Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 7. Sonntag im Lesejahr B 2006 (Markus)

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19. Februar 2006 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Wer kann Sünden vergeben?

  • "Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?" Die Zuhörer finden den Anspruch Jesu, Sünden vergeben zu können, als Gotteslästerung. Nur Gott könne Sünden vergeben. Den Christen war deswegen die Vollmacht Jesu wichtig, denn an seiner Vollmacht hängt auch die Berechtigung Jesu, seinen Jüngern den Auftrag zu hinterlassen, in seinem Namen die Sündenvergebung auszusprechen. Ja, das Bekenntnis des Credo von der "einen Taufe zur Vergebung der Sünden" hängt an der Vollmacht Jesu. Es gibt viele und richtige Gedanken, warum die Sünde eines Christen die Heiligkeit Gottes verdunkelt und seiner Kirche deswegen Schaden zufügt, warum es also Gott berechtigt ist, Sünden zu vergeben.
  • Das aber ist nicht mehr der aktuelle Stand der Diskussion. "Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?" Hinter der Frage steht unhinterfragt Gottes Recht Sünden zu vergeben. Kann Gott so einfach "seinetwillen Vergehen auslöschen", wie das in der 1. Lesung beim Propheten Jesaja gesagt wurde? Vielleicht ist das gar nicht so selbstverständlich. Der Streit der Theologen untereinander hat möglicherweise übersehen, dass längst eine andere Frage gestellt wird: Steckt hinter der Selbstverständlichkeit, Gott könne Sünden vergeben, nicht Menschenlästerung.
  • "Wer kann Sünden vergeben außer dem Opfer der Sünde?" Ist nicht die einzige Vergebung und Versöhnung, die zählt, die Vergebung, die das Opfer des Unrechts gewährt - oder verweigert? So abwegig ist es nicht, dass das Opfer sich verhöhnt fühlt von dem Gott, der dem Sünder vergibt - als ginge ihn das etwas an.

2. Wer ist Gott?

  • Die Frage sollte mit Ernst gestellt werden. Sie sollte aus der Perspektive eines Menschen gesehen werden, der Opfer ist. Kann jemand, der missbraucht und misshandelt wurde, der oder die tief gedemütigt und verletzt wurde, gleichgültig bleiben, wenn die Christen einen Gott verkündigen, der Sünden vergibt - jede Sünde vergibt?
  • Keiner, der nicht betroffen ist, kann Sünden vergeben. Wenn Gott "nur" in seiner Heiligkeit und Ehre verletzt ist, steht das in keinem Verhältnis zu der Verletzung, die der Mensch erleidet, der Opfer der Sünde und der Ungerechtigkeit ist. Es wäre anmaßend und Menschlästerung solche Sündenvergebung zu predigen. Ein in ferner Ewigkeit thronender Gott sollte den leidenden Menschen nicht so verhöhnen. Und eine solche Kirche erst recht nicht.
  • Deswegen muss zuerst darüber gesprochen werden, wer Gott ist. Deswegen ist das Bekenntnis von der "einen Taufe zur Vergebung der Sünden" nicht möglich, ohne das Bekenntnis des Gottes, der wahrhaft Mensch geworden ist. Von ihm wird im Glaubensbekenntnis gesagt: "Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus und hat gelitten". Aus dem in Fernen thronenden Gott ist ein Leidender geworden. Er ist selbst Opfer von Ungerechtigkeit, Hochmut und Misshandlung. Er hat einen Leib angenommen und an diesem Leib getragen, was die Opfer dieser Welt ertragen. Nur so kann Gott anwesend sein in jedem Opfer. Nur so ist Gott wirklich und wahrhaftig "betroffen".

3. Bekehrung

  • Sind wir als Kirche geeignet, diesen Gott zu verkünden? Ich maße mir nicht an, diese Frage mit einem leichtfertigen "Ja" zu beantworten.
    Bin ich auch nur Christ, ein an Jesus Christus Glaubender? Diese Frage muss jeder von uns sich stellen. Nicht theoretische Wahrheit kann dies beantworten, nur die Wahrheit des eigenen Herzens. Das Kriterium dieser Wahrheit ist, ob ich vom Herzen her auf der Seite des Opfers bin.
  • Bekehrung zum Gott des Evangeliums hat zwei Gesichter.
    • Wer sich stark und überlegen fühlt, der wird leicht Gott nur als den überlegenen Helfer glauben wollen. Von oben herab will er Gutes tun. Dabei sieht er nicht die Erniedrigung, die mit diesem "von oben" verbunden ist.
    • Wer hingegen Opfer ist, kann versucht sein, in der Einsamkeit befangen zu bleiben, in der er durch das Unrecht anderer gestoßen wurde. Auch das ist eine Bekehrung, den Gott am Kreuz an meiner Seite zu dulden.
  • Eine Bekehrung zu Gott hat aber auch die Kirche als Ganze nötig. Durch unsere Institution stehen viele in der Kirche, allen voran die Amtsträger, notwendig und immer auf einer Stufe mit denen, die Einfluss und Ansehen haben. Die Kirche ist daher immer versucht, auch auf deren Seite zu stehen. Auf dieser Seite ist aber keine Erfahrung der Auferstehung möglich. Nur wer Opfer ist von Ungerechtigkeit und Sünde, kann Vergebung aussprechen. Amen.