Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2020

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26. April 2020 - Aloisiuskolleg Bonn-Bad Godesberg

1.       Entgrenzte Angst

  • Wir können uns nur ungefähr vorstellen, durch welche Ängste und Erfahrungen diese beiden Jünger gegangen sind, die uns auf dem Weg nach Emmaus begegnen. Durch ihre Nähe zu Jesus waren sie mit ihm in Gefahr. Wir kennen genug andere Beispiele aus der Geschichte, dass mit der Vernichtung des Anführers einer Bewegung auch ein entschlossenes Vorgehen der Mächtigen gegen alle Anhängern einhergeht. Deswegen erscheint es plausibel, wenn wir davon lesen, dass die Jünger nach Karfreitag sich aus Angst gemeinsam in Wohnungen versteckt haben, wo sie hofften nicht gefunden zu werden.
  • Wenn ich beginne, mir das vorzustellen, dann ist ein wesentlicher Teil dieser Angst das Ungefähre, das Unbestimmte der Situation.
    • Anfangs ist es die Angst, dass dies oder das passiert. Dann aber wird deutlich, dass ich nicht weiß, wie lange die Bedrohung dauert. Können wir nach einer Woche wieder raus, dauert es Wochen, Monate oder bis zum Ende meines Lebens, dass wir bedroht werden durch das, was da draußen lauert?
    • Dieser zeitlichen Entgrenzung entspricht eine weiter: Am Anfang war es vielleicht eine einzelne, bestimmte Gruppe, durch die die Bedrohung kam; die Schriftgelehrten und die Hohepriester haben Jesus gesucht und verfolgt und hingerichtet, jetzt sind sie auch hinter uns her. Aber auch hier ist die Erfahrung, dass die Angst wächst, weil die Grenzen verschwimmen, ich nicht mehr weiß ob die Bedrohung eingegrenzt werden kann auf diese oder jene, die uns nach dem Leben trachten, oder ob letztlich alle Einwohner Jerusalems mit ihnen zusammenarbeiten und für uns eine potenzielle Gefahr sind.
  • Im Lukasevangelium ist die Erinnerung an zwei dieser Jünger festgehalten, die aus der eingesperrten Bedrohung ausbrechen und weggehen.
    So ausführlich wie sonst nirgends wird bei diesen beiden geschildert, welchen Weg Gott mit ihnen geht, damit sie die Angst überwinden können und die Gegenwart des Auferstandenen begreifen. Wenn sie am Ende nach Jerusalem zurückkehren, stellen sie sich der Bedrohung. Sie tun es aus dem Vertrauen, dass die Gegenwart des Auferstandenen alles umgreift, was zuvor nur Angst gemacht hatte.

2.       Angst vor dem Nichts

  • Im Umgang mit der Bedrohung durch ein Virus erleben wir momentan Kollektiv die Situation, wie viel Angst es macht, wenn ich nicht weiß wann es vorbei ist.
    Wie in einer Karikatur zusammengefasst finden wir das in den Pressekonferenzen des US-amerikanischen Präsidenten. Immer wieder schildert er großartige, finale Lösungen. Dass sie allzuoft absurd sind ist fast nebensächlich. Denn sie leisten für sein Publikum, dass ihrer Angst eine Grenze gezogen wird. Seht, ruft er, das ist die Lösung; sie kommt bald! Abgesehen davon, dass die Lösung, die er präsentiert, keine ist, verbraucht sich dieses Instrument vermutlich, wenn täglich etwas Neues aufgefahren wird. Aber selbst die Feindbilder, die alternativ aufgefahren werden, haben die Funktion, einer Bedrohung, die keine ‚Grenze‘ hat, eine solche zu geben, damit die Angst nicht existentiell zu einer Angst im Angesichts des Nichts wird.
  • Die Hoffnung beim Rest der Menschheit in den wohlhabenden Ländern ruht darauf, dass ein Impfstoff gefunden werde, der es uns ermöglichen soll, die Pandemie einzugrenzen. Das ist sogar ein einigermaßen realistisches Szenarium. Sonst könnten wir mit der Angst, die die Bedrohung in uns auslöst, vermutlich nicht umgehen. 
  • Dabei könnten wir bei Millionen Menschen weltweit lernen, was es bedeutet, keine Perspektive zu haben. Millionen Menschen kennen für ihr ganzes Leben die Erfahrung, dass sie nur Tag für Tag versuchen etwas zu essen bekommen, die Verheißung von Freiheit und Sicherheit hingegen für sie  nicht gilt. Sie wird ihnen in Telenovelas oder von Bollywood eine Perspektive vorgespielt, aber die Verheißung gilt ihnen nicht.

3.       Er geht mit ihnen

  • Das ist der Kontext, in dem wir uns fragen sollten, worin die Verheißung des Auferstandenen liegt.
    Das Lukasevangelium schildert ihn als einen, der geduldig mit den beiden mitgeht. Er fragt nach ihrer Angst. Er hört ihnen zu. Dann, behutsam, erinnert er sie an die Quellen, die sie kennen und erschließt ihnen den Sinn der Hl. Schriften des Alten Testaments. Er erinnert sie daran, dass dort das Leid nicht ignoriert und die Bedrohung nicht kleingeredet wird. Unmerklich führt er sie dabei auf den Pfad, ihn zu erkennen, ihn den vom Kreuzestod Auferstandenen. Er überwältigt sie nicht. Sie müssen der Unruhe ihres Herzens trauen und ihn drängen, bei ihnen zu bleiben – bis ihnen dann beim Brotbrechen, dem heiligen Mahl, die Augen aufgehen.
  • Es wird nicht alles gut. Von Kleopas, dem Emmausjünger, berichtet die Tradition ebenso wie von den meisten aus der Gruppe in Jerusalem, zu der sie zurückkehren, dass sie später als Märtyrer sterben werden. Doch offenbar hat der Glaube bewirkt, dass die Angst, dieser tödliche, konturlose Nebel, nicht mehr ihr Leben bestimmt hat. Sie sind auf Menschen zugegangen. Sie haben neu vertraut. Sie haben einander gestärkt.
  • Ich will mir und uns nicht die Hoffnung nehmen, dass die Pandemie irgendwann beherrschbar wird, wenn ein Impfstoff – eine Frage der Zeit, sagen sie uns! – gefunden werden wird. Doch ich will uns an die Weisheit der Tagelöhner weltweit erinnern, gegen deren ausweglose Armut bislang kein Impfstoff gefunden wurde. Sie dürfen kaum hoffen, dass am Horizont Gerechtigkeit aufscheint.
    Doch sie sind zumeist Menschen, die weniger von Angst regiert werden und sich weniger abschotten, als manche von denen, die solche Angst nie kannten. Die Armen sind meist die gastfreundlicheren. Die Angst ist nicht das Entscheidende; entscheidend ist vielmehr, ob wir auf dem weg Gott drängen, mit uns zu gehen. Entscheidend ist, dass wir einander die Botschaft verkünden, die Gott uns offenbart: „Der Herr ist wirklich auferstanden!“. Amen.