Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr B 2021 (Markus)

Zurück zur Übersicht von: 4. Sonntag Lesejahr B

31. Januar 2021 - Kapelle des Gemeinschaftskrankenhaus St. Petrus, Bonn

(Die gehaltene Fassung im Video!)

1. Ein fernes Evangelium

  • In ihrer Synagoge saß ein Mann, der von einem unreinen Geist besessen war. Da befahl ihm Jesus: Schweig und verlass ihn!“
    Ich finde dieses Evangelium spannend. Ich denke nicht, dass die Menschen damals dumm waren und ungebildet, und deswegen von Dämonen gesprochen haben. Ich denke nicht, dass wir heute viel schlauer sind, und deswegen ein solches Evangelium abtun sollten. Vielmehr halte ich es für wichtig, immer zu fragen, was denn die Wirklichkeit ist, die ein solches Evangelium meint. Was ist die Wirklichkeit hinter diesem Text? Denn um diese Wirklichkeit geht es, auch wenn es schwer ist, Sprache und Bilder dafür zu finden.
  • Ist der Mann, dem Jesus in der Synagoge von Kafarnaum begegnet, psychisch krank? Die Symptome lassen es vermuten. Aber da ist mehr. Da ist ein leidender Mensch. In ihm ist nicht ein guter, Leben spendender Geist vorherrschend, sondern einer, der ihn an den Rand des Todes führt. Einen unreiner Geist.
    Es ist kein Zufall, dass das so klar zum Ausdruck kommt, genau in dem Augenblick, in dem Jesus den Raum betritt. In Christus ist das Leben Gottes gegenwärtig. Nicht irgendwie als leere Rede, sondern als machtvolle Gegenwart ist Gott in Jesus präsent. Ein Wort von ihm ist stärker, als der unreine Geist, der die Menschen seit langem gefangen hält.
  • Die knappe Schilderung macht deutlich: Das ist ein Prozess, in dem Heilung geschieht. Es will den Mann schier zerreißen. Die Schilderung des Evangeliums lässt den unreinen Geist aussprechen, dass dieser ‚spürt‘, dass er besiegt ist. Vor der Gegenwart Gottes in Jesus Christus ist dieser Geist nicht mehr der Stärkere. Er muss weichen. Doch gibt es überhaupt diese Wirklichkeit, die hier mit „unreiner Geist“ beschrieben wird? Ist es nicht eine organische Erkrankung, Die sich in epileptischen Anfällen äußert?

2. Macht der unreinen Geister

  • Wir leben in einer angeblich wissenschaftlich aufgeklärten Zeit. Doch heute gelesen räumt das Evangelium nebenbei mit einem Mythos auf. Der Mythos ist so allgegenwärtig, dass uns noch gar nicht mehr auffällt wie einfach er gestrickt ist. Durch diesen Mythos übersehen wir, welche Legionen von Geistern ist in uns hausen und wirken.
  • Der Mythos heißt: Wir sind menschliche Individuen und alles ‚Innere‘ ist ein Teil von uns und ist unserer freien, uneingeschränkten Verfügung unterworfen. Den Mechanismus der Aneignung will nicht zuletzt die Psychoanalyse beschreiben. Der Geist des Menschen ist da mythisch beschrieben, ausgestreckt zwischen Es und Über-Ich. Die Priester der Moderne erklären das Individuum für Gott – der therapiert werden muss. Ganz anders die Bibel.
  • In der – ebenfalls mythischen – biblischen Weise die Wirklichkeit zu verstehen, gibt es den einen, von Gott gut und auf Gemeinschaft hin geschaffenen Menschen. Dieser Mensch – „als Mann und Frau schuf er sie“ – ist immer dann von den Mächten des Todes bedroht, wenn Gottes Geist nicht in ihm mächtig ist – der Geist, den Gott einem jeden von uns bei unserer Schöpfung eingehaucht hat, den Geist es Lebens.
    Beim Evangelium fällt auf, dass der unreine Geist, der lebensbedrohliche Geist nicht als Schuld dieses Mannes geschildert wird, sondern als eine Macht, die von ihm Besitz ergriffen hat, die aber nichts ist im Vergleich zu Gottes Macht.

3. Geist Gottes

  • Der Konflikt im Evangelium ist so wunderbar klar: Hier der unreine Geist – da der Geist Gottes. So einfach hätten wir es gerne öfters.
    Vielleicht gilt für unsere Zeit, dass unsere Kultur erheblich komplexer geworden ist, als sie ess zur Zeit Jesu war. Deswegen ist die Unterscheidung der Geister und ist die Befreiung vom unguten Geist erheblich schwieriger geworden. In einer global vernetzten Welt hängt schnell alles mit allem zusammen. Das ist so und deswegen ist die große Vereinfachung bereits ein Ungeist.
  • Denn gerade heute kennen wir das Phänomen, dass der Geist der Verführung die Menschen überfällt, denen alles zu kompliziert wird. Dann brüllen die Hetzkampagnen oder flüstern die Verschwörungstheorien und allzu viele meinen, dadurch sei auf einmal alles wieder ganz einfach.
  • Das ist genau so ein Augenblick, wo es Menschen braucht, die mit der Kraft und Autorität Gottes sagen: „Fahr aus, unreiner Geist!“. Doch zugleich muss ich wissen, dass die Schilderung im Evangelium verdichtet, was in meinem Leben unter Umständen ein langer Weg ist. Da brauche ich Menschen, die nicht nur analysieren, sondern auch mit Vollmacht sprechen, vor allem dort, wo ich mich verrannt habe. Da braucht es die befreiende Botschaft, dass nicht alles, was ich als Unglück erlebe, meine Schuld ist. Da braucht es den Weg, unreine Geister in die Schranken zu weisen. Das ist, was Raum schafft für den Geist Gottes und was den Menschen frei macht. Amen.