Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2009 (Apostelgeschichte)

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6. Mai 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Religion ist eine Quelle von Gewalt

  • Religion ist eine Quelle von Gewalt. Das ist zumindest die Überzeugung derer, die in Berlin verpflichtenden Ethik-Unterricht für alle Schüler eingeführt und mit einer massiven Werbekampagne gegen ein Volksbegehren verteidigt haben, das Religionsunterricht als Wahlalternative zum staatlich verordneten Ethik-Unterricht wollte. Das Volksbegehren ist - mit respektablem Ergebnis - gescheitert. Nach der ausführlichen Diskussion in der Öffentlichkeit, muss der Berliner Abstimmungsmehrheit bewusst gewesen sein, worum es dem Berliner Senat ging: Religion sei eine Quelle von Gewalt. Daher habe jeder Berliner Schüler zu lernen, dass Religion etwas zweifelhaftes und relatives sei. Staatlich verordneter Atheismus als Gewaltprävention sozusagen.
  • Religion ist in der Tat eine Quelle von Gewalt. Das ist gar nicht zu leugnen. Unter Berufung auf ihre Religion üben Menschen Gewalt aus. Allerdings ging in den letzten zweihundert Jahren noch mehr Gewalt aus von der Sprache: Sprache ist zumeist das Kriterium für die Abgrenzung der nationalistischen Bewegungen gewesen und diese wiederum Ursache schrecklicher Gewalt. Aber, könnte man einwenden, Sprache kann man nicht abschaffen. Deswegen müsse man hat antinationalistische Aufklärung betreiben. Zu mancher Leute Bedauern ist trotz intensiver Versuche aber auch Religion nicht auszurotten. Also soll wenigstens Ethikunterricht auf humanistischer Grundlage das Schlimmste abwenden.
  • Religion ist in der Tat eine Quelle von Gewalt. Und Paulus ist der Beweis. Der heutige Abschnitt aus der Apostelgeschichte berichtet darüber, dass die Christen in Jerusalem Angst vor Paulus hatten. Es wird ihnen erzählt, er sei bekehrt. Aber die Skepsis bleibt und ist berechtigt. Denn Saulus-Paulus hatte durch seine Verfolgung der Christen gezeigt, dass er keine Scheu vor Repression und Gewalt hat, wenn es um seine Religion geht. Was heißt da bekehrt: Ist er nach dem fanatischen Christenfeind ein fanatischer Christ geworden? Hat er nur die Fronten gewechselt?

2. Das Heiligste verteidigen

  • Religiöse Menschen müssen Auskunft geben können. Religion als eine Quelle von Gewalt ist ein Faktum. Es reicht nicht zu sagen, ich persönlich oder wir als aufgeklärte Christen seien dem abhold. Das würde mir nicht ausreichen. Gutmenschentum hat sich schon öfters als trügerisch erwiesen.
  • Nicht Religion generell ist Quelle von Gewalt, sowenig wie eine eigene Sprache in gewalttätigen Nationalismus münden muss. Vielmehr ist der Mensch Quelle von Gewalt. Genauer gesagt: Menschen greifen dort zu Unterdrückung, Gewalt und Terror, wo sie etwas für so unantastbar, absolut und heilig halten, dass die Verteidigung dessen Gewalt legitimiert. Dieses Etwas kann eine Ideologie oder eine Nation, es kann Geld und Einfluss sein, es kann aber auch Gott sein - oder das, was Menschen für Gott halten.
  • Ignatius von Loyola erzählt aus der Zeit vor seiner Bekehrung, dass er auf einen Mauren getroffen sei, mit dem er über Religion diskutiert hat. Als das Gespräch auf die Jungfrau Maria kam, fand Ignatius die Ansichten des Mauren so lästerhaft, dass er ihm nachreiten wollte, um ihm einen Dolch zwischen die Rippen zu stoßen. Zum Glück kam er auf die Idee, seinen Esel entscheiden zu lassen: Er lies die Zügel locker und wartete ab, ob der Esel dem Mauren nachreiten würde. Esel sind klüger: Ignatius wurde davor bewahrt, ein fanatischer Religionsmörder zu werden.

3. Der feine Unterschied

  • Ignatius musste sich noch bekehren. Und ebenso musste sich Paulus bekehren. Bekehrung aber heißt hier genau nicht, dass er einfach nur davor das eine und danach das andere absolut setzt und glaubt und das eine wie das andere mit dem selben gewaltbereit Fanatismus verteidigt. Bekehrung heißt vielmehr ganz konkret, was Barnabas berichtet, "wie Saulus auf dem Weg den Herrn gesehen habe und dass dieser mit ihm gesprochen habe". Auch alle Hinweise, die Paulus selbst auf das Ereignis in seinen Briefen gibt, heben das hervor: Die Bekehrung war eine Begegnung mit Christus, und zwar als dem Gekreuzigten und Auferstandenen.
  • Paulus hat den Gekreuzigten und Auferstandenen gesehen. Ihm sind die Augen aufgegangen, dass dieser schändlich am Kreuz Gestorbene der Gesalbte Gottes, der Sohn Gottes ist. Es gibt vieles, was Menschen als absolut und heilig hoch halten. Aber nur der lebendige Gott Israels, der Allmächtige und Ewige, lässt sich in dieser Welt ans Kreuz schlagen. Jesus hat nicht nur Petrus angewiesen, nicht mit dem Schwert zuzuschlagen. In freier Entscheidung hat Gott sich kreuzigen lassen. Im Namen dieses Gottes gewalttätig zu werden bedeutet, Gott zu leugnen und Christus, den Herrn, nicht zu sehen.
  • Und weiter heißt es: Christus hat in der Begegnung mit Paulus gesprochen. So wichtig es ist, den feinen Unterschied zu sehen zwischen Gottes Allmacht, die Liebe ist, und aller Absolutsetzung von irgendetwas, mag es auch noch so fromm sein, so wichtig ist es, dass das nicht Theorie bleibt, sondern Begegnung wird. Denn nur in der Begegnung, im Hören auf das Wort und im lebendigen Gebet, nur so kann die Wirklichkeit dieses Gottes auch ein Teil von meinem Leben werden. Und dann wird es mich nicht nur davor bewahren, im Namen dieses Gottes Gewalt auszuüben. Gerade weil dieser allein Gott ist, kann der Glaube an ihn wirklich Frieden bringen. Amen.

Ein Nachtrag: Das Evangelium kommt mit Absolutheitsanspruch daher. Nur dieser Gott, der in seiner Allmacht ohnmächtig ist in seiner Liebe, ist der Weg zum Frieden. Dabei bin ich mir bewusst, dass andere Religionen mit derselben Überzeugung von ihrem Gott sprechen. Aber das hindert mich nicht daran, das zu sagen, was mir richtig erscheint. Es ist nicht an mir, für einen Muslim zu entscheiden, wie seine Religion ihn zum Frieden führt. Ich bin nur überzeugt, dass jede Religionsgemeinschaft für sich und aus dem eigenen Glauben diesen Weg suchen kann und muss, und nur so aus der Fülle des eigenen Glaubens Frieden möglich ist. Das ist der Grund, warum die Lösung der Relativierung aller Religion nicht funktinieren kann, sondern ihrerseits nur religionsäquivalentes Bekenntnis ist und sich nicht des Staates bedienen darf, um diese Auffassung in "Ethik"-Unterricht zwangszuverordnen.