Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 7. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2020 (Apostelgeschichte)

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24. Mai 2020 - St. Martin Bonn-Bad Godesberg Muffendorf

1. Verharren

  • Katholiken haben Formen und Riten, an denen Sie sich stützen können, wenn die Welt durcheinander gerät. Wie so vieles hat die Corona-Pandemie aber auch hier Brüche und Leerstellen brutal offengelegt. Denn dort, wo wir als einzige Form und einzigen Ritus den Gemeindegottesdienst am Sonntag haben, war über fast zwei Monate nichts.
  • In unserer Lesung aus der Apostelgeschichte steht, dass die Apostel und die Frauen in der Situation, da ihnen die sichtbare Erfahrung des Auferstandenen genommen war und sie den Blick von den Wolken zur harten Realität des Erdbodens richten musste nach Jerusalem zurückkehrten. Dort kehrten sie in den bewährten Versammlungsraum zurück, das „Obergemach“. Dann heißt es: „Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet“. Dieses Wort „verharren“ wählt nur die katholische Einheitsübersetzung. Vielleicht ist das kein Zufall. Verharren können wir gut.
  • Verharren“ ist das Wort der katholischen Einheitsübersetzung, das verdächtig nach dem klingt, was Katholiken machen, wenn sie in Verwirrung geraten. Sie verharren im Gebet. Dumm nur für alle, deren einzig gewohnte Form des Gebetes wegfällt.

2. Sprache

  • Sprache formt den Menschen. Eine soziale Beziehung, die sich nicht ausdrückt, gibt es nicht. Gerade dort, wo Sprachlosigkeit herrscht, wird das bestätigt. Durch Sprechen drückt sich Liebe aus und Hass, Herrschaft und Unterwerfung, Distanz und Nähe.
    Wenn laut einer Statistik die Hälfte deutscher Ehepaare nicht mehr als zehn Minuten täglich miteinander spricht, erklärt das Vieles. Wer sich nichts zu sagen hat, für den wird das gemeinsame Schweigen unerträglich. In den Wochen der Quarantäne haben das viele leidvoll gemerkt.
  • Sprache ist Beziehung. Aber auch ich selbst werde durch mein Sprechen geprägt. Wer sich verächtliches Reden zur Gewohnheit macht, wird verachten. Wer liebevoll spricht, schafft die Basis der Liebe.
  • Gebet ist deswegen die Grundlage des religiösen Lebens. Wie Sie beten - oder nicht beten! - so leben Sie.
    Es gibt auch das stumme Gebet, in dem ich nicht anders als vor Gott einfach nur da bin. Dies ist vielleicht sogar die höchste Stufe des Gebetes. Denn zwei Menschen, die sich sehr gut verstehen und einander viel zu sagen haben, können schweigend miteinander stundenlang da sein. Dieses schweigende Einverständnis ist auch im Gebet eine wundervolle Erfahrung gelebter Treue.

3. Treue

  • Die Jüngerinnen und Jünger in Jerusalem verharrten miteinander im Gebet. Ich lese das Wort als Ausdruck für die Treue, die sie mit dem Auferstandenen verbindet. Das Gebet ist die Sprache, die diese Gemeinschaft miteinander und mit Jesus verbindet. Luther übersetzt: „Alle hielten sie einmütig fest am Gebet“. Sie beten gemeinsam, weil Jesus diese Gemeinschaft möglich gemacht hat. Es beten - ganz gegen den Stil der Zeit - Männer zusammen mit Frauen.
    [Das Gebet führt die Jünger Jesu auch zusammen mit Jesu Familie. Diese hatte anfangs so gar nicht verstanden, was die Sendung Jesu war, auch Maria nicht. Dass für Lukas nun Maria die Mitte der betenden Kirche ist, macht deutlich, welchen Weg alle gehen, die von Christus geführt werden].
  • All das kann erstarren. Das Gebet mit- und füreinander kann eine Gemeinschaft in Gott verbinden. Es kann aber auch zur Erstarrung, zur herzlosen Routine führen.
    Wir wissen nicht, was das Gebet dieser kleinen Gemeinde war. Sicher haben sie auch das Gebet gesprochen, das Jesus ihnen hinterlassen hatte, das Vater Unser. Dann aber haben sie nicht verharrend gebetet, sondern um das Kommen des Reiches, dass Gottes Wille geschehe.
    Dort wo unser Gebet mehr ist als „verharren“, dort sucht es in jeder Zeit und Situation nach Möglichkeiten. Die sonntägliche Eucharistie ist ein wunderbares Geschenk. Aber Millionen Katholiken haben nur selten dazu Gelegenheit, weil das kirchliche Lehramt die geeigneten Zugangsbedingungen zum priesterlichen Amt verweigert. Diese Katholiken könnten uns vielleicht Lehrerinnen und Lehrer im gemeinschaftlichen Gebet sein. Auch bei uns hat sich in den vergangenen Wochen so manche Initiativ gebildet, die Frucht tragen könnte über den Augenblick hinaus. Sie verharrten nicht im Gebet, sondern bewegten sich im Gebet, einmütig in der Gemeinschaft der Kirche, die nicht auf diese Kirchenmauern begrenzt ist.
  • Die so betende Kirche hat an Pfingsten den Heiligen Geist empfangen, in Treue zum einmütigen Gebet, nicht im Beharren auf einer verknöcherten und verschworenen Gemeinschaft. Mir scheint, darin könnten wir manches für uns heute entdecken. Amen.