Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Matthäus)

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23. Oktober 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Gott in allem

  • Jesus findet sich in Jerusalem in Konflikten. Vergangenen Sonntag haben wir gehört, wie versucht wurde Jesus eine Falle zu stellen, indem er gefragt wurde, ob es erlaubt sei dem römischen, heidnischen Kaiser Steuern zu zahlen. Jesus hat die, die ihn fragten, entlarvt: Sie trugen die Steuermünze mit dem Bild des Kaisers in der Tasche. "So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört".
  • Bei dieser Antwort Jesu wurde aber auch deutlich: Wir Menschen mögen zwar in wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeit stecken, die uns zwingen, dem Kaiser zu geben, "was dem Kaiser gehört". Das ist aber kein "gottfreier" Raum. Denn Gott ist nicht ein Teil der Welt und nicht für einen Teil zuständig. Gott ist der Urheber und Urgrund der ganzen Schöpfung. Wir tragen sein Antlitz, weil wir berufen sind, diese Welt zu verwandeln hin zu der Liebe, die Gott selbst ist. Davon nun handelt das heutige Evangelium: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken." Und: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."
  • Die ganze Bibel hält daran fest: Diese beiden Gebote sind nicht zu trennen. Einen eindrücklichen Text dazu haben wir aus dem Alten Testament als erste Lesung gehört. Niemand kann Gott lieben und seinen Nächsten hassen. Das geht einfach nicht. Umgekehrt gilt: Dort, wo ich dem Mitmenschen und dem Mitgeschöpf in respektvoller Liebe begegne, dort begegne ich dem, der bleibend der Schöpfer von allem ist und seiner Schöpfung in Liebe verbunden ist. Jesus wird diesen Gott sprechen lassen "Was ihr dem geringsten meine Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan".

2. Begrenzte Liebe

  • Eine Konsequenz daraus ist: Meine Liebe ist immer begrenzt angesichts der Unbegrenztheit Gottes. Meine Liebe ist begrenzt, weil auch ich es bin. Ich kann nicht über diese Grenze hinaus lieben und muss es daher auch nicht.
  • Oft erlebe ich Menschen, die daran leiden, dass sie nicht helfen können, wie sie helfen wollen. Sie erleben schmerzhaft, wie ein anderer psychische, soziale oder materielle Not hat. Die Erfahrung ist, dass ich nicht jede Not beheben und nicht jeden Schmerz lindern kann. Das ist im konkreten Fall bedrückend.
  • Aber dadurch, dass ich in jeder noch so begrenzten Liebe zu einem Mitgeschöpf den Schöpfer selbst liebe, wird meine Liebe nie ins Leere gehen und vergebens bleiben. Sie hat immer ein Gegenüber. Sie ist immer ein Teil der großen Bewegung, in der Gott selbst diese Schöpfung verwandelt. Und gleichzeitig ist diese Liebe nicht abstrakt, sondern wendet sich immer dem konkreten Mitgeschöpf zu, als ginge es nur um diesen Mitmenschen, nur um dieses Wesen, das mit mir Geschöpf ist.

3. Respektvolle Liebe

  • Die zweite - unter vielen - Konsequenz ist: Nächstenliebe lässt den anderen los. Es gibt auch andere Formen der Liebe, und diese sind sehr wertvoll, weil sie Bindungen schaffen.
    • Die begehrende Liebe führt Mann und Frau zusammen, sie schafft die Gemeinschaft einer Beziehung, auch der Ehe und der Familie. Sie führt zu der beglückenden Erfahrung, dass Liebe körperlich ist, mit allen Sinnen bis zur Ekstase. Die begehrende Liebe - griechisch: eros - ist etwas wertvolles, aber sie ist nicht diese Nächstenliebe, von der heute die Rede ist.
    • Ebenso die Freundesliebe - griechisch philia. Sie liebt den anderen um der Gemeinsamkeit willen. In der Freundesliebe sind wir ebenso Gebende wie Empfangende. Es gibt keine Pflicht, jemandes Freund zu sein; in der freuen Wahl liegt die Besonderheit der Freundesliebe. Auch sie ermöglicht es mir, mit anderen Menschen in Gemeinschaft zu leben und Gemeinschaft zu empfangen. Daher ist auch sie nicht diese Nächstenliebe, von der heute die Rede ist.
  • Die Nächstenliebe, die mit der Gottesliebe zusammen geht, ist eine andere. Sie ist keine Wahl und keine Entscheidung zu Partnerschaft oder Freundschaft. Sie ergibt sich aus der Situation, wie bei dem Samariter, dem der vor die Füße fällt, der unter die Räuber gefallen ist. Dort, wo ich 'zufällig' bin, mit dem was meine Kräfte und meine Zeit mir erlaubt, begegne ich einem Menschen mit Respekt und tue das, was mir möglich ist. Das gilt auch und besonders für die Lebenssituationen, in denen Menschen wirtschaftliche oder politische Macht haben. Da ist diese respektvolle Liebe gefragt.
  • Diese Nächstenliebe geht zusammen mit der Liebe und dem absoluten Respekt vor Gott. Weil es Gott ist, den ich in seinen Geschöpfen verehre, wahrt diese Liebe - zumindest der Richtung nach - die Freiheit des anderen. Sie bindet nicht und sucht keine Bindung. Aus Sicht einer ideologisierten Sozialbiologie ist diese Liebe widersinnig. Sie hat keinen Nutzen. Aber sie führt den Menschen hinaus über allen Nutzen, über alles Kalkül von Vorteil und Status, und sieht nur den, der mich jetzt braucht, begrenzt wie ich bin, und doch in der Gegenwart des Ewigen, der größer ist als alles, was er geschaffen hat. Amen.