Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr C 2004 (Lukas)

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7. November 2004 - Hochschulgottesdienst, Kaiserdom Frankfurt

1. Streitgespräche

  • Es ist schön, etwas zu wissen. Es ist gut, gebildet und intelligent zu sein. Schön und gut ist es - und gefährlich. Das tollste Argument ist bedenklich, wenn es nur dazu dient, Recht zu haben und nicht dazu, in der Wahrheit zu leben. Manchmal machen wir die genialsten Gedankenoperationen, nur um der einen Frage aus dem Weg zu gehen: Der Frage, wie es um uns selbst steht.
  • Saduzäer sind gebildete Leute. Im Israel der Zeit Jesu waren sie die Elite in der Priesterschaft und der politischen Selbstverwaltung. Die Sadduzäer waren die gefährlichsten Gegner Jesu. Das Evangelium gibt einen Eindruck von der Art der Auseinandersetzung, mit der sie versuchten Jesus auf offenem Feld beizukommen.
  • Der Glaube an ein Leben nach dem Tod hat sich im Judentum erst in den letzten Jahrhunderten vor Christus verbreitet. Die Sadduzäer lehnen ihn ab. Das Argument, mit dem sie Jesus beikommen wollen, ist raffiniert. Denn die Sozialgesetzgebung des alten Israel schützte kinderlose Witwen vor der Verarmung, indem sie den unverheirateten Schwager verpflichtete, die Witwe seines Bruders zu heiraten. Die Ehe war damals ein Institut der sozialen Sicherung, nicht der romantischen Liebe.
    Mit intellektueller Raffinesse konstruieren die Sadduzäer im Streitgespräch mit Jesus den - absurden - Fall, dass eine Frau sieben Brüder nacheinander zum Mann hat. "Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt."

2. Auferstehung

  • Das Argument der Sadduzäer ist intellektuelle Spielerei. Jesus tut es geradezu beiläufig ab: "Nur in dieser Welt heiraten die Menschen". Der Punkt jedoch, um den es bei der Auferstehung geht, ist ein ganz anderer. Für Jesus geht es dabei nicht um theologische Theorie, sondern um Lebenswirklichkeit.
  • Auferstehung, meint Jesus, hat es zu tun mit unserem jetzigen und hiesigen Leben. Das ist ganz klar in dem, was Jesus den Sadduzäern sagt. Deswegen bietet Jesus keine Theorie des Lebens nach dem Tode. Er spricht nicht allgemein vom Menschen im Diesseits und im Jenseits. Vielmehr geht er ganz präzise auf die Hoffnung ein, aus der er selbst lebt und die er mit seinen Jüngern teilen will. Auferstehung bedeutet daher für Jesus erst einmal nur die Frage, aus welcher Hoffnung ich lebe.
  • Wenn die Frage nach der Auferstehung so merkwürdig belanglos und abstrakt bleibt, wenn es für die Frage, wie ich heute und morgen leben will, so auffällig folgenlos ist, dann hat das Gründe.
    Der Grund kann Desinteresse sein, der Mangel an Lust und Gelegenheit, sich die Frage zu stellen. Der Grund kann aber auch sein, dass ich Wissen über Wissen, Buch über Buch, Gedanke über Gedanke häufe - und dadurch geschickt vermeide, dass dies Konsequenzen hat.

3. Beziehung

  • "Nicht das viele Wissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Innerlich-die-Dinge-Verspüren-und-Schmecken." Diesen Hinweis gibt Ignatius von Loyola in seinen Exerzitien. Nicht viel zu wissen, sondern das innere Begreifen und Nachvollziehen ist das, woraus unsere Seele lebt. Wissen, Nachdenken und verstehen sind doch nicht schlecht. Im Gegenteil. Sie sind im Zeitalter der vorkonfektionierten Meinungen notwendiger denn je. Deswegen sollte ich genauer werden.
  • Das Anhäufen von Wissen kann die Liebe erdrücken. Bedenklich ist es, wenn die Theorie zum Schutzpanzer wird. Wann diese Gefahr eintritt, so denke ich, lässt sich recht genau feststellen. Denn ich muss mich nur fragen, ob ich - zu Gott - eine Beziehung habe, oder ob Gott nur Gegenstand meiner Theorie ist. Wie aber läuft das bei einer Beziehung?
    Ich speise den anderen nicht mit sophisten Theorien ab, sondern halte dem anderen mich selber hin. Und damit mache ich mich verletzlich. Ich riskiere, nicht verstanden zu werden. Ich riskiere, dass offenbar wird, was in meinem Leben nicht so glatt läuft, wie ich es sonst gerne ausehen lasse. Liebe riskiert Verletzung. Verletzung schmerzt. Dieser Schmerz ist letztlich das Erkennungsmerkmal der Liebe. Der größte Schmerz ist der Tod. Auferstehung bedeutet, auch in diesem Augenblick zu Gott in Beziehung zu bleiben.
  • Die Auferstehung, die Jesus meint, ist deswegen eine Erfahrung, die jeden Tag möglich ist. Eine Erfahrung, die sich im letzten Tod nur vollendet und offenbart. So zeigt sich Auferstehung als das Leben in Beziehung zu Gott, das hier schon begonnen hat. So merkwürdig das klingt: der Schmerz, den ich in der Beziehung zu Gott spüre, ist Kennzeichen der Liebe. Wenn ich schon hier ein Engel wäre, könnte ich lieben ohne den Schmerz. Als ein Mensch mit Fehlern, Ecken und Kanten, muss ich den Tod kosten, um mir das Leben schenken lassen zu können. Davon, von nichts weniger spricht Jesus. Die Kraft dieser Liebe, die mich mit Gott verbindet - in ihr hat Gott mich als Tochter oder Sohn angenommen. Amen.