Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2016 (Offenbarung)

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10. April 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Perspektiven

  • Wenn zwei von uns durch die selbe Einkaufsstraße gehen, vor den selben Schaufenster stehen und sich die selben Auslagen anschauen, so sehen sie doch nicht das selbe. Der eine sieht Dinge, die er kaufen kann oder es bleiben lässt. Der andere sieht etwas, das er sich nie wird leisten können. Es liegt dort und zeigt ihm: Das ist nicht für dich. Es sind die selben Dinge, die beide sehen, und doch meilenweit verschieden.
  • Wenn zwei von uns die selbe Predigt hören, die selbe Nachricht erfahren oder den selben Film sehen, so sehen sie doch nicht das selbe. Für die einen ist es ein mehr oder weniger interessanter oder anregender Gedanke oder eine entspannte Unterhaltung. Der andere wird an die Gewalt erinnert, die sie oder er erlitten hat. Das Gefühl kommt hoch, wie es ist, erniedrigt oder gedemütigt zu werden. Beide hören den selben Text oder sehen die selben Bilder, und doch ist es etwas vollkommen anderes.
  • Wir Menschen nehmen immer aus der Perspektive unserer Erfahrung wahr. Das lässt sich nicht einfach ausschalten und es ist sehr wichtig, selbstkritisch darum zu wissen. Wir können die Abhängigkeit von der Perspektive der eigenen Erfahrung nicht ausschalten. Wir wollten es noch nicht einmal. Aber als Christen sollten wir zugleich versuchen, dass wir in der Bereitschaft wachsen, immer auch die andere Perspektive dazu einzunehmen: Die Perspektive der anderen, besonders die Perspektive von unten. Denn diese Perspektive hat Gott gewählt, als er Mensch geworden ist.

2. Im Himmel

  • Auf Erden ist die Erfahrung, dass es sehr von der Perspektive abhängt, was wir sehen. Die heutige Lesung aus der Offenbarung des Johannes handelt davon, was wir im Blick auf den Himmel sehen und wie das unseren Blick auf die Erde verändert.
  • Da werden die zentralen Kategorien aufgegriffen, nach denen Menschen gewohnt sind zu beurteilen und zu bewerten. Wer nach diesen Kategorien gut abschneidet, darf sich der Aufmerksamkeit und Sehnsucht sicher sein: "Macht, Reichtum und Weisheit, Kraft und Ehre, Herrlichkeit und Lob". Das ist die Perspektive, unter der man alles sehen kann: Wie sind diese Kategorien zu mehren (vor allem Macht und Reichtum)!
    Die Offenbarung, das Offenbarwerden der Perspektive des Himmelreiches aber zeigt: Den, "der auf dem Thron sitzt", also Gott in seiner Herrlichkeit, und "das Lamm, das geschlachtet wurde", also Christus, der vollkommen auf Gewalt verzichtet hat ("das Lamm") und der sein Leben hingegeben hat für seine Freunde. Das ist das Höchste im Himmel und deswegen für alle, die zum Himmel schauen.
  • Die Offenbarung des Johannes spricht in Bildern. Mir scheint das auch heute der Beste weg, um innerlich zu verstehen, was hier gesagt wird: Da ist eine Szenerie, in der die Menschenmassen begeistert die Straßen säumen. Blitzlichtgewitter, Kameras übertragen life in die ganze Welt, alle machen Selfies um zu belegen, dass sie dabei waren. Da kommt die Limousine herangerollt. Die Begeisterung schwillt an. Durchtrainierte Leibwächter laufen auf beiden Seiten des Wagens. Der fährt vor bis zum roten Teppich, der zum Prachtportal hin ausgerollt ist. Livriertes Personal öffnet die Türen mit den verdunkelten Fenstern und aus dem Wagen steigt: "Das Lamm, das geschlachtet wurde". Und allen, die dabei stehen wird schlagartig klar: Nicht was wir erwartet haben, sondern dieser hier ist aller Aufmerksamkeit wert und würdig.

3. Wandlung

  • Der Perspektiven-Wechsel kommt nicht als moralische Forderung daher. Moralisch gilt nur die Goldene Regel: Was Du nicht willst.... - Der Perspektiven-Wechsel ist vielmehr eine Verheißung. "Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet etwas fangen." Nachdem sich die Jünger nach allen herkömmlichen Regeln der Kunst abgemüht und nichts erreicht hatten, sind sie eingeladen auf Jesus zu sehen und auf ihn zu hören und etwas ganz Neues zu wagen. Der reiche Fischfang steht nicht für eine Steigerung dessen, was immer schon da war, sondern für den überwältigenden Reichtum an dem ganz Anderen.
  • So wie Reichtum und Macht einen Menschen zu verändern vermag, so kann es ganz gewiss der Perspektivenwechsel, weg von der Hochschätzung von Reichtum und Macht . Zu diesem Wechsel werden wir eingeladen und die Offenbarung verheißt jedem: Versuch es, es ist göttlich!
  • Allerdings sollte jeder, der diesen Weg beginnt, damit rechen, dass es einen selbst verändert. Wenn ich begonnen habe, die Welt aus der Perspektive des "Lammes, das geschlachtet wurde" zu sehen, dann kann ich nicht mehr, als wäre nichts gewesen, weiter leben. Jeder der sich auf die echte Begegnung mit Opfern von Armut, Vertreibung und Gewalt eingelassen hat, wird feststellen, dass dadurch Vertrauen, das bislang selbstverständlich schien, erschüttert wird. Es geht nicht mehr, die Welt naiv zu sehen, als sei doch alles irgendwie in Ordnung. Wer einmal wirklich sich auf eine Beziehung eingelassen hat, der erträgt nicht mehr so leicht das billig Dahergesagte, die anzüglichen Witze, die Forderungen nach Pseudolösungen, die ausblenden, wer am Schluss auf der Verliererseite steht. Die alte Naivität geht verloren, wenn wir wirklich die Perspektive des himmlischen Lammes wählen.
    Aber zugleich ist die Einladung zu dieser Perspektive eine Verheißung: Lasse Dich darauf ein, und du wirst die alles durchdringende Barmherzigkeit und Liebe entdecken, die vom Thron Gottes her kommt. Du wirst entdecken, was mehr Freude gibt als es aller Reichtum je kann. Du wirst entdecken, dass sich die österliche Auferstehung an dir selber vollzieht. Amen.