Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr B 2012 (Deuteronomium)

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29. Januar 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Die Faszination der Beherrschbarkeit

  • Die Natur ist berechenbar. Dies ist wohl die Grundannahme der Naturwissenschaft. Lediglich in der Praxis ist das komplizierter. Selbst Technik funktioniert nicht immer so, wie es berechnet wurde. Zudem ist das Versprechen der Beherrschbarkeit der Natur mindestens so sehr Albtraum wie Traum. Dennoch prägt unsere Kultur die Erwartung, dass die Dinge berechenbar und beherrschbar sind. Wir müssten uns nur mehr anstrengen.
  • Die Berechenbarkeit der Natur mag ein Traum der Neuzeit sein. Der Versuch, die "höheren" Mächte zu beherrschen, ist wohl so alt wie die Menschheit. Die Wissenschaften der alten Kulturen waren die Wahrsagerei, die Astrologie und all die anderen magischen Techniken in denen der Mensch "Losorakel befragt, Wolken deutet, aus dem Becher weissagt, zaubert, Gebetsbeschwörungen hersagt oder Totengeister befragt".
    Diese Liste stammt aus dem Buch Deuteronomium, dem fünften Buch der Bibel. Und dort wird all das als "Gräuel", Grauenerregendes (hebräisch: to'ba), bezeichnet, denn diese Techniken der Weltbeherrschung gingen mit der Bereitschaft einher, Menschenleben dafür zu opfern, worauf die Formulierung, "der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt" verweist.
  • Es würde lohnen, unsere moderne Technik der Weltbeherrschung daraufhin zu befragen, bis zu welchem Punkt auch sie ihre Kinder "durchs Feuer gehen lässt". Für den so genannten Fortschritt wurde ein hoher Preis an Menschenleben bezahlt. Doch zugleich, trotz allem Fortschritt und trotz aller Aufklärung, ist die Faszination der verschiedenen Formen von Wahrsagerei und Astrologie keineswegs verschwunden - vielleicht, weil der alten Astrologie und der modernen Technik letztlich dieselbe Idee zugrunde liegt, dass die Welt und ihre Elementarmächte beherrschbar seien.

2. Die Weise Gott zu begegnen

  • Die Bibel hat keine prinzipiellen Einwände gegen die Technik. So lange klar ist, dass der Bereich dessen, was wir Menschen gestalten, Schöpfung ist, und wir uns als Mitgeschöpfe sehen, die dem Schöpfer von allem verantwortlich sind, braucht der Glaube keinen Fortschritt zu scheuen. Gerade dort aber, wo es um den Preis von Menschenleben geht, wird uns die Schrift daran erinnern, dass all das, was wir berechnen und gestalten können, nicht das letzte Heil und nicht göttliche Wirklichkeit ist, sondern "nur" Schöpfung, die geworden ist, weil Gott sein Wort gesprochen hat.
  • Gott selbst aber entzieht sich jeder Berechnung. Und weil Gottes Wille nicht berechenbar ist, lehnt die Bibel Wahrsagerei, Astrologie und Totenbeschwörung so radikal ab, weil dahinter der Versuch lauert, das Göttliche in das Korsett der Berechenbarkeit zu spannen. Hier aber wird uns gesagt: "Du sollst ganz und gar bei dem HERRN JHWH, deinem Gott, bleiben." Dem Volk Israel sagt Gott durch Mose, seinen Propheten angesichts all der militärisch erfolgreichen Stadtkulturen seiner Zeit: Sie "hören auf Wolkendeuter und Orakelleser. Für dich aber hat der HERR JHWH, dein Gott, es anders bestimmt."
  • Gott will sich zu erkennen geben. Gott tritt mit uns Menschen in Beziehung. Aber keine Orakeltechnik und kein Beschwörungsritual kann ihn zwingen. Wir können uns Gottes nicht bemächtigen - zu unserem Glück. Die Weise, wie Gott uns begegnet und wie wir ihm begegnen können, ist das Wort und die Begegnung von Person zu Person. Die biblischen Propheten sind deswegen keine Orakeldeuter, sondern sprechen im Gebet mit Gott. Die heutige Lesung aus dem Alten Testament stellt uns Mose als einen Propheten des wahren Gottes vor. Ihn hat Gott berufen und ermächtigt. Zugleich aber klingt in der Lesung die Verheißung an, die wir in Christus erfüllt sehen: "Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Geschwistern, erstehen lassen." So will Gott uns begegnen.

3. Die rechte Weise zu beten

  • Der Schlüssel liegt darin, wie wir beten. Wenn wir die Heilige Schrift ernst nehmen, wird Beten zu einem Risiko: Wir lassen uns darin auf einen Gott ein, von dem wir wissen und bekennen, dass wir ihn nicht unter Kontrolle haben. Das Gebet "Dein Wille geschehe" beinhaltet das Risiko des Vertrauens darauf, dass Gottes Wille gut ist.
  • Es gibt auch im Christentum, gerade unter Katholiken, immer wieder die Versuchung, solch riskantes Beten zu vermeiden. Das rituelle Beten in festen Texten und in der Feier der Gottesdienste wird darin umgedeutet: Statt der Raum zu sein, den wir betreten um uns Gott anzuvertrauen, werden in dieser Afterform feste Gebete und Rituale zu dem Versuch, Gott unseren Willen aufzuzwingen: Gott müsse doch dieses oder jenes tun, wenn wir nur in "rechter" Weise diese oder jene Gebet sprechen. Nicht selten kommt so eine Haltung als besonders fromm daher. Über solche falsche Propheten sagt das Buch Deuteronomium nur: "Du sollst dich dadurch nicht aus der Fassung bringen lassen."
  • Das Gebet, zu dem uns die Bibel hinführt, kommt aus der Grundhaltung des Vertrauens. In dem Maße, in dem Gottes Heiliger Geist in uns Raum gewinnt, wird unser Glaube an Gott in dieses Vertrauen führen. In dem Maße wird es auch uns und unsere Kultur heilen von der Versuchung, alles um jeden Preis beherrschen, machen und kontrollieren zu wollen. Das Risiko des Vertrauens ist groß. Gott selbst geht es ein. Das Kreuz markiert das Risiko - und zugleich den Grund, warum wir dennoch vertrauen. Amen.