Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 3. Adventssonntag Lesejahr C 2012 (Lukas)

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16. Dezember 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Voll Erwartung

  • "Das Volk war voll Erwartung, und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei." Wörtlich heißt es: "Das Volk überlegte im Herzen". Damit ist nicht ein bloßes Gefühl gemeint. Das Herz steht in der Bibel für die Mitte des Menschen, unser Wollen und Streben. Aus dieser Mitte heraus ist das Volk Israel, das zu Johannes dem Täufer an den Jordan kommt, voll Erwartung und Hoffnung, ob dieser nicht vielleicht der Heilsbringer und Retter sei. [Durch die gemeinsame Erwartung wird die "Menge" (ochlos), von der in den Versen 7 und 10 gesprochen wird, zum "Volk" (laós); Lukas ist im Unterschied zu unserer Übersetzung sehr genau in der Wortwahl.]
  • Die Hoffnung scheint dem menschlichen Herzen eingeschrieben. Es macht uns Menschen aus, dass wir immer einen 'Überschuss' mit uns tragen, und sei es nur in der Weise der Erwartung, dass doch eigentlich mehr möglich sei: mehr zu tun, mehr zu leisten, mehr zu erreichen, mehr zu haben. Diese Hoffnung ist eine wesentliche Energiequelle für uns; wem sie verloren geht, hat etwas von sich selbst verloren.
  • Diese Hoffnung über das Derzeitige und das Bestehende hinaus ist ebenso Antriebsfeder wie Grund für potentielle Enttäuschung. Die Werbeindustrie weiß genau um diese Antriebsfeder und nutzt sie. Politiker wissen zumindest instinktiv darum, können sich aber nie sicher sein, ob sie dies für sich nutzen können oder ob sie diese Erwartungshaltung fürchten sollen. Zunächst aber ist die Hoffnung, dass mehr möglich ist, als das was immer schon war, für den einzelnen Menschen wichtig - und für eine Gemeinschaft, für das Volk Gottes, für Israel in Zeiten der Bedrängnis zumal.

2. Erwartungen begegnen

  • In dieser Situation tritt Johannes auf. Dem Lukasevangelium ist daran gelegen, die Teile aus der Verkündigung des Täufers herauszustellen, in denen Johannes dem Volk deutlich macht, dass es in aller Nüchternheit selbst etwas tun kann. Ihr könnt besser!, scheint er den Menschen zu sagen, besser als einander zu übervorteilen, besser als eine Gesellschaft, in der jeder nur an sich selber denkt. Umkehr des Herzens, so könnte man die Verkündigung des Johannes zusammenfassen, ist möglich, jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür, und die Taufe im Jordan ist ein Zeichen für den Neuanfang. Es braucht solche Rufer, es braucht solche Gelegenheiten, es braucht solche Zeichen des Neuanfangs, damit wir Menschen das Potential der Hoffnung in uns selbst umsetzen.
  • Es bleibt aber nicht bei der Ermahnung. Die Hoffnung Israel richtet sich auf ein Eingreifen Gottes in die Geschichte. Gott selbst wird einen Menschen dazu auserwählen, befähigen, als Prophet und König salben (Das meint das Wort "Messias", zu deutsch "Gesalbter", auf Griechisch "Christos").
    "Das Volk überlegte im Herzen ob nicht vielleicht Johannes der Messias sei". Und auch Johannes selbst könnte sich ganz ernsthaft diese Frage gestellt haben, ob Gott ihn nicht genau dazu auserwählt habe. [Auf jeden Fall dürfte es parallel zur frühen Kirche eine Bewegung gegeben haben, die sich auf den Täufer als eine Art Messias bezogen hat.]
  • Die Verkündigung des Johannes hatte Zulauf. Er hatte Erfolg. Das Evangelium tadelt "das Volk" nicht dafür, dass es die Hoffnung hat, Johannes könne der Messias sein. Auch Johannes selbst braucht seinen 'Erfolg' nicht zu verstecken. Warum sollte dieser Erfolg nicht von Gott gewollt und von Gott gewirkt sein? Gott hat dem Menschen den Überschuss an Hoffnung in's Herz gelegt. Gott hat durch die Propheten verheißen, dass er die Hoffnung der Menschen auf Fülle und Vollendung erfüllt. In dieser Linie der Erfüllung kann und darf sich Johannes sehen, wie jeder Mensch, der aus dem Glauben heraus etwas Positives bewirkt in dieser Welt.
    Und dennoch weist Johannes an dieser entscheidenden Stelle die Erwartung zurück: "Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren." Man ist versucht zu hören: Ich koche auch nur mit Wasser! Auf jeden Fall macht Johannes deutlich, dass er gegenüber Gott, dem Starken Israels, nicht einmal des Sklavendienstes würdig wäre, ihm die "Schuhe aufzuschnüren".

3. Dynamik der Hoffnung

  • Johannes der Täufer ist ein adventlicher Mensch, ein Mensch der Ankunft Gottes. Er ist nicht passiv, wartend, sondern aktiv, andere in die Ankunft Gottes einbeziehend. Aber er stellt sich nicht an die Stelle Gottes. Er nimmt die Erwartungen der Menschen positiv an und öffnet sie zugleich für den Größeren, der kommt.
  • Damit nimmt er die Hoffnung der Menschen ernst. Der Advent verweist nicht zynisch auf das Ende der Welt, wenn Gott schon alles irgendwie gut macht. Jetzt ist für uns die Zeit aufzubrechen, für uns selbst, für andere, denen wir Mut machen, und für uns als Kirche und Volk Gottes.
  • Zugleich aber müssen wir nicht Gott spielen. Gott, der Schöpfer, hat uns die Dynamik der Hoffnung in unser Herz gegeben, damit wird unsere Möglichkeiten und das Potential dieser Welt ausschöpfen. Die Richtung dieser Dynamik ist ein Mehr an Glaube, Hoffnung und Liebe. Ihr Ziel ist Gott selbst. Amen.