Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigten zum Dreifaltigkeits-Sonntag im Lesejahr A 2023

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4. Juni 2023 - St. Peter, Sinzig

1. Hikikomori

  • Die Tage, an denen man morgens am liebsten liegen bleibt. Die Tür zu. Das Telefon aus. Keine Leute. Keine Anrufe. Nicht weil man etwas tun möchte, sondern weil es alles zu viel wird. Zu viele Anforderungen, zu viele Erwartungen, zu viel von allem - außer vielleicht von dem, was das ganze Getriebe sinnvoll machen würde. Dann lieber die Türe zu, das Essen aus dem Kühlschrank, im Bett bleiben und am Computer herumdaddeln.
  • Das gibt es. Das ist wahrscheinlich auch normal und in manchen Situationen eine gesunde Reaktion auf krank machende Anforderungen. Zumindest jetzt mal alles abschalten, tut dann gut.
    Nur, wenn das nicht nur heute und morgen so ist, sondern Tag für Tag? Wenn Leute ganz abschalten? Das gibt es, und es gibt es immer öfter. Junge Männer, meist noch bei ihren Eltern, kommen einfach nicht mehr aus ihrem Zimmer raus. Für Monate, manche kommen für Jahre nicht mehr aus ihrem Zimmer. Sie sind nicht psychisch krank. Sie sehen einfach keinen Sinn darin rauszugehen. Irgendwann vergessen sie darauf und können es auch bald nicht mehr. Sie ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück und die überforderten Eltern stellen ihnen das Essen vor die Tür.
  • Das ist nicht so selten. In Japan hat jetzt die Regierung reagiert, weil man die Zahl der Betroffenen, die länger als sechs Monate in dieser Situation leben, auf über eine Million schätzt. Der Name für das Verhalten ist „Hikikomori“; der Begriff kommt von dem japanischen Wort für „sich zurückziehen“. Mittlerweile nimmt die Zahl nicht nur in Ostasien, sondern auch im Westen rapide zu. Genaue Zahlen für Hikikomori in Europa gibt es nicht, aber es scheint unübersehbar zu werden.

2. Dreifaltigkeit

  • Kann eine Spiritualität der Dreifaltigkeit solchen Menschen helfen? Zumindest würde ich den Gedanken gerne versuchen. Der heutige Sonntag Trinitatis, der christliche Sonntag der Dreifaltigkeit ist der Anlass. Die Spiritualität des Heiligen Ignatius von Loyola ist der Hintergrund.
  • Lange bevor Ignatius von Loyola vor 500 Jahren das mühsame Theologiestudium begonnen hat, war ihm eine innere Erfahrung Gottes geschenkt worden. Auch nach dem Studium tat er sich schwer, diese mystische Schau in Worte zu fassen oder in einem Bild auszudrücken. Er hatte schlicht eine ihn ganz und gar überwältigende Erfahrung Gottes gehabt. Diese mystische Erfahrung hatte fortan seine ganze Wahrnehmung, sein Denken und Suchen bestimmt. „In allen Dingen“, nannte er das und meinte wirklich in allem. Alle Gedanken, alle Erlebnisse, alle inneren und äußeren Wahrnehmungen, alle Beziehungen und natürlich auch alles Beten war bei ihm geprägt durch diesen Schlüssel zu allem: dem dreifaltigen Gott.
    • Gott, der Vater, ist für Ignatius der Schöpfer, aus dem alles hervorgeht und auf den alles hinstrebt.
    • Gott, der Sohn, ist für Ignatius der Menschgewordene, an dessen Seite uns der Vater gestellt hat, damit wir gleichsam in seiner Gesellschaft und Gemeinschaft, unter seinem Banner und nach seinem Vorbild uns rufen lassen. Mit ihm können wir den Weg gehen, dass alles sein Ziel im Vater hat.
    • Gott, der Heilige Geist, ist Gott, der uns und unsere Gemeinschaft bewegt und stärkt, tröstet und erhält, wenn wir als Teil der einen Kirche uns Christus anschließen auf seinem Weg zum Vater.
  • Ignatius hat also Gott als dynamisch erfahren, Gott als eine Bewegung, die ansteckend ist und uns mit hineinnimmt: Alles aus dem Vater - alles zu ihm. Das ist nicht abstrakt. Das ist wie ein Lichtkegel auf alles in unserem Leben, gerade auch auf das Dunkle und Schiefe, das uns nutzlos vorkommt - das aber doch auch zu den „in allen Dingen“ gehört, in denen wir Gott suchen und finden können.

3. Heilung

  •  Eine Spiritualität der Dreifaltigkeit ist nicht wie eine Medizin, die ich an Hikikomori verabreichen kann. Christliche Spiritualität ist keine Technik, die ich erlernen kann wie Yoga (Deswegen kann es übrigens christliches Yoga geben). Es kann aber sein, dass jemand einsam in seinem Zimmer ist und eine Gnade in sich entdeckt, dass er oder sie durch die Taufe hineingenommen ist in die Gemeinschaft des dreieinigen Gottes, getauft „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, als einer von „allen Menschen“ zu denen im heutige Evangelium Jesus seine Jünger sendet.
  • Die Dynamik Gottes "in allen Dingen" suchen ist keine Medizin oder Meditationstechnik, weil sie – zumindest zunächst – nicht darauf fixiert ist zu ändern, sondern erst die Dinge in Gott und Gottes Dynamik zu sehen.
  • Hikikomori ist auf den ersten Blick natürlich das Gegenteil der Weise, wie Gott den Menschen auf Gemeinschaft hin geschaffen hat. Aber in der Dynamik der Dreifaltigkeit, des Gottes, der hinabgestiegen ist und dessen Geist alles erfüllt, ist zunächst der Gott, der da ist – auch hinter abgeschlossenen Türen. Christus ist in den Tod hinabgestiegen – wie also sollte Gott irgendwo nicht sein? Und wenn ich ihn in meinem engen Zimmer entdecke, dann erreicht mich auch dort seine Einladung und Aufforderung und sein Ruf. Mit ihm sein, mit ihm gehen, auch wenn das Zimmer noch eng bleibt und ich noch nicht sehe, weswegen und wozu ich rausgehen sollte. Schließlich beruft Gott ja auch Menschen dazu, als Einsiedler und Eremiten dem Menschgewordenen zu folgen. Und wenn es an der Zeit ist und wenn der Mensch sich auf die Dynamik Gottes und seines Geistes einlässt, dann entdecken wir vielleicht den Sinn und die Kraft, um rauszugehen und sich in Dienst nehmen zu lassen – nicht von den Leistungsanforderungen einer kapitalistischen Gesellschaft  und den Beziehungsanforderungen, denen ich nicht gewachsen bin, sondern von Gott "in allen Dingen."
  • Sie haben es wohl gemerkt. Ich rede natürlich von Hikikomori, aber nicht von irgendwelchen japanischen Sonderlingen, sondern von uns, Ihnen und mir. Wir feiern hier Gottesdienst „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Wenn ich es heute morgen geschafft habe, wider alle Schwerkraft aufzustehen und wider allen Schwermut mein Zimmer zu verlassen, dann falle ich vielleicht unter die Definition 'Hikikomori, den Gott aus seinem Zimmer herausgeholt hat' – und dann hätte ich Grund, Gott zu danken. Oder ich bin ein verkappter Hikikomori, der seine Enge mit sich herumschleppt, nur scheinbar rausgegangen unter die Menschen, doch in Wirklichkeit ohne zu wissen, auf welches Ziel hin, welchem Ruf folgend, welche Kraft annehmend? Dann ist vielleicht heute der Sonntag Dreifaltigkeit ein guter Anlass, ein Gespür für Gottes dreifaltige Liebe in meinem Leben zuzulassen - in allen Dingen.

Hugo Rahner (Ignatius als Mensch und Theologe, 1964) beschreibt "die Besonderheit der trinitarischen Mystik bei Ignatius" und sagt, "seine Vereinigung mit dem dreifaltigen „Schöpfer und Herrn" ist nicht nur ein ruhendes Hingegebensein an die Geheimnisse der mystischen Schau. Es ist vielmehr ein „Finden Gottes in allen Dingen", oder noch besser ausgedrückt: ein Betrachten aller Dinge von dem dreifaltigen Gott aus. Der Mystiker Ignatius sieht „alle geschaffenen Dinge" nur noch von jener geheimnisvollen Einheit her, zu der ihn Gott begnadet hat. (S. 82)

In der Mystik des Ignatius kann er "alles Geschaffene, bis hinauf zur heiligsten Menschheit Jesu, nur mehr noch sehen kann als „das, was uns mehr zu dem Ziel hinführt, für das wir geschaffen sind" - in ihrem lebendig organischen Aufbau „zum Vater hin". (S. 88 Zitate aus dem Exerzitienbuch)

Im Zusammenhang der Predigt ist auch dieses Zitat interessant: "Am Anfang seiner Bekehrung war er ganz erfüllt von dem Verlangen, sich mit geistlichen Menschen über die Dinge des geistlichen Lebens zu besprechen. Später gab er dieses Verlangen ganz auf. Er beschritt einen anderen Weg: einsam nur mit dem einsamen Gott zu leben." (S. 96 – Zitat von P. Nadal)

Ignatius von Loyola: Schau der Heiligsten Dreifaltigkeit (Trinität) - Drei Orgeltasten

"...da wurde sein Verstand plötzlich über sich selbst erhoben, wie wenn er die Heiligste Dreifaltigkeit unter der Gestalt von drei Orgeltasten erschauen dürfte" (Ignatius Pilgerbericht Nr. 28)