Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2001
Zurück zur Übersicht von: 4. Sonntag der Osterzeit C
6. Mai 2001 - khg St. Nikolai Göttingen
1. Martyrium
- Zum Ersten Mai haben wir mit acht Leuten eine Radtour gemacht, die
es bei hundert Kilometer auf manch schöne
Steigung gebracht hat. Eine gute Trainings-Motivation für unsere
Wallfahrt nach Spanien im Sommer. Ich hatte mir die
Texte für den Sonntag mitgenommen, um unterwegs ein wenig darüber
nachzudenken.
Den Mitradlern hatte ich erklärt: Die große Zahl von Menschen, die nach
der Apokalypse um den Thron stehen, das sind
die Martyrer aus allen Völkern. "eine große Schar aus allen Nationen
und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand
konnte sie zählen. Sie standen in weißen Gewändern vor dem Thron und vor
dem Lamm und trugen Palmzweige in den
Händen. Und er sagte zu mir: Es sind die, die aus der großen Bedrängnis
kommen".
Bis zum Abend, als wirklich jeder die Knochen und Muskeln spüren konnte,
hatte ich genug Angebote mit
Erfahrungsberichten aus dem wirklichen Leben zum Thema "Martyrer".
- Die Assoziation zum Stichwort ist nicht zufällig. Jeder hat eine
Vorstellung davon, was es bedeutet, Martyrer zu sein
oder ein Martyrium zu erleiden. Im Deutschen haben wir noch die Abform
"Marter" gebildet, was Qual und Leiden
bedeutet, die jemandem zugefügt werden.
Tatsächlich aber sollte jeder, der schon einmal an einer katholischen
Trauung teilgenommen hat, wissen, was es bedeutet,
Martyrer zu sein. Am Ende der eigentlichen Trau-Zeremonie ruft nämlich
der Diakon oder Priester alle Anwesenden dazu
auf, Martyrer zu sein - allerdings verwendet er dabei das deutsche Wort:
"Zeuge". Alle Anwesenden werden aufgerufen,
Zeugen dafür zu sein, dass hier Gottes Bundeswirklichkeit zwei Menschen
zur Ehe zusammengeführt hat. Das Brautpaar
selbst wird zu Zeugen für Gott, der seinen Bund mit den Menschen
schließt. Sie bezeugen dies mit ihrem eigenen
Lebensbund.
- Martyrer sind Zeugen. Nicht ihr Leiden und nicht ihr Tod macht sie
zu Martyrern, sondern ihr Zeugnis. Daher kann es
dahin gestellt bleiben, ob es unverheiratet oder verheiratet mehr zu
leiden gibt. Nur dort, wo Menschen mit ihrem Leben
einstehen für den Glauben an die Wirklichkeit Gottes, dort gibt es im
christlichen Sinn Martyrium.
2. Offenbarung der Tiefendimension
- Die Apokalypse ist der visionäre Blick in den Himmel in Zeiten der
Bedrängnis. Die tagtäglich erfahrene Realität nimmt
den Menschen den Hoffnungsatem. Die Christen sind ausgegrenzte
Randgruppe. Sie werden verfolgt und im Alltag
benachteiligt. Im Inneren der Gemeinden bohrt der Zweifel, ob das
Festhalten am Glauben an den menschgewordenen
Gott so wichtig ist. Deswegen schreibt Johannes, was er in einer Vision
gesehen hat: Den Himmel.
- Der Himmel ist nicht das "Danach" der Erde, sondern ihre
Tiefendimension. Die Apokalypse - in ihren Gerichtsszenen
wie in der Verheißung - offenbart die Gegenwart wie die Zukunft der
realen Welt, die Andere als die einzige Welt
vermuten. Offenbaren heißt griechisch "apokalypsein" und Offenbarung -
Apokalypse ist das Zentralwort des christlichen
Glaubens. Es wird offenbar, es zeigt sich, dass die empirische Erfahrung
nur Oberfläche ist. Was sich auf der Oberfläche
als wichtig, mächtig, anbetungswürdig gebärdet, wird in der Offenbarung
entlarvt. Der Kaiser ist nackt! Es braucht nur
die Augen eines Kindes, um zu sehen, dass etwas ganz anderes viel
wichtiger ist.
- Am vorletzten Sonntag haben wir diesen Unterschied zwischen der
Oberfläche und der Tiefendimension in Bezug auf
unsere Realität als Gemeinde gesehen. Wir sind nicht nur auf uns selbst
gestellt. Wir sind kein Club von Menschen, der
zusammen kommt. Gemeinde ist Kirche, von Gott her geschaffen mit
Christus, dem Haupt, im Himmel. Die soziologische
Realität darf uns daher nicht mundtot machen. Nicht glanzvoller Erfolg
kann der Maßstab sein. Denn auch Gott erscheint
auf der Oberfläche nur in der Hilflosigkeit des Lammes - die Offenbarung
aber zeigt, dass diese Ohnmacht alles
überwindet, was so viel stärker scheint.
3. Martyrer
- Der heutige Abschnitt aus der Apokalypse stellt die Menschen vor,
die mit ihrem Leben dafür sorgen, dass die
Tiefendimension der Welt nicht irgendwann, nach dem Tod oder am Ende der
Zeiten, sichtbar wird, sondern in unserer
Gegenwart. Martyrer bedeutet vom Wort her nichts anderes als "Zeuge".
- Die Zeugen des Glaubens machen die Tiefendimension der Welt
sichtbar. Die Zeugen kommen aus der Mitte der
Gemeinde, damals wie heute. Es sind die Menschen die festhalten an der
Überzeugung, dass Gott die Welt nicht ihren
eigenen erbarmungslosen Gesetzmäßigkeiten, dem Fressen und
Gefressen-Werden, überlässt. Gott wird vielmehr
geschichtlich, real und präsent.
Das Ungeheure der Aussage des Johannesevangeliums wird bezeugt, wo Jesus
sagt: "Ich und der Vater sind eins". Der
historische Jesus ist die gültige Offenbarung, die gültige Mitteilung
darüber, wie Gott ist.
Deswegen kann der Glaube auch in den Alltag hinein reichen. Jedes Kreuz,
das in einer Wohnung hängt, jedes
selbstverständliche "Ja, ich bin Christ", jede Feier des
Gottesdienstes am Sonntag, jeder Ehebund in der Kirche und vor
den Freunden und Bekannten, ist ein Zeugnis dafür. Jedes Einstehen für
Ausgegrenzte, jeder Besuch bei einem
hoffnungslos Kranken, jeder Schluck Wasser für einen Fremden ist ein
Zeugnis gegen die Kosten-Nutzen-Berechnung
unserer Effizienzgesellschaft und Zeugnis für die Tiefendimension der
Welt. Ein Zeugnis für den gegenwärtigen Himmel,
von dem die Apokalypse berichtet.
- Trotzdem ist es natürlich kein semantischer Unfall, dass das Wort
Martyrer nach Leiden und Tod klingt. Denn diejenigen
die von Macht und Einfluss profitieren, denen Erfolg und Reichtum auf
der Oberfläche das Wichtigste und Letzte ist,
haben sich zu allen Zeiten dagegen gewehrt, dass Menschen im Glauben an
Jesus Christus die Welt umkrempeln. Wer
darauf vertraut, dass Liebe mehr zählt als Erfolg, wer darauf vertraut,
dass Ohnmacht mächtiger ist als Macht, wer darauf
vertraut, dass das Leben sich nicht im Zählbaren und Messbaren erschöpft
- der wird schnell zu den Verlierern zählen und
ausgegrenzt werden. Wer es für möglich hält, sein ganzes Leben endgültig
in das Versprechen einer Ehe oder die
Berufung in eine Ordensgemeinschaft zu investieren, den wird seine Treue
nach dem Maßstab der Oberfläche viel kosten.
Jedes Amen, das Sie hörbar in der Liturgie sprechen, ist daher ein
Risiko. Man kann und sollte es nur im Vertrauen
darauf sprechen, dass Gottes Leben mächtiger ist als Alles, was uns aus
dem reichhaltigen Angebot der Konsum- und
Erlebnisgesellschaft vorenthalten bleibt. Das Buch der Apokalypse
offenbart uns das, um uns Mut zu machen. Denn jedes
Zeugnis für die Tiefendimension der Welt ist ein Stück Arbeit daran, die
Welt, die wir sehen, von dort her zu verwandeln.
Amen.