steht.
    - Jesus nimmt in Kauf, dass die Familien der Jünger durch die Berufung zur Nachfolge zerrissen werden.
    - Und schließlich gilt die unbedingte Forderung im Evangelium, niemanden seinen Vater zu nennen als Gott.
  • Die Heilige Schrift ist also kein Hort der idyllischen Familie. Sie ist aber auch nicht die Entschuldigung, alle Bindungen ohne weiteres über Bord zu werfen und sich nicht um die Familie zu kümmern.

2. Berufen und gesandt

  • Das Eigentümliche der Botschaft Jesu ist, dass er uns herausruft (aus unserer Umgebung und auch unserer Familie) und gleichzeitig sendet. Dies ist auch die Grundstruktur im Evangelium des heutigen Tages: Der Engel sendet, Joseph handelt.
  • Damit sind wir uns in unseren Familien einander anvertraut. Nicht die naturhaften Bande, nicht der stärkere Arm des Vaters, nicht die Vorteile im Steuerrecht sind das Fundament der Familie, sondern diese Sendung.
  • Dass diese insbesondere eine Sendung zu den Schwachen ist, lehrt ein Blick in die erste Lesung aus dem Buch Jesus Sirach. Die Sendung füreinander bewährt sich dort, wo es gilt, uns ganz von der Not der anderen Bestimmen zu lassen.

3. Die Verheißung

  • Es mag mancher so empfinden, dass Jesus damit überfordert. Es mag so aussehen, als würde das den Gegebenheiten nicht mehr gerecht. Ich glaube aber im Gegenteil, dass Jesus mit seiner Botschaft ein neues Fundament legt, auf dessen Grund wir heute wie damals uns den Gegebenheiten stellen zu können, ohne ihnen ausgeliefert zu sein.
  • Das Evangelium ermöglicht eine neue Haltung. Getragen ist diese Haltung von einer Zuversicht. Gott fügt uns in eine Familie ein, die jede andere übersteigt. Gott hat uns, wie das der Apostel Paulus formuliert, als Erben eingesetzt; wir sind Töchter und Söhne.
  • Eben so schafft Gott uns den Mut und den Freiraum, füreinander dazusein, auch in der Familie. Amen.