Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 3. Adventssonntag Lesejahr B 1993 (Joh)

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12. Dezember 1993 - Pfarrei Mützenich

1. Fraglich

  • Bei diesem Evangelium fällt sofort auf: Es ist mehrfach von einem "Zeugen" und einem "Zeugnis" die Rede. Zeugen braucht es nur dort, wo über etwas verhandelt wird und wo es letztlich um Urteile geht. Daher stellt sich die Frage: Wer sitzt hier über wen zu Gericht? Das Evangelium gibt uns die Auskunft am Beispiel eines Menschen: Der Täufer Johannes bezeugt den Messias gegenüber den Fragen der Abgesandten der weltlichen Autorität.
  • Fragen werden gestellt, wenn etwas fraglich ist. Wenn Sie/wir nicht über unseren Glauben befragt werden, dann bedeutet dies, dass unser Glaube anderen nicht fraglich ist. Das kann drei Ursachen haben: Entweder es wird nicht gefragt, weil der Glaube selbstverständlich ist, oder weil die Frage unanständig ist, oder es ist schlichtweg uninteressant nach dem christlichen Glauben zu fragen.
  • Dass es "selbstverständlich" ist, kann und wird der Grund nicht sein, weswegen wir nicht nach unserem Glauben gefragt werden. Wer will behaupten, das Religion und Christentum hierzulande heute selbstverständlich seien?
    Tatsächlich gibt es viele Dinge, die heute nicht (mehr) selbstverständlich sind. Das führt in manchen Lebensbereichen dazu, dass Menschen sich überlastet fühlen, überall Entscheidungen treffen zu sollen. Um sich davor zu bewahren, die vielen Unselbstverständlichkeiten klären zu müssen, macht man sie zu Tabus. So kommt es, dass manche Themen als unanständig gelten, um Streit zu vermeiden. In manchen Kreisen zum Beispiel ist Politik unanständig; in Beziehungen vermeiden wir peinlich, Konflikte anzusprechen, weil wir Angst davor haben, sie nicht bewältigen zu können - häufig mit dem Erfolg dass sie sich wie Säuren weiterfressen. Wenn man wissen will, welche Themen als Tabu gelten, muss man sich die Titel der zuschauerheischenden Talkshows anschauen. Sexuelle Perversionen werden schon lange zum Frühstücksfernsehen serviert. Wenn es aber ganz peinlich werden soll, dann wird nach dem eigenen Glauben gefragt, zumal wenn er sich als kirchlich bekennt.

2. Nur Privates interessiert nicht

  • Außerhalb der tabubrechenden Talkshow aber wird geschwiegen. "Der Glaube geht niemanden etwas an, man spricht nicht darüber." Selbst einem Pfarrer (als öffentlichen Vertreter der Kirche) geht es manchmal nicht anders, obwohl er nicht nur von Berufs wegen, sondern auch mit seiner Lebensform auf den Glauben verweist (oder verweisen sollte). Vielleicht aber ist seine Lebensform doch nicht so anstößig, wie die des Täufers Johannes, bei dem die Menschen sich überwinden, zu ihm hinausgehen und fragen: Woher erwartest Du, für Deine Person, das Heil?
  • Nach unserem Glauben wird hingegen uns nicht nur deswegen niemand fragen, weil er anstößig ist. So wird es denn häufig so sein, dass niemand uns nach unserem Glauben fragt, weil es nicht interessiert. Man sieht keinen Grund, danach zu fragen. Es wird kaum wahrgenommen, was am christlichen Glauben interessant sein könnte. Niemand interessiert sich dafür, was der andere "persönlich" glaubt.
  • Ich habe den starken Verdacht, dass dies damit zusammenhängt, dass wir die öffentliche Seite des Glaubens professionalisiert und institutionalisiert, gleichsam ausgelagert haben. Der persönliche Glaube wurde entsprechend privat. Die Fraglichkeit konzentriert sich auf die Institution und auch da wird sie noch einmal weit nach oben geschoben. Je weiter oben, desto mehr darf man wieder fragen - oder schimpfen. Die naheliegende Konsequenz ist, die Institution und die Hauptamtlichen, die da oben eben und das ganze Bodenpersonal, abzuschaffen. Der Erfolg wäre, dass die Nachfrage nach dem Glauben endgültig verstummt; er ist ganz privat, ganz uninteressant geworden. Und das zu recht. Denn die Blässe des persönlichen Glaubens hängt damit zusammen, dass er zu sehr nur auf mich selbst, auf den einzelnen bezogen ist. Glaube wird ganz nach "privaten" Kriterien definiert. Was er mir nützt, um mein Leben zu stabilisieren, mir "Sinn" zu geben usw.

3. Verweis auf den Größeren

  • Johannes der Täufer ist nicht nur auffälliger. Sein Glaube ist auch anders. Wir müssen wieder zu der Öffentlichkeit finden, für die Johannes der Täufer steht: Von uns weg auf den Größeren zeigen. Die Freiheit, die das Christentum als Skandal in dieser Welt verkünden kann, ist die Freiheit, sich nicht aus sich selbst bestimmen zu wollen, weil wir ausgerichtet sind auf den anderen, den ganz anderen, der größer ist als wir und dem gegenüber Johannes sich nicht wert fühlte, ihm die Schuhe aufzuschnüren.
  • Das sollte die Feier des Gottesdienstes ausdrücken und das Zentrum der Kirche bleiben. Nicht Selbstbesinnungsfeier, sondern Verweis auf den Größeren. Und diesem Gottesdienst muss eine Lebenspraxis entsprechen, die nicht mitschwimmt im Fluss der ortsüblichen Vorteilsnahme auf Kosten anderer, der Vorurteile, Lästereien, Aburteilungen, Habe-Sucht usw.
  • Der Garant, dass dies nicht im Nichts endet ist eben der Größere, Gott, an den wir uns damit binden. Am Ende des Johannesevangelium, im Abendmahlssaal, wird von Gott die Antwort auf das Zeugnis des Täufers gegeben. Der Täufer fühlte sich nicht würdig, Jesus den Sklavendienst des Schuhe-Öffnens zu leisten. Dieser Jesus aber gürtet sich, um seinen Freunden eigenhändig die Füße zu waschen: Die niedrigste aller Arbeiten. Und er begründet dies damit, dass wir Gemeinschaft haben sollen mit ihm und in ihm mit Gott.
    Wir öffnen für die Kommunion die Hand und lassen an uns geschehen, dass Gott sich leibhaftig in unsere Hand gibt. Gott lässt sich diesen Liebesdienst nicht nehmen. Das ist Ermutigung zu einem Glauben, der nicht mit sich selbst beschäftigt ist, sondern sich ganz in die Hand Gottes gibt. Und dieser Gott, der größer ist als unsere Welt, ist eben auch interessant genug, um die Frage zu provozieren: Wer bist Du und woran glaubst Du? "Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren."
    Amen.