Predigt zum Sonntag Christkönig im Lesejahr A 2008 (zum Fest)
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23. November 2008 - Universitätsgottesdienst, St. Antonius Frankfurt
1. Christkönig
- Dies ist ein politisches Fest. Christkönig heißt übersetzt:
Jesus von Nazareth ist gesalbt, um König zu sein. Könige haben in
der Antike die Rolle, das Recht durchzusetzen, sie sind Gesetzgeber, Richter
und Herrscher in einem. Für Christen erfüllt sich daher in Christus
das Wort des Propheten Ezechiel. Der Prophet tritt den Machthabern des Volkes
entgegen, die das Volk ins Unglück gestürzt haben. Ihnen sagt Gott
"Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern.
Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an dem
er mitten unter den Schafen ist."
- Das Fest Christkönig hat zwei politische Richtungen. Einerseits tritt
damit Gott den irdischen Königen entgegen. Irdische Macht wird relativiert.
Der letzte Richter und der eigentliche König ist Gott. Gottes Gerechtigkeit
ist höher und Gottes Macht ist größer als alle irdische Gerechtigkeit
und irdische Macht.
- Dieses Wort gilt den Mächtigen. Aber es stärkt auch die Armen.
An ihre Seite stellt sich der himmlische König. Durch seine Propheten
brandmarkt Gott die Ausgrenzung und Unterdrückung durch die Mächtigen
dieser Welt. Sie sollen sich nicht zu sicher fühlen in ihrer Selbstgerechtigkeit.
Da jeder Christ in Christus getauft wurde auf das Prophetenamt, kommt diese
Aufgabe - und dieses Recht! - jedem Christen zu. Durch Gottes Königtum
wird irdisches Königtum in die Schranken gewiesen.
2. Verfassung
- In die andere Richtung geht die Frage, wie irdische Herrschaft dann aussehen
soll. Das ist erstens eine moralische Frage. Herrschaft soll gerecht sein. Es
ist aber auch die Frage nach der Verfassung. Und diese Seite ist sehr wichtig.
Die moralische Seite betrifft die Politiker unter uns. Die Verfassungsfrage
interessiert die Juristen - und mich.
- Zu Beginn des europäischen Mittelalters war wie in fast allen Kulturen
klar, dass nur Menschen handeln können und daher nur Personen Herrschaft
ausüben können. Alle Herrschaft war persönliche Herrschaft und
Herrschaftsbeziehungen waren persönliche Beziehungen. Uns heute ist selbstverständlich,
dass es auch juristische Personen gibt und diese "Subjekt" sein können,
egal wer den Verein gerade vertritt. Erst im 14. Jahrhundert, der Blütezeit
der Rechtswissenschaft, haben Juristen diese Idee entwickelt. Begründet
haben sie sie christologisch: Denn Jesus Christus hat zwei Naturen. Er ist Mensch
und er ist Gott. Seine Menschheit ist sterblich, seine Gottheit ist ewig. Analog
dazu wurde der König gedacht. Der König ist ein sterblicher Mensch.
Seine Herrschaft endet, wenn er stirbt. Er hat aber neben dem sterblichen Leib
auch einen politischen Leib. Dieser stirbt nicht, sondern geht auf den neuen
König über. Zumindest juristisch war damit das Vakuum nach dem Tod
des Königs beseitigt. Die Idee einer juristischen Person war geboren und
die christliche Lehre von den zwei Naturen Christi hatte das Denkmodell dazu
geliefert.(1)
- Die moderne Demokratie ist faktisch im christlichen Kulturkreis entwickelt
worden. Der Weg dahin lief vielfach gegen die Kirche. Aber zugleich lieferte
die Kirche durch den Glauben die Bausteine und das Gerüst. Denn aus der
Idee eines den sterblichen König überdauernden "ewigen" Königs
konnte in einem jahrhundertelangen, nicht konfliktfreien Prozess die Idee der
Nation geboren werden, die aus sterblichen Menschen besteht, aber selbst "ewig"
ist. Erst jetzt war es möglich zu denken, dass aufgrund der Gottesebenbildlichkeit
aller Menschen in diesem Körper der Nation nicht der König souverän
ist, sondern das Volk. Herrschaft konnte nur in so einem Denken auf Zeit verliehen
werden, weil ja die Nation und der Staat ewig ist, egal, wer zu einer Zeit herrscht.
- Über all das steht in der Bibel nichts. Jesus war nicht unpolitisch,
aber er hatte nicht die Aufgabe eine Staatsverfassung zu schreiben. Die Bibel
liefert uns weder Staatsverfassung noch politische Rezepte in komplexen Fragen.
Aber ein von der Bibel geformtes Denken (und wichtige Elemente aus der römischen
Tradition(2)) haben die Suchbewegung Europas
nach einer Verfassung begleitet. Faktisch ist die moderne Demokratie im christlichen
Europa entstanden. Genauso können aber auch andere Kulturen diese Idee
aufgreifen, und vielleicht dauert es nicht überall so viele Jahrhunderte
wie bei uns.
3. Ohnmacht
- Es fehlt aber noch eine dritte Frage. Sie ist vielleicht die politisch wichtigste
und hat am meisten mit unserem Fest Christkönig zu tun. Die erste Frage
war nach der Moral der Herrscher. Christliche Herrscher sollen gerecht sein;
das sollen und können nichtchristliche aber ebenso, oftmals sogar besser.
Die zweite war die Frage nach der Verfassung. Im Rückblick können
wir sagen, dass Volkssouveränität und Demokratie dem Glauben besser
entspricht als die Monarchie. Frühere Jahrhunderte konnten das offensichtlich
noch nicht; Denken muss wachsen. Die dritte Frage aber geht direkt von dem
König Christus aus, dessen Thron das Kreuz ist.
- Der höchste Herrscher zeigt uns, dass höchste Macht Ohnmacht ist.
Nicht wer die größte Kraft und die besten Waffen hat, ist stark,
sondern wer lieben kann. Wo Menschen daran glauben, dass Heil im Kreuz ist,
da wird die Durchsetzung von Herrschaft immer fraglich sein. Das bedeutet
nicht, dass es in christlichen Gesellschaften keine Macht und keine Herrschaft
gibt. Das bedeutet nur eben dies: dass sie vor dem Kreuz fraglich bleibt und
nicht das Ideal ist.
- Dies hat Konsequenzen für uns, das Publikum. Denn wir haben ein politisches
System, das Macht vielfach teilt und ausbalanciert. Nicht ein König macht
Gesetze, regiert und richtet, sondern verschiedene Institutionen des Staates.
Nicht eine Partei hat die Macht, sondern es muss um Kompromisse gerungen und
es müssen Verfahren eingehalten werden. Wir haben die Macht geteilt und
beschnitten. Das ist richtig und entspricht der christlichen Skepsis gegenüber
der Macht. Aber dann dürfen wir uns als Publikum nicht dazu hinreißen
lassen, das Ringen um Kompromisse und Lösungen als Streit zu diffamieren
und immer zuerst nach der starken Hand zu rufen. Denn das nicht zuletzt lehrt
uns der Glaube: Gott ist den Weg der Ohnmacht gegangen, wo es um die Wahrheit
ging. An diesem göttlichen König können wir uns orientieren.
Amen.
Anmerkungen:
1. Kantorowicz, Ernst: Die zwei Körper
des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters. München
(Deutscher Taschenbuch Verlag) 1990.
2. Natürlich kannte die
griechisch-römische Antike sowohl so etwas wie juristische Personen und
Demokratie. Demokratie aber wurde nicht aus der Gottesebenbildlichkeit und Würde
des Menschen abgeleitet, sondern vom Besitz. Dadurch, dass im fränkischen
Mittelalter der Gedanke neu erfunden werden musste - inspiriert durch römisches
Recht - war aber der Weg bereitet, auf die Demokratie nicht über den Weg
der Mitsprache der Besitzenden zu kommen, sondern über den Gedanken der
Nation. Deswegen wurden auch Ansätze von besitzabhängiger Demokratie
überwunden, weil das sich mit Volkssouveränität letztlich nicht
verträgt.