Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2021 (Johannes)

Zurück zur Übersicht von: 5. Sonntag der Osterzeit B

2. Mai 2021 - Gemeinschaftskrankenhaus St. Petrus Bonn

 

1. Das Bild vom Weinstock

  • Mit Bildern ist man nicht so schnell am Ende. Ich denke deswegen benutzt Jesus gerne Bilder, wenn er seinen Jüngern etwas nahebringen will. Sie sind nicht so glatt und eindimensional wie theoretische Sätze, sondern man kann Bilder immer wieder anschauen und neu darüber nachdenken.
  • So geht es mir auch mit dem Bild vom Weinstock und den Rebzweigen. Es scheint ja ein Bild dafür zu sein, wie wir mit Jesus Christus und miteinander verbunden sind.
    Paulus beschreibt das einmal so, dass Christus der Kopf ist und wir als Kirche seine Glieder. Wenn ich mir das Gleichnis vom Weinstock und den Rebzweigen vorstelle, bildet Christus nur noch das harte Holz in der Mitte, an dem die Zweige hängen.
  • Tatsächlich aber ist der Weinstock die Bezeichnung des Ganzen und wir als Zweige sind ein Teil des Ganzen. Das ist ein Gedanke, über den ich erst einmal nachdenken muss. Das würde ich ja bedeuten, dass die Weise, wie Christus gegenwärtig ist – und zwar als Ganzer! – die Weise ist, wie wir, die vielen Zweige am Rebstock, zusammen sind.

2. Die Teile und das Ganze

  • Das kann nicht sein. Wenn ich uns Christen anschaue und wie wir uns vor der Welt präsentieren, dann kann das doch nicht Christus sein.
    Das wäre auch eine gefährliche Vorstellung, nachdem wir schwache Menschen auf einmal zu perfekten Teilen des großen Christus werden, der Gottes Sohn in unserer Zeit ist. Oder ich blende aus dem Bild die vielen Sünder aus und meine, da gäbe es doch die Heiligen, die wären dann die waren Zweige am Weinstock. Nur: Auch die Heiligen waren Sünder, manche sogar heftig. Es muss also noch einmal etwas Anderes sein.
  • Vielleicht ist es kein Zufall, dass Jesus ein Bild aus der Biologie nimmt. Denn dort ist es immer so, dass das Ganze mehr ist als der Teil, der Organismus sich nicht ableiten lässt von den verschiedenen Teilen, als würden diese herumliegen, auf ihre Funktion immer schon festgelegt sein und sobald sie zusammengesetzt werden würde daraus ein einheitliches Ganzes entstehen. Vielmehr ist es umgekehrt. Ohne Organismus wären die Teile nur tote Masse.
  • Erst dadurch, dass sie im lebendigen Leib sind, bekommen sie ihre Bedeutung und Funktion. Von sich aus haben die Teile die Möglichkeit dazu. Es ist in ihnen angelegt. Aber erst durch das Ganze des Organismus werden sie zu den einzelnen Zellen, Nerven, Organen – Teilen die einen Sinn ergeben.
    Die heutige Naturwissenschaft weiß darum, dass man komplexe Dinge nicht allein aus den Teilen erklären kann, sondern erst das neu entstandene Ganze es möglich macht, die Teile zu verstehen. Man nennt dies Emergenz.

3. Christus, der Auferstandene

  • Die Bildrede vom Weinstock dient Jesus dazu, die Jünger auf den Abschied vorzubereiten – und auf das neue Leben der Auferstehung. Bislang war er im menschlichen Leib unter ihnen, hat gepredigt, geheilt, Mahl gehalten und so das Volk Gottes, Israel erneuert und versammelt. Dieser Leib stirbt den Tod der Hingabe am Kreuz. Der Auferstandene aber ist auch leibhaftig unter den Seinen: Als der Weinstock, den die bilden, die der Vater zu seinen Jüngern werden lässt (ausdrücklich steht im Evangelium das Futur!).
  • Rebe am Weinstock zu sein ist nicht beliebig; ohne Früchte der Liebe zu bringen, kann niemand in der Liebe bleiben, ohne Werke des Glaubens stirbt der Glaube und zerbricht die Gemeinschaft. Auch das steht klar im Evangelium; es ist das Werk Gottes. Doch das heißt nicht, dass makellos, vollkommen, unangreifbar sein muss, wer zu Christus gehört. Vielmehr ist er gekommen, die Sünder zu berufen. Mit ihm verbunden können wir auf dem Weg sein. Der Auferstandene wirkt das Wunder, dass diese Zweige Frucht bringen.
  • An uns ist es, aus der Verbundenheit mit dem Ganzen zu leben. Der Weinstock umfasst das Volk Israel und alle, die aus den Völkern hinzugenommen sind durch die Taufe. Ja, der mystische Weinstock des alles umfassenden Christus nährt jeden Menschen, der die Liebe lebt, mit der Gott ihn liebt. Für uns, die er heute als seine Kirche versammelt, hat er das Geschenk, dass wir diese Lebendigkeit im Heiligen Zeichen, im Sakrament seines Leibes empfangen dürfen. Dies ist der Weg, wie Christus als Auferstandener seine Jünger zur Kirche verbinden will. Amen.