Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2016 (Offenbarung)

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24. April 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Zukunftsängste

  • Je mehr es von Ostern auf Pfingsten zugeht, desto mehr kommt in den Texten der Liturgie die Frage durch: Was kommt danach? Wie geht es weiter? Jesus rüstet seine Jünger mit dem Liebesgebot aus. Daran soll man sie erkennen, auch wenn er nicht mehr unter ihnen ist. Aber so recht scheint das noch nicht auszureichen, um zuversichtlich in die Zukunft zu gehen.
  • Weniges hält der Mensch so schlecht aus, wie Perspektivlosigkeit. Wenn wir nicht mehr sehen, wie es weiter geht und worauf das Ganze hinausläuft, werden wir Menschen unberechenbar. Man weiß dann nicht, ob es in Lethargie oder blanke Gewalt umschlägt. Bestenfalls behelfen wir uns damit, dass wir die Lage nicht wahr haben wollen.
  • Junge Männer ohne Perspektive stehen in Gefahr zur Gewalt zu greifen. Ich glaube, es ist weniger die Aussicht auf 72 Jungfrauen für diejenigen, die bisher als Looser keine Freundin gefunden haben. Es ist vielmehr die Mischung aus Todessehnsucht und der Sehnsucht, einmal wenigstens Bedeutung zu haben, die im Extremfall junge Männer zu Religionskriegern Terroristen macht.
    Alternde Gesellschaften sind in diese Richtung weniger gefährdet. Hier führt die Perspektivlosigkeit entweder zum großen Selbstbetrug oder zur kollektiven Verschwörung. Der Selbstbetrug murmelt mantramäßig, die Rente sei sicher und das Sparbuch gefüllt, als gebe das dem Leben Sinn. Dass das angesparte Geld nicht mehr viel wert sein wird, wenn es zu viel davon gibt und zu wenige, die dafür Leistung erbringen wollen, ist eine volkswirtschaftliche Binsenweisheit, die sorgsam verschwiegen wird. Die andere Variante, die kollektive Verschwörung richtet sich gegen alles, was als schuldig an der eigenen Perspektivlosigkeit ausgemacht wird, das System, die Fremden, die USA oder was auch immer. Im Hass gegen Andere und Fremde kann die eigene Perspektivlosigkeit offenbar auch überspielt werden.

2. Zukunftsperspektive

  • Das Buch der Offenbarung bietet eine andere Zukunftsperspektive. Es enthält eine schonungslose Gegenwartsanalyse. Da ist die Bibel eher zu kritisch als zu milde. Doch die Offenbarung enthalt zugleich auch eine Zukunftsperspektive. Sie schildert diese in Form von bildhaften Visionen des Himmels. Gemeint ist jedoch damit ebenso die Tiefendimension der jetzigen irdischen Realität.
  • Drei Bilder fließen in dem heutigen Abschnitt in einander.
    • Das erste ist die Verwandlung der ganzen alten Schöpfung in eine neue Schöpfung: einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen".
    • Das zweite Bild ist die himmlische Stadt Jerusalem: Eine neue Stadt, die "von Gott her aus dem Himmel herabkommt".
    • Das dritte Bild ist, dass Gott selbst unter den Menschen wohnt und ihre Trauer in Freude verwandelt.
  • Für mich bedeuten diese Bilder einerseits, dass die eigentliche Zukunft immer nur von Gott her kommen kann, vom Himmel herab. Genau deswegen aber kann ich - andererseits - auf diese geschenkte Zukunft hin leben. Meine Zukunftsperspektive hängt nicht nur von dem ab, was wir Menschen auf Erden an Reichen aufbauen, sondern von der Realität des Himmelreiches. Aber gerade deswegen können wir getrost all die Schritte gehen, die wir gehen können, weil in ihnen Gottes Zukunft uns entgegen kommt. Denn Himmel und Erde sind nicht einfach nur verschieden, sondern gehen in einander über.

3. Zukunftshandeln

  • Ich möchte Ihnen Marcel, einen jungen Mann vorstellen. Sein Leben macht deutlich, was das konkret bedeutet. Als Kind engagiert er sich bei den Pfadfindern. Mit 13 Jahren hat er einen Schulabschluss und beginnt eine Lehre als Drucker. Er findet zur Christlichen Arbeiter-Jugend und übernimmt dort schnell Verantwortung. Als er 17 Jahre alt ist, überfallen deutsche Soldaten seine französische Heimat und das Deutsche Reich besetzt sein Land. Der Zweite Weltkrieg mit all seinen furchtbaren Seiten überzieht die Welt.
  • Marcel Callo ist 21 Jahre alt, als viele aus seiner Generation zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt werden. Er bekommt die Möglichkeit zu fliehen. Aber er entscheidet sich bei seinen Freunden und Kollegen zu bleiben und das zusammen mit ihnen durchzustehen. Doch Marcel, der 21-Jährige, gibt noch einen andern Grund an: Er möchte nach Deutschland verschleppt werden um dort Missionar zu sein. Dieses Land, das geprägt ist von Hass und Militarismus braucht in seinen Augen das christliche Zeugnis eines französischen 21jährigen Zwangsarbeiter.
    Marcel übernimmt damit für seine Zukunft Verantwortung in innerer Freiheit mitten in einer Situation, in der er äußerlich dem völligen Zwang durch andere unterworfen wird. Unter den französischen Zwangsarbeitern in den Kriegsfabriken in Thüringen organisiert er Gebetskreise und Gottesdienste, wird dafür im Alter von 22 Jahren in ein KZ gesteckt und stirbt im Konzentrationslager kurz vor Kriegsende 1945.
    Am 4. Oktober 1987 wird Marcel Callo von Papst Johannes-Paul II selig gesprochen. Ein Franzose stirbt im Deutschen Reich der Nazizeit an völliger Entkräftung im KZ und ist zugleich Zeuge für die Kraft der Gegenwart des Reiches Gottes.
  • Wir leben zum Glück in ruhigeren Zeiten. Aber Marcel Callo passt als Heiliger nicht nur zum Kleinen Michel, dem Ort der Versöhnung von Franzosen und Deutschen nach dem Großen Krieg. Marcel Callo passt auch als Gegenbild in eine Zeit, in der viele mit der Zukunft immer weniger anfangen können.
    Junge Männer in seinem Alter werden zu Terroristen. Es wäre an uns Christen, uns von dem Glauben dieses jungen Mannes wieder lehren zu lassen, dass von Gott her eine andere Schöpfung, ein neues Jerusalem herab kommt. Amen.