Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr A 1999 (Matthäus)

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13. Juni 1999 - St. Barbara Krakau

1. Schafe

  • Das Bild von den Schafen ohne Hirten will nicht so recht passen. Wer hat schon wild durcheinanderblökende Schafe vor Augen, wenn er über unsere Zeit nachdenkt. Die Schafe, die hierhin und dorthin rennen, irritiert und verstört, weil nicht klar ist, wohin der Weg geht. Die Schafe, die lautstark durcheinanderblöken, Angst und Unsicherheit hörbar machen - wo sieht man, wo hört man das heute noch?
  • Aber, der Schein trügt. Die Schafe sind verloren wie eh und je. Sie sind nur cool geworden. Sie lassen sich nichts anmerken, tänzeln selbstbewusst durch den Pferch und tun so, als wüssten sie immer und überall wo es langgeht. Nur an der manchmal etwas verkrampften Haltung merkt man es den Schafen an, dass sie ihre Unsicherheit nur mit großer Anstrengung kaschieren. In Wirklichkeit wissen sie schon lange nicht mehr, wozu das alles gut ist, was sie als Glitzerfassade aufgebaut haben, um dahinter immer einsamer zu werden.
    Dann gibt es noch die Oberschafe, die mit klugen und gesetzten Worten, im seriösen, staatsmännischen Stil vor die Kameras treten und Erklärungen abgeben. Wer aber auch nur einigermaßen zuhört ist erstaunt über die Leere der Worte und die Orientierungslosigkeit. Diese Schafe marschieren festen Schrittes - ohne zu wissen wohin.
  • Von Jesus wird gesagt: er hat Mitleid. Es ist das Mitleid Gottes mit den Menschen, die müde und erschöpft sind. Müde und erschöpft, weil sie ihre Unsicherheit hinter der coolen Fassade verstecken müssen. Müde und erschöpft, weil sie allzu oft, allzu hektisch, allzu kurzatmig den falschen Hirten hinterherlaufen. Müde und erschöpft, wie Schafe, die keinen Hirten haben.

2. Zwölf

  • Das Mitleid Gottes wird zur Tat Jesu. Die Einsetzung der Zwölf als Hirten Israels, ihre Aussendung mit Vollmacht, ist die Liebestat Gottes. Er sendet sie zu den verlorenen Schafen - des Hauses Israel.
    Es ist so ausdrücklich betont, dass man es kaum glauben mag. Es ist so ärgerlich, dass man es schnell weg interpretieren mag. Aber es steht da: Jesus sendet die Zwölf ausdrücklich nur zu den verlorenen Schafen Israels. Er verbietet ihnen geradezu irgendwo anders hinzugehen.
  • Alles andere wäre auch sinnlos. Die „Verlorenheit", von der das Evangelium spricht, ist nämlich keine abstrakte Verlorenheit, in dem Sinne in dem jeder Mensch „irgendwie" verloren ist. Es ist das verlorene Volk Gottes, das Volk Israel zu dem Jesus die Jünger aussendet. Deswegen sind es auch genau zwölf, die er schickt, obwohl mehr doch viel effektiver wären.
    Denn Zwölf ist die Zahl der Stämme Israels, zwölf Männer wählt Josua aus, um vor der Lade des Herrn in das Gelobte Land einzuziehen, zwölf Körbe bleiben bei der Brotvermehrung, um das Volk Israel zu nähren, auf zwölf Thronen werden die Apostel sitzen als Richter über Israel, und Zwölf ist die Zahl der Tore des himmlischen Jerusalem, gebaut auf den Grundsteinen der zwölf Apostel.
  • Jetzt aber sieht Jesus dieses Volk der zwölf Stämme: es ist verloren. Dieses Volk, das Gott zugehört, sucht er. Diesen Bund mit diesem Volk will Gott erneuern. Dieses Volk, das seit Abraham unter allen Völkern von Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde, als sein Volk erwählt wurde, will er wieder sammeln und retten. Er will den Gottesfrieden und die Gottesgerechtigkeit in diesem Volk erneuern, um all die großen und mächtigen Völker durch dieses kleine und schwache Volk zur Einsicht zu führen: Einer nur ist Gott.
    Das Heilen von Krankheiten und das Austreiben von Dämonen sind nicht einfach gute Wundertaten, die die Apostel vollbringen sollen, es sind die Zeichen des wieder erneuerten Bundes Gottes mit seinem Volk.

3. Evangelium für uns Heiden

  • Dieses Evangelium wird uns verkündet, die wir nicht zu den zwölf Stämmen, zum Volk Israel gehören.
    Israel hat den Messias nicht angenommen, einer der zwölf hat ihn verraten. Die Ältesten des Volkes haben ihn dem Kreuz überliefert. Den Jüngern ging es nicht besser als ihrem Meister.
    Damit hat jedoch Gottes Mitleid mit den Menschen nicht aufgehört. Aber Gott geht einen neuen Weg, um sein Volk zu sammeln, um den müden und erschöpften Menschen der Hirte zu sein. Der neue Weg ist die Kirche. Gott sammelt sich Menschen aus allen Völkern und aus allen Nationen. Wir alle dürfen ausruhen bei ihm. Wir alle sind gesandt mit den Aposteln. Wir alle haben Teil an dem großen Geschenk.
  • Auf andere Weise sind auch wir nicht abstrakt verloren, sondern ganz konkret: Wir haben unsere Verwurzelung verloren. Wir leben nicht mehr aus dem, der uns geschaffen hat, sondern irrlichtern durch die Welt, müde und erschöpft. Wir sind nicht das verlorene Volk Israel, aber wir sind die Völker, die die Hoffnung verloren haben, die Verheißung, einst zum Berg Zion pilgern zu dürfen.
  • Im heutigen Evangelium sendet Jesus die Apostel zu allen Stämmen Israels. Der Auferstandene wird sie zu allen Völkern senden. Am Ende aber steht die Erfüllung der Liebe Gottes zu den Menschen, wenn alle Völker vereint mit dem Volk Israel den Menschensohn sehen werden, wenn er kommt. Dann richtet euch auf und erhebt euer Haupt, denn die Erlösung ist nahe. Amen.