Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr A 2011 (1. Thessalonicherbrief)

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6. November 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Mensch woher

  • Wir kommen nicht aus unserer Haut. Auch wenn ein Michael Jackson mit viel Geld versucht hat, das zu ändern, und die modernste Medizin beschäftigt hat, um heller auszusehen, so bleibt es dabei. Letztlich kommen wir nicht aus unserer Haut. Wir müssen lernen, damit zu leben.
  • Es gibt auch die so genannte zweite Haut. Damit ist all das gemeint, was uns von unserer Herkunft her prägt. Auch da können wir strampeln. Ganz raus kommen wir nicht. Natürlich ist kein Mensch festgelegt dadurch, wo er, seine Eltern oder seine Vorfahren geboren sind, was ihre Kultur und ihre Sprache ist oder ihrer Erziehung und Kultur. Keiner ist dadurch für sein Leben festgelegt. Und trotzdem prägt es uns - manchmal mehr, als uns lieb ist. Auch von anderen werden wir darauf festgelegt. Dabei ist das doch nicht entscheidend, ob ich aus der Türkei, dem Togo, dem Sauerland oder den Philippinen komme! Zu allererst bin ich doch Mensch.
  • Probieren Sie es doch einfach mal aus. Dem nächsten, der sie fragt: "Woher kommst Du?", antworten Sie einfach: "Woher ich komme? Ich bin von Gott, meinem himmlischen Vater, geschaffen!" Mal sehn, was Ihnen darauf geantwortet wird!
    Denn dies ist die einzige Festlegung, die alle Schubladen unmöglich macht außer der einen: Dass ich eine unverwechselbare Würde habe, die mir kein Mensch auf Erden nehmen kann. Gott, der Schöpfer, ist mein Vater: Das ist es, woher ich komme.

2. Mensch wohin?

  • Wohin aber gehe ich? Kleine Kinder, Schulabgänger oder frisch examinierte Studenten fragt man, was sie werden wollen. Bei anderen Erwachsenen sind wir vorsichtiger; das Thema ist intim oder heikel: "Wo willst Du mit deinem Leben hin? Was ist Dein Ziel?" Vielleicht ist die Frage so intim und heikel, dass wir auch uns selbst gegenüber vorsichtig sind, uns diese Frage zu stellen.
  • Dennoch beantwortet sich vielleicht die Frage, wer ich bin, mindestens so sehr vom Ziel wie vom Ursprung her.
    [Das gilt, nebenbei bemerkt, auch für die ganze Schöpfung. Die Naturwissenschaften können mir faszinierend das "Woher" erklären, wie das alles aus einem Urknall und auf dem Weg der Evolution geworden ist. Mit naturwissenschaftlichen Methoden kann mir aber niemand das "Wohin" erklären. Warum sollte das Woher des Universums und der Erde wichtiger sein als das Wohin?]
  • Was ich in Zukunft sein und werden will, dürfte nicht ohne Bedeutung sein für heute. Bei einer Berufsausbildung ist es ganz offensichtlich, beim Training für den nächsten Stadtmarathon auch. Jetzt führt da jemand sein Leben in bestimmter Weise, um später sein Ziel zu erreichen.
    Ist es daher so abwegig zu behaupten, dass das, was wir in der Gegenwart wirklich sind, sehr viel zu tun hat mit dem, wohin wir in unserem Leben wollen? Spätestens dann spürt das jeder, wenn ein junger Mensch überraschend stirbt. Es wird für immer offen bleiben, was aus diesem Leben hätte werden können, wenn sich seine Träume und Wünsche erfüllt hätten. Seiner Lebensgestaltung auf die Zukunft hin ist diese Zukunft genommen.

3. Die Sorge der Thessalonicher

  • Angesichts dieser Fragen erscheint die Sorge weit hergeholt, die die Christen damals in Thessaloniki beschäftigt hat und auf die Paulus in der heutigen Lesung zu antworten versucht. Diese frühen Christen standen unter dem Eindruck der ungeheuren Dynamik von Leben, Kreuzigung, Tod und Auferstehung Jesu. Gott hatte in ihrer Zeit etwas angestoßen. Daher gingen sie davon aus, dass auch noch zu ihren Lebzeiten die Vollendung kommt: Christus, "der Herr selbst, wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. " Die Liebe, die sich am Kreuz verhüllte, würde bald offenbar werden. Was aber, so ihre Frage, ist dann mit denen aus ihrer Mitte, die schon gestorben sind?
  • Diese Frage bedrängt uns Menschen heute genauso - wenn wir sie uns denn stellen. Nicht dass wir Christen heute - außer in ein paar belächelten Sekten - ernsthaft damit rechnen würden, dass zu unserer Lebzeit auf Erden der Herr wiederkommt und die Schöpfung in der Herrlichkeit Gottes vollendet. Das ist bezeichnender Weise nicht das Ziel, auf das wir hinleben.
    Aber unsere Frage ist zwar ganz anders und doch gar nicht so weit davon entfernt: Was ist mit den Menschen, die in ihrem Leben auf Erden ihr ganz persönliches Ziel nicht erreichen konnten, weil sie zu früh gestorben sind? Sie haben ihr Leben in der Gegenwart auf Ziele hin gestaltet, die sie nie erreichen durften.
  • Es ist gut zu wissen, woher wir kommen und welche Kultur uns prägt. Besser aber ist es, zugleich zu wissen, dass wir aus Gott kommen, seine geliebten Kinder sind. Es ist gut, im Leben Ziele zu haben. Besser ist es, zugleich in allem das Ziel zu haben, das auch die Christen in Tessaloniki umgetrieben hat: Ich möchte Gottes Liebe und Herrlichkeit erfahren. Dazu wird mir Gott viele Gelegenheiten und Wege geben. Das große Ziel ist, wenn diese Liebe und Herrlichkeit aus der Verhülltheit heraustritt und vor allen Menschen offenbar wird. "Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden dann den Verstorbenen nichts voraushaben."
  • [Vergangenen Montag fand eine nichtreligiöse Feier für einen Hamburger Kapitän statt, der überraschend schon mit 61 Jahren gestorben ist. Die Feier war gut gestaltet und hat aus vielen Perspektiven das Leben des Verstorbenen gewürdigt. Vieles hatte er erreicht. Er hatte gespart, um später in einem Haus am Atlantik leben zu können. Das war gerade fertig, als er nun gestorben ist. Der Beerdigungsredner sagte am Schluss der Feier, fast schon religiös, im Blick zum Sarg: "Komm da an, wo du dich hingewünscht hast". Im Stillen stand ich hinten in der Trauerhalle und habe ihm und uns gewünscht: Lass uns eine Herrlichkeit und Liebe schauen, die größer und schöner ist, als alles wo wir uns hingewünscht haben - und lass uns heute im Blick auf dieses Licht leben. Amen.