Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2012 (Johannes)

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6. Mai 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Predigt zur Erstkommunion

1. Im Weinstock bleiben

  • Das Sprichwort sagt: Jemand sägt den Ast ab, auf dem er sitzt. Dies wird gemeinhin als wenig kluges Verhalten gewertet. Bevor ich anfange, an Ästen zu sägen, sollte ich mir Gedanken darüber machen, auf welchem Ast ich sitze.
  • Im Evangelium vom Weinstock benutzt Jesus ein ähnliches Bild. Es heißt: Bevor du, Ast, dich absägst, solltest du schauen, ob das nicht der Lebensbaum ist, von dem du deine Lebendigkeit beziehst. Das Bild ist sehr anschaulich: Der Ast, hier: der Rebzweig, verdorrt schlichtweg, wenn er nicht in Verbindung mit dem Baum, hier: dem Weinstock, bleibt. Der Rebzweig verdorrt und wird ganz sicher nie reife Trauben als Früchte bringen. Er hat seine Lebendigkeit verloren. Er hat den Sinn seines Lebens verloren.
  • Der Unterscheid zwischen den beiden Bildern besteht darin: Das Bild vom Ast, auf dem ich sitze, beschreibt etwas Äußerliches. Das Bild vom Weinstock und den Zweigen beschreibt ein äußeres und Inneres, das Ganze des Menschen. Der Zweig ist erkennbar mit dem Weinstock verbunden; aber er bezieht von dort her auch seinen Ursprung (er ist daraus hervor gegangen), seine Lebenskraft (den Saft aus dem Stamm des Weinstocks) und sein Ziel (Früchte zu bringen).

2. Aus Liebe Frucht bringen

  • Menschen zeigen ihr Inneres im Gesicht, zumindest, wenn sie sich nicht verstellen. Bei Babys ist das noch ganz unverstellt: Sie lachen, wenn sie sich freuen, sie können voll Erwartung schauen oder müde sein, aber auch laut und anhaltend schreien, wenn sie etwas bedrückt. Das Innere zeigt das Äußere.
  • Es kommt auf uns an, das Gesicht eines Menschen zu sehen und uns davon berühren zu lassen, von ihrer Freude oder ihrer Trauer, von ihrer Sehnsucht oder ihrem Schmerz. Wenn uns das wirklich berührt, werden wir dadurch selber aktiv, werden uns mit den anderen freuen oder mit ihnen trauern, werden versuchen die Ursache ihres Schmerzes zu erkennen und dagegen anzukämpfen.
  • Auf diese Weise bleibt uns der Andere nicht äußerlich, sondern wir werden innerlich verbunden. Auf diese Weise sind wir einem anderen Menschen ganz nah. Wir spüren, was Liebe bedeutet. Und wir werden versuchen, das zu tun, was dem anderen gut tut, und das zu unterlassen, was dem anderen schadet. Das ist die Frucht der Liebe. Dazu brauchen wir keine Liste von Geboten, die wir wie Hausaufgaben abarbeiten müssten. Die Liebe tut dem anderen Gutes, weil sie ihn liebt. Das meint Jesus, wenn er sagt: In jemand bleiben.

3. Gottes Liebe empfangen

  • Gott sieht uns an. Er sieht unser Gesicht und liebt uns. Er hat jeden einzelnen geschaffen, wie er die ganze Welt geschaffen hat. Aber um uns Menschen ganz nahe zu sein, ist er selbst Mensch geworden in Jesus Christus.
  • Am letzten Abend, an dem Jesus mit seinen Jüngern zusammen war, hat er ihnen gesagt: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Jesus wusste, dass er schon bald nicht mehr auf Erden leben würde. Aber er wollte weiter bei denen sein, die seine Freunde sind. Bis heute. Deswegen hat er einen festen Bund mit seinen Freunden geschlossen. So wie er zu ihrer Zeit als Mensch unter ihnen war, will er alle Zeit unter ihnen sein in dem Heiligen Brot, von dem er gesagt hat: "Das ist mein Leib"; das bedeutet: Das bin ganz und gar ich. In diesem Stück Brot, das für uns gebrochen ist, kommt Gott selbst uns ganz nahe: Er selbst will in uns wohnen und unsere Nahrung sein.
  • "Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch", hat Jesus gesagt. Wir bleiben in ihm, wenn wir einander lieben, statt zu einander zu hassen oder zu knechten. Wir bleiben in ihm, wenn wir hier als Kirche zusammen sind und beten: Sei du unsere Mitte. Wir bleiben in ihm, wenn wir unsere Hand öffnen und sagen "Amen", ja, das ist der Leib Christi, das ist Gott aus dem ich lebe und lebendig bin, wie ein Rebzweig aus dem Weinstock lebt, lebendig ist und Frucht bringt. Amen.