Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr C 2007 (Lukas)

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28. Oktober 2007 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt

1. Bilanzen

  • Firmen erstellen Bilanzen. Vereine und Verbände auch. Neuerdings gibt es das sogar in der Kirche. Zum Ende der Periode wird ein Strich gezogen und nach Vermögen und Verbindlichkeiten gefragt. Bilanzen können helfen zu sehen, wo man steht, wenn man sie nicht dazu missbraucht, dir ungeliebte Realität zu verschleiern oder die Zahlen schönzureden (oder der Steuer wegen schlecht zu machen).
  • Für Firmenbilanzen gibt es feste Termine. Sie müssen die Bilanz zum Jahres- oder Quartalsende erstellen. Für die Bilanz unseres eigenen Lebens gibt es das nicht. wir sind da frei. Niemand wird gezwungen, für sein eigenes Leben Bilanz zu ziehen. Wo stehe ich? Was gibt es bei mir auf der Haben-Seite, wo muss ich mir eingestehen, dass da nichts ist, Verbindlichkeiten gar? Wer keine Bilanz erstellt, steht dadurch nicht besser oder schlechter da - er ignoriert es nur.
  • Bilanz zu ziehen bedeutet, sich auf einen anderen Standpunkt zu stellen. Nur wer zum Tagesgeschäft Abstand nimmt und die Vogelperspektive einnimmt, wird den Überblick bekommen. Bilanz zu ziehen kann Erfolgserlebnisse vermitteln. Es kann aber auch schmerzhaft sein. Trotzdem gibt es immer beides, die haben- und die Sollseite. Je nach Charakter sieht man das eine mehr oder das andere. Das Gebet ist die Einladung, vor Gott Bilanz zu ziehen. Gebet führt dahin, das eigene Leben mit den Augen Gottes zu sehen. Das kann ein helles Licht auf das Leben werfen. Das Licht mag schmerzhaft sein. Der Blick Gottes ist aber ein liebender Blick, auch dort, wo er schmerzhafte Seiten anblickt.

2. Pharisäer und Zöllner

  • Zwei gehen zum Tempel hinauf. Sie gehen in das Haus Gottes. Wir erfahren nicht, ob sie es gewohnheitsmäßig machen oder ob sie sich dazu durchgerungen haben. Nur eines können wir mit Sicherheit ausschließen: Dass die beiden zusammen miteinander zum Tempel gehen. Zu groß ist dafür die Verachtung respektabler Kreise für schmierige Zöllner. Natürlich sind es Karikaturen, die Jesus in dem Beispiel malt. Aber Karikaturen helfen, die Konturen klarer zu sehen.
  • Der eine ist besser als die anderen. Er ist "nicht wie die anderen Menschen, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher". Nicht zufällig hat dieser eine das mit der Mehrheit wohl auch hier in der Kirche gemein. Ich bin gerne bereit, dem Pharisäer zu glauben, dass all das stimmt, was er von sich behauptet. Aber er ist nur äußerlich zum Tempel hinaufgegangen; innerlich steckt er in sich selbst fest. Das Gebet ist ihm nur Vorwand, um "ich, ich!" zu sagen. Er steht im Tempel und ist doch selbst Maß aller Dinge. Er mag einer sein, der im nächsten Moment seiner Schwester und seinem Bruder haarklein vorrechnet, was diese falsch gemacht haben und wo diese hinter dem Ideal der Perfektion zurück bleiben. Da er nur sich selbst als Maß hat, sieht er nicht, wie wenig "perfekt" er selbst ist.
  • (Nicht zufällig ist der Pharisäer vor allem auf seine religiösen Leistungen stolz. Jesus erzählt das Beispiel seinen Jüngern, weil gerade Jünger Jesu, vor allem beauftragte Apostel oder heute Priester und Ordensleute unter dem Anspruch stehen, "religiös perfekt" zu sein. Der Anspruch kommt von innen, wird aber auch von außen verstärkt. Das jedoch ist zutiefst ungesund. Entweder wird man innerlich zum 'Pharisäer', oder es brechen Außen- und Innenbild auseinander, was nur in zerstörerischem Selbsthass enden kann.)
  • Pharisäer wie Zöllner gehen zum Tempel hinauf. Beide stellen sich dort hin. Der Pharisäer aber steht nur "für sich" (so eine Textvariante). Nur der Zöllner stellt sich in das Licht Gottes. Nur der Zöllner gibt Gott Raum in seinem Leben. Deswegen kann Jesus den Zöllnern und Sündern, die zu ihm kommen und nicht in ihrem alten Leben verharren, den Vorzug geben. Weil sie sich dem Licht Gottes aussetzen. Das ist zwar schmerzlich für sie. Zugleich ist es aber heilsam. Sie müssen nicht sich selbst Gott sein. Sie vertrauen sich dem Gericht Gottes an. Mit diesem Anvertrauen schon kann Gottes Liebe wirksam werden.

3. Vor Gott stehen

  • Am Ende steht immer das Gericht. Wir können ein Leben lang Bilanzziehen vermeiden. Am Ende wird doch offenbar, was wir sind - wozu wir uns gemacht haben. Im letzten Satz des Evangeliums spricht Jesus das aus: "Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden." Damit ist nicht eine (willkürliche) Straf- und Belohnungsaktion Gottes gemeint, die aus heiterem oder düsterem Himmel über uns käme. Gott ist nur das eine und will nur das eine: Liebe.
  • Liebe aber lässt den anderen sein. Wir werden im Hinübergang von diesem in das Ewige Leben nicht hirngewaschen und bis zur Unkenntlichkeit verändert. Weil Gott uns liebt, hat er uns unverlierbar Freiheit und Würde geschenkt. Deswegen ist es an uns, ob wir zur Lebe fähig sein werden, wenn wir in Gottes Gegenwart eingehen. Wenn ich hier nur "Ich! Ich!" gesagt habe, bin ich ein "Ich! Ich!"-Mensch, und sei ich noch so oft in den Tempel hinauf gegangen.
  • Der Tempel lädt zu anderem ein. Das Evangelium stellt mich vor die Alternative, um mich auf einen anderen Weg zu führen. Gott stellt sich behutsam, liebevoll an meine Seite und lädt mich ein zur nüchternen Bilanz. Auch wenn wir kein korrupter Zöllner sein sollten. Wir tun es besser, mit dem Zöllner "Du" zu sagen und uns der Barmherzigkeit Gottes zu öffnen, als mit dem Pharisäer in Selbstgerechtigkeit zu erstarren. Wir tun gut daran, auf das Erbarmen Gottes zu vertrauen und uns anstecken zu lassen von seiner Barmherzigkeit. Wir tun gut daran und es tut uns gut, barmherzig zu sein und Barmherzigkeit zu empfangen, um Versöhnung zu bitten und Versöhnung anzunehmen, Liebe zu empfangen und Liebe zu schenken. So können wir vorbereitet sein auf das Fest der Liebe in Gottes Gegenwart. Amen.