Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 4. Adventssonntag Lesejahr A 2016 (Matthäus)

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18. Dezember 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Maßstäbe der Liebe

  • Manchmal hat man alles Recht sauer zu sein. Wer von anderen belogen und betrogen wird, oder wen schlicht das Leben ungerecht behandelt, von dem wird man nicht auch noch erwarten, dass er dazu lächelt und gute Laune hat. Das mindeste ist doch, dass man jemanden zugesteht, sauer zu sein.
  • Bei Josef hätte ich Verständnis. Maria und er hatten sich einander versprochen. Die Hochzeit stand kurz bevor. "Da zeigte sich", heißt es, "dass Maria ein Kind erwartete". Zu unser Beruhigung ist gleich dazu gesagt: "durch das Wirken des Heiligen Geistes".
    Aber Josef wusste das nicht, als sich das mit dem Kind "zeigte" (wie auch immer das zu sehen war, oder Maria ihm sagte; darüber schweigt der Evangelist, weil es offenbar für das, was er berichten will, nicht wichtig ist). Aber dass es Josef tief getroffen haben muss, ist wichtig.
    Wer einmal erleben musste, dass ein geliebter Mensch die Treue bricht, weiß wie das schmerzt, weil man in seiner Liebe so wehrlos ist. Die Ausreden, mit denen manche vor sich selbst einen Ehebruch rechtfertigen, überzeugen wahrscheinlich meist noch nicht einmal den Ehebrecher selbst, geschweige denn den damit tief verletzten Partner oder die Partnerin. Ja, Josef dürfte es tief getroffen haben, als er vermuten musste, dass seine Maria sich mit einem anderen eingelassen hat.
  • Umso mehr beeindruckt es mich, dass er nicht sagt: Ich bin wütend, und sich damit ermächtigt fühlt, der Wut freien Lauf zu lassen. Vielmehr lässt er sich erst einmal die Zeit, darüber zu schlafen. Mir scheint das unendlich wichtig. Das hat nichts damit zu tun, dass Josef gefühllos wäre. Aber Gefühle sind nicht alles. Und auch, dass mir Unrecht geschieht, rechtfertigt nicht alles, schon gar nicht selbst Unrecht zu tun, schon gar nicht, wie man so sagt, mit gleicher Münze zurück zu zahlen. Deswegen nimmt Josef sich Zeit, um sich darüber klar zu werden, was er selbst will und was seine eigenen Maßstäbe für sein Handeln sein sollen.

2. Größere Gerechtigkeit

  • Aber es ist doch mehr. Es heißt, "weil er gerecht war, beschloss er, sich in Stille von ihr zu trennen". Der kleine Satz zeigt, was Gerechtigkeit auch heißen kann.
  • Es gab damals ein Gesetz, das Ehebruch (davon musste Josef ja hier ausgehen) unter schwerste Strafe stellt. Auch wenn es richtig ist, dass heute zum Glück kein staatliches oder sonstiges Gericht dafür Strafen verhängt, bleibt Ehebruch etwas von dem Schlimmsten, was Menschen einander antun können, weil es so unmittelbar gegen die Liebe gerichtet ist.
  • Josef muss davon ausgehen, dass so etwas passiert ist. Gerade wenn er Maria bisher ganz anders kennen gelernt hatte, muss ihn das besonders getroffen haben. Er wäre ungerecht und unbarmherzig behandelt worden. Nach damaligen Standard wäre gerecht gewesen, das Unrecht, das ihm allem Anschein nach angetan worden war, der dafür vorgesehen Strafe zuzuführen. Doch offenbar sieht Josef - wie ungerecht auch immer es in getroffen haben mag - die größere Gerechtigkeit darin, einen barmherzigen Weg zu gehen und Maria "nicht bloßzustellen". Nicht obwohl, sondern weil er gerecht ist, ist er barmherzig. Er verhindert damit für Maria die Bestrafung wegen Ehebruch; das wäre die 'gerechte' Strafe gewesen und niemand von seinen Leuten hätte Josef dafür getadelt. Aber Josef will nicht Strafe, nicht diese Gerechtigkeit, die neues Leid verursacht.

3. Rettung zum Leben

  • Hier geht es um das nahe Weihnachten. In der barmherzigen Gerechtigkeit steht Josef ganz in der Tradition des Königs David, wie der in der Erinnerung des Volkes lebendig ist. Und zugleich verweist Josef damit auf den, der kommen wird. Gott selbst will König seines Volkes sein, es in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit regieren.
  • Ein Adventslied formuliert das so: "Als wollte er belohnen, so richtet, er die Welt" (Die Nacht ist vorgedrungen, Jochen Klepper 1938, Gotteslob 220). Die Gerechtigkeit Gottes will von der Ungerechtigkeit und Sünde befreien. Doch Gott nimmt Maßstab an sich selbst, wie es seinem tiefsten Wesen entspricht. Gericht wird hier zur Rettung und führt nicht zur Vernichtung.
  • Josef zeigt sich darin als Nachkomme des Königs David, dass seine Gerechtigkeit barmherzig ist. Indem er es ist, der gemäß dem Auftrag des Engels dem Kind den Namen geben, wird er Jesus adoptieren und so ermöglichen, dass das Volk Israel in ihm den erkennt, der da kommen soll. Dabei tritt Josef zurück, damit es ganz Gottes Heiliger Geist ist, durch den das Kommen Gottes in unsere Welt bereitet wird, in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, wie Gott so ist. Amen.