Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag im Lesejahr A 2017 (Jesaja)

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22. Januar 2017 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Hinweis: Zwei Tage zuvor ist Donald Trump als neuer Präsident der USA eingeführt und verkündet worden.

1. Propheten irren

  • Manchmal liegen auch große Propheten daneben. Dabei meine ich nicht die zahllosen Propheten, die es damals wie heute an den Höfen der Mächtigen gab und die bezahlt wurden, den Willen Gottes, der Götter oder der Sterne zu deuten, möglichst so, dass es dem Herrscher genehm sei. Auch diese Propheten mögen manchmal in ihren Prognosen richtig gelegen haben, manchmal daneben.
  • Ich hingegen meine Propheten, die eine echte Berufung hatten. Propheten, die aus einer Erfahrung der Gegenwart Gottes heraus sprechen und leben. Propheten, die nicht sich in den Mittelpunkt stellen, sondern darum ringen, dass Gott, den sie in ihren Gebeten deutlich als machtvoll erfahren, auch machtvoll zu Wort kommt - auch wenn sie sich damit sehr unbeliebt machen, bei den einen oder bei den anderen. Auch solche "echte" Propheten können daneben liegen. So ist es dem Propheten Jesaja ergangen.
    Jesaja hatte "dem Land Sebulon und dem Land Naftali" verheißen: "Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf." Das war nicht abstrakt daher gesagt, sondern eine konkrete Verheißung für die Nordstämme Israels, die von den Assyrern besetzt waren und daher "das Volk sind, das im Dunkel lebt". Die Geschichte ist kompliziert, aber im Ergebnis muss man sagen: Von Licht kann da nicht die Rede sein. Die Prophetie ist so, wie sie Jesaja wahrscheinlich gemeint hatte, nicht eingetreten.
  • Mein Punkt nun ist: Dieser Text gehört dennoch zur Bibel. Er wurde aufgenommen in die Schriftrolle, die unter dem Namen Jesaja schon im alten Israel, dann auch zur Zeit Jesu und bis heute bei Juden wie Christen in den Gottesdiensten gelesen wird. Es ist für uns heilige Schrift.
    Es ist bei Bibelwissenschaftlern verbreitet zu behaupten, dass Vorhersagen dann in der Bibel stehen, wenn sie bereits in Erfüllung gegangen sind. Das ist ein beliebtes Argument, um Bibeltexte zu datieren. Dieses Argument übersieht aber nicht nur, dass es Prophezeiungen gibt, die in Erfüllung gehen (etwa: Jesus sagt die Zerstörung Jerusalems voraus). Es gibt auch Prophezeiungen, die nicht in Erfüllung gegangen sind und dennoch ein Teil dieses Flusses der Überlieferung geworden sind, die für uns die Bibel sind. Offensichtlich ist die Verheißung auch dann für den Glauben wichtig, wenn sie nicht so in Erfüllung gegangen ist, wie es der Prophet meinte. Denn auch dies kann eine Erfahrung mit Gott sein.

2. Mit Gott Suchende

  • Am Buch Jesaja wurde noch lange weiter geschrieben. Auch nach dem eigentlichen Propheten selbst, der um 700 v Christus gestorben sein dürfte, haben Schüler und Nachfolger Erfahrungen, Prophezeiungen und Reflexionen aus ihrer jeweiligen Zeit angefügt. Man muss das Jesajabuch in der Bibel von vorne bis hinten lesen, um einen Eindruck und ein Gespür davon zu gewinnen. Die Bibel ist nicht ein Buch um zu belegen, dass 'wir' immer schon recht gehabt haben. Auch Menschen, von denen wir heute anerkennen, dass sie als Propheten zu Recht im Namen Gottes gesprochen haben, sind nicht Orakel, die aus göttlicher Eingebung heraus unfehlbar die geschichtliche Zukunft vorhersagen.
  • Die Bibel gibt vielmehr Zeugnis von dem immer neuen Ringen darum, wie in der Gegenwart Gottes Wille erkannt werden kann, was es bedeutet, dass der Bund mit Gott auf Gottes Gerechtigkeit verpflichtet, warum umkehren und neu anfangen immer dazu gehört und wie sich dies einfügt in die Geschichte Gottes mit seinem Volk. Die Bibel ist also ein durch und durch lernendes Buch und gerade darin "Wort des lebendigen Gottes", Wort Gottes, das uns lebendig in unserer Gegenwart anspricht. Die Wörter sind Wörter und Sätze von Menschen. Dennoch kann es "Wort Gottes" werden, dort wo diese alten Schriften in der Gemeinschaft der Glaubenden im Gottesdienst gelesen und verkündet wird.
  • So bereitet sich schon im Alten Testament vor, was zu Jesus hinführt: Gott ist nicht einfach dort gegenwärtig, wo das Volk groß ist und stark, wo das eigene Volk an erster Stelle steht und sich durchsetzt. Sondern Gott wird gerade dort erfahren, wo Menschen sich auf das Unwägbare einlassen, das Scheitern nicht vertuschen, das Risiko eingehen zu kurz zu kommen - und all das in der Verbundenheit mit Gott und seinem Bund. So wie in den Lesungen im Gottesdienst all das vorkommt, darf auch die eigene Erfahrung vor Gott stehen. Entscheidend ist die Treue.

3. Das Evangelium vom Himmelreich

  • Das Matthäus-Evangelium greift die Verse aus dem Buch Jesaja auf, um Jesus besser zu verstehen. Die Formulierung "Denn es sollte sich erfüllen ..." bedeutet nicht, dass das Wort des Jesaja 750 Jahre ohne Bedeutung und Erfüllung gewesen wäre, und jetzt - Überraschung! - auf einmal offenbar würde, was Gott damals gemeint habe. Vielmehr macht Matthäus deutlich: Das worauf unser Glaube beruht, steht in der Kontinuität mit dem Glauben des Volkes Israel und kann von dieser Glaubensgeschichte gedeutet und verstanden werden.
  • Der Sinn scheint mir der zu sein: Jesus weiß sich von Gott zu den Rändern gesandt. Die Hauptstadt Jerusalem hat an dem Täufer Johannes erwiesen, dass sie nicht bereit ist, sich Gott zuzuwenden. Deswegen geht Jesus in "das Gebiet jenseits des Jordan, das heidnische Galiläa"; "das Volk, das im Dunkel lebt" sieht ein Licht und ihm ist das "Himmelreich nahe".
    Jesus nennt das das "Evangelium" (Mt 4,23; 9,35; 11,5). Der Ausdruck heißt wörtlich "Gute Nachricht". Das Wort wurde in der Antike verwendet, wenn der Antritt eines neuen Herrschers verkündet wurde, wenn ein neue König auf dem Thron Platz genommen hat. 'Hört das euangelion', wurde dann gerufen: 'Augustus ist König, Herrscher über das Reich'. Und so mancher König ließ verkünden, dass from now on alles anders werde, denn nun sei er, der Gottgleiche zur Herrschaft gelangt. Von nun an würde alles besser, prahlt so mancher neue Herrscher.
  • Jesus greift dies bewusst auf - und dreht es um. Ja, das neue Reich steht vor der Tür. Aber es ist das Königreich Gottes, das Königreich der Himmel. Ja, es beginnt Neues! Doch das Neue besteht darin, dass Gott von den Rändern her die Barmherzigkeit Gottes lebt und deswegen aufrufen kann: "Kehrt um!" Was das konkret bedeutet, wird sich im Folgenden an Jesus selbst ablesen lassen, wie er sich den Armen, Kranken und Ausgestoßenen zuwendet, wie er in der Bergpredigt ein Leben aus dem Vertrauen in Gott entwirft, wie er ein neues Volk sammelt und wie er sein Leben hingibt, statt an ihm festzuhalten.
    All das hätte sich Jesaja im Traum nicht vorgestellt. Aber Matthäus ist überzeugt: Er hätte es wieder erkannt. Die alte Verheißung erfüllt sich, ganz anders zwar als erwartet, aber gerade deswegen von göttlicher Art. Amen.