Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Sonntag Christkönig im Lesejahr A 2011 (Ezechiel)

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20. November 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Ein Abschiedsbrief im Angesicht des Todes

  • Wenige Hunderte Meter von hier im Gefängnis Holstenglacis wurde am 10. November 1943 Kaplan Eduard Müller durch das Fallbeil hingerichtet. Ebenso die anderen drei der Lübecker Märtyrer, Geistliche aus der Lutherischen und der Katholischen Kirche in Lübeck. Sie hatten offen über das Unrecht der Nationalsozialisten gesprochen. Sie wussten, was sie taten. Das hat sie das Leben gekostet.
  • Wenige Stunden vor seiner Hinrichtung hatte Eduard Müller einen Abschiedsbrief an seine Schwester Lisbeth, eine Ordensschwester, geschrieben. Die Abschiedsbriefe haben die Nazis abgefangen. Die Briefe waren staatsgefährdend. Erst vor wenigen Jahren wurden sie in einem alten Archiv der Staatsanwaltschaft wieder entdeckt. Dass diese Briefe vom Staat als gefährlich angesehen wurden, kann man nachvollziehen: In ihren Abschiedsbriefen bekennen die vier Lübecker, dass der Staat und der Führer nicht das letzte Wort behalten.
  • Für diese Märtyrer galt nicht dem Führer, sondern Christus, dem König das letzte Wort. In diesem Jahr 2011, in dem wir ihre Seligsprechung gefeiert haben, sind sie für mich ein Schlüssel, um zu verstehen, was Christkönig bedeutet. Kaplan Eduard Müller schrieb angesichts des sicheren Todes an seine Schwester:
    "Meine liebe, liebe Lisbeth, jetzt ist es soweit! In wenigen Stunden habe ich meinen Lebensweg vollendet. Der Herr über Leben und Tod, Christus, mein König, holt mich heim zu sich. Die letzten Zeilen von dieser Erde sollst Du haben. Was soll ich Dir noch sagen, da ich in wenigen Stunden vor seinem Richterstuhl erscheinen muss!?
    Vergiss mich nicht in Deinem Gebet, denn auch für alle mir einst Anvertrauten muss ich Rechenschaft ablegen. Noch einmal, zum letzten Mal, grüße ich Dich aus innerstem Priesterherzen.
    (...) Ich werde keinen oben vergessen, und vergesset auch mich nicht! Mögen sie doch alle den Weg zum Heiland zurückfinden!
    Nun, meine liebe Schwester Lisbeth, lebe wohl. Gleich kommt noch einmal mein Heiland unter der Brotsgestalt zu mir, und dann darf ich Ihn, so hoffe ich, von Angesicht zu Angesicht schauen.
    (...) Nun wollen wir den schweren Gang - der menschlichen Natur nach - gehen, und dann ist es aus dem Leid und Schmach, mit Kämpfen und Ringen. Lisbeth, lebe wohl! Im Himmel sehen wir uns wieder. Mein letztes Wort: »Christus, unserem König, ewige Treue!« - Zum letzten Mal grüßt Dich in der Liebe Christi Dein Priesterbruder Eduard"

2. Gott, der Hirt seines Volkes

  • Am heutigen Christkönigsonntag haben wir dazu eine Lesung aus dem Buch des Propheten Ezechiel gehört. Er hatte in seiner Zeit das Scheitern menschlicher Könige in Israel erlebt. Sie waren berufen gewesen, für ihr Volk zu sorgen, und hatten doch nur sich selbst gemästet und dabei ihr Volk in den Untergang geführt: Die Zerstörung Jerusalems und die Verschleppung so vieler in das Exil in Babylon im Jahr 598 vor unserer Zeitrechnung. Als Ezechiel noch in Jerusalem war, hatte er den Königen und Mächtigen in scharfen Worten das Gericht Gottes gesprochen. Sie haben nicht auf ihn gehört. Jetzt, im Exil, hat Ezechiel von Gott Worte des Trostes.
  • "So spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an dem er mitten unter den Schafen ist, die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine Schafe und hole sie zurück von all den Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag zerstreut haben." Hier wird angesagt, dass nach dem Versagen der menschlichen Könige Israels nun Gott selbst dieses Amt ausübt. Die Mächtigen auf Erden haben nur Spaltung von arm und reich gebracht, die Reichen haben die Menschen erniedrigt. Der Prophet hatte ihr Unrecht bloßgestellt und den Untergang ihres Herrschafts- und Finanzsystems angekündigt. Jetzt verheißt er: Gott wird sich um die Armen und Machtlosen im Land kümmern, als ihr Hirte und wahrer König.
  • Bei Ezechiel gehen Himmel und Erde ineinander über. Er hat Visionen des Himmels und spricht doch über die Erde, ihre Macht- und Eigentumsverhältnisse. Er schaut Gott als den über alle Welt Erhabenen, und zugleich ist dies eine Wirklichkeit, die das Leben hier auf der Erde verändert. Neben die Bilder vom Hirten und vom König tritt dabei das Bild des Richters: "Ihr aber, meine Herde - so spricht Gott, der Herr -, ich sorge für Recht zwischen Schafen und Schafen, zwischen Widdern und Böcken." Wo Gottes Wort auf die Erde trifft, lässt sich das Unrecht nicht mehr im Nebel der Interessen verschleiern.

3. Christus unser König

  • Die Bilder des Propheten Ezechiel haben im christlichen Glauben Karriere gemacht. Jesus spricht von sich als dem Hirten; er, der das Unrecht des Kreuzes getragen hat, ist der wahre Richter; er bekennt sich und ihn verehren wir als König. So steht es in der Bibel. So feiern wir es in der Liturgie. So singen wir es in den Liedern: "Christkönig, Halleluja". Das ist nicht wenig. Liturgie, Lieder, Bücher können etwas bewirken in den Herzen von Menschen. Es bleibt aber die nüchterne Rückfrage: Wo ist er denn, Euer König?
  • Jede Antwort in Wörtern bleibt notwendig fragwürdig. Jedes Bekenntnis steht im Verdacht, nur auf den Lippen zu sein. Aber wenn einer wie Eduard Müller als einen der letzten Sätze seines Lebens schreibt: "Christus, mein König", dann hat das Gewicht. Es werden viele Faktoren gewesen sein, die ihn befähigt haben, gegen die Lüge und die Gewalt der Diktatur Kraft zu finden, für die Menschen einzustehen, deren Leben von den Machthabern für "lebensunwert" erklärt und zur Vernichtung freigegeben worden war. Es lohnt sich seine Biographie zu lesen. Aber er selbst bringt das am Ende in eine kurze Formel: "Christus, mein König". Er drückt damit das selbe aus, was andere mit dem Psalm 23 beten, der heute unser Zwischengesang war: "Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser." Der Märtyrer ist der Grenzfall des Glaubens. Er ist der Zeuge dafür, dass die Verheißung des Ezechiel erfahren werden kann, selbst dort, wo die Henker schon das Fallbeil in Stellung gebracht haben.
  • Aus den Zeiten der Naziherrschaft stammen Lieder, die Eduard Müller wichtig geworden waren und die wir im heutigen Gottesdienst singen. "Die Menschen treiben arge List / und sinnen viele Lügen. / Wir suchen den, der Wahrheit ist, / uns seinem Wort zu fügen. / O Heiland, komm, o komm herzu! / Du bist die Wahrheit und die Ruh, / Du lässt uns nicht betrügen." Vielleicht genügt es, diese Lieder wieder und wieder zu singen, vielleicht hat die Verheißung des Propheten genügend Kraft, um uns, die wir in so ganz anderer Zeit leben, spüren zu lassen, wo die Lügen unserer Zeit und unseres eigenen Lebens sind - und was es für uns bedeuten könnte darauf zu vertrauen: "So spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern." Amen.

 

 


 

 

Brief von Kaplan Eduard Müller an seine Schwester Lisbeth, vom 10.11.1943, dem Tag seiner Hinrichtung am Hamburger Gefängnis Holstenglacis

Quelle: Erzbistum Hamburg

Meine liebe, liebe Lisbeth,

jetzt ist es soweit! In wenigen Stunden habe ich meinen Lebensweg vollendet.

Der Herr über Leben und Tod, Christus, mein König, holt mich heim zu sich. Die letzten Zeilen von dieser Erde sollst Du haben. Was soll ich Dir noch sagen, da ich in wenigen Stunden vor seinem Richterstuhl erscheinen muss!?

Vergiss mich nicht in Deinem Gebet, denn auch für alle mir einst Anvertrauten muss ich Rechenschaft ablegen. Noch einmal, zum letzten Mal, grüße ich Dich aus innerstem Priesterherzen.

Grüße auch alle Deine lieben Mitschwestern. Ebenso bitte ich Dich, alle lieben Geschwister und Verwandten in meinem Namen zu grüßen, und schreibe allen, dass es mein innigster Wunsch ist, dass wir uns alle im Himmel wiedersehen. Ich werde keinen oben vergessen, und vergesset auch mich nicht! Mögen sie doch alle den Weg zum Heiland zurückfinden!

Nun, meine liebe Schwester Lisbeth, lebe wohl. Gleich kommt noch einmal mein Heiland unter der Brotsgestalt zu mir, und dann darf ich Ihn, so hoffe ich, von Angesicht zu Angesicht schauen. -

Als kleines Andenken von Deinem Priesterbruder habe ich Dir meinen Rosenkranz zugedacht, der während meiner etwa eineinhalbjährigen Gefangenschaft mein treuer Begleiter gewesen ist. - Nun wollen wir den schweren Gang - der menschlichen Natur nach - gehen, und dann ist es aus dem Leid und Schmach, mit Kämpfen und Ringen.

Lisbeth, lebe wohl! Im Himmel sehen wir uns wieder. Mein letztes Wort: »Christus, unserem König, ewige Treue!« Zum letzten Mal grüßt Dich in der Liebe Christi

Dein Priesterbruder Eduard

Gerade eben erhalte ich Deinen Brief vom 24. Oktober. Das ist nun der letzte. Lebe wohl in Christus.

English Translation

Farewell-Letter from Fr. Eduard Mueller, Nov 10th 1943
"My dear, dear Lisbeth! Now the time has come. In a few hours, I will have finished my life. The Lord of life and death, Christ, my King, calls me home to him. The last lines to be written on this earth - you shall have it. What shall I tell you yet, since I need to appear before his  judgement seat  in a few hours? Do not forget me in your prayers, because  I will be put accountable for all those who where entrusted to me. Once again, the last time, I greet you from the depths of my priestly heart. (...)  I will not forget you from above, and you do not forget me! May they all find their way home to the Savior! Well, my dear sister, Lisbeth, farewell. In a few moments my savior will come to me in the form of bread, and then I hope to see face to face. (...)  Now we want to go the dark and heavy path - according to human nature - and then there will be an end to all the suffering and humiliation, the fights and struggle.  Lisbeth, farewell! In heaven we will meet again. My final words: "Christ, our King, eternal loyalty" - In the love of Christ I greet you the very last time, your priestly brother Edward!"
(Translation. Martin Löwenstein SJ)