Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr B 2009 (Markus)

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25. Oktober 2009 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Den kleinen australischen Film "Proof" von 1991 habe ich damals im Programmkino gesehen, und die Geschichte vom Blinden, der photographiert, hat mich immer wieder beschäftigt: Ein Bild für den Versuch die Welt und die Mitmenschen unter Kontrolle zu halten, um nicht vertrauen zu müssen. Erst viel später habe ich ihn wiedergesehen und entdeckt, dass er mit Russel Crowe (Gladiator) Hugo Weaving (Matrix) und Regisseurin Jocelyn Moorhouse (Ein amerikanischer Quilt) spätere Weltstars als damals unbekannte Debütanten versammelt.

1. Bartimäus und der Weg

  • Wir kennen Bartimäus mit Namen. Das ist die große Ausnahme. Er ist der einzige von den durch Jesus Geheilten im Markusevangelium, dessen Name überliefert wird. Und seine Heilung findet an prominenter Stelle statt: Die letzte Station Jesu vor Jerusalem. Die Kapitel davor haben von dem Lernweg der Jünger erzählt, die noch nicht begreifen können, was der Weg Jesu ist. Am Ortsausgang von Jericho setzt der blinde Sohn des Timäus alles daran, Jesus auf eben diesem Weg folgen zu können.
  • Bartimäus sitzt am Rand. Er ist blind. Er kann nur hören, riechen und ahnen wie eine große Menschenmenge an ihm vorbeizieht. Er schnappt Gesprächsfetzen auf: Es ist Jesus von Nazareth, von dem er schon viel gehört hat und über den er schon oft nachgedacht hat. Jetzt ruft er laut. Er schreit, um sich Gehör zu verschaffen.
  • Jesus geht nicht zu ihm; er weiß, dass Bartimäus selbst die Kraft hat. Gegen allen Widerstand der Menge kämpft Bartimäus sich zu Jesus durch. Er weiß was er will. "Rabbuni", sagt er ehrfurchtsvoll, "Mein Lehrer, ich möchte wieder sehen können!" Jesus ist beeindruckt von diesem Glauben: "Geh", sagt er ihm, "dein Glaube hat dir geholfen". Und der, der am Rand des Weges gesessen hatte, folgt Jesus auf dem Weg nach Jerusalem.

2. Blind sein und Photographieren

  • Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist blind zu sein. Selbst wenn ich mich für einige Zeit in völlig dunklen Räumen bewege, kann ich bestenfalls eine Ahnung davon haben, wie es ist. Blinde sind abhängig von denen, die sehen. Blinde können tasten, riechen, hören. Es gibt Hilfsmittel zum Lesen. Aber wer blind ist, muss immer auch darauf vertrauen, dass andere ihm nicht Hindernisse in den Weg stellen. Er muss vertrauen, dass er nicht betrogen wird über das, was er nicht sehen kann.
  • Vertrauen zu müssen kann Angst machen. Vielleicht würde ja die absurde Idee helfen, von allem, was ich als Blinder nicht sehen kann, ein Photo zu machen. Dann kann ich später das Photo unabhängig von einander verschiedenen Leuten zeigen, um Beweise zu sammeln, dass ich nicht belogen wurde. 'Was sieht man dort', frage ich den einen, mache ein Bild und lasse dieses mir von einem anderen beschreiben. Wie sonst soll ich wissen, wem man vertrauen kann, dass dies der richtige Weg ist?
  • Die Vorstellung vom Blinden mit Photoapparat mutet merkwürdig an. Um kontrollieren zu können, was andere sehen, ist das eine Erfindung, um die Kontrolle zu behalten. Um nicht vertrauen zu müssen, dienen die Photos als Beweise. Die anderen könnten mich ja belügen. Sie könnten es, weil sie es können. Wenn die Möglichkeit des Betruges in der Welt ist, - so diese Philosophie - wäre es besser, Mittel zu finden, die Kontrolle zu behalten.

3. Vertrauen und Mitgehen

  • Merkwürdig ist der blinde Photograph und doch ein treffendes Bild. Denn auch wenn die Augen unseres Körpers sehen, könnten wir uns genau so verhalten. Weil wir nicht sehen und wissen, was die anderen wollen und tun, ist die Versuchung da zu kontrollieren. Das ist nicht selten. Gerade wenn der Liebe das Gift der Eifersucht beigemischt ist, ist das Vertrauen das erste Opfer.
  • Der blinde Bartimäus ist der Sehende. Er sieht in Jesus dem, dem er vertrauen kann. Während die Jünger bislang davor zurückschrecken, sich innerlich auf den Weg Jesu einzulassen, hat Bartimäus, blind wie er ist, schon gesehen, dass er den Weg mitgehen kann. Während die anderen Jünger noch darüber diskutieren, wer unter ihnen der Größte ist und wie sie möglichst viel für sich selbst rausholen können, wirft Bartimäus "seinen Mantel weg, springt auf und läuft auf Jesus zu".
  • Deswegen ist es gut, dass wir Bartimäus mit Namen kennen. Er ist bleibend das Muster dafür, dass wir berufen sind, uns auf die eigenen Füße zu stellen. Er steht als Symbol dafür, dass Jesus der eine ist, dem wir vertrauen können. Der Blinde kann uns lehren zu sehen. Mit ihm können wir den alten Mantel abwerfen und uns auf den Weg machen. Amen.