Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 29. Sonntag im Lesejahr B 2009 (Markus)

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18. Oktober 2009 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Macht missbraucht

  • "Bei euch aber soll es nicht so sein..." Während Jesus gegenüber denen, die gemeinhin als mächtig gelten, völlig illusionslos ist, scheint er für seine Kirche etwas anderes für möglich zu halten. Diese Vision wäre so atemberaubend, dass es lohnt, ihr nachzuspüren.
  • Wie kann es anders sein, als dass Macht missbraucht wird? Es spricht erst einmal jede Erfahrung dagegen. Wo Menschen anderen Menschen Macht zusprechen, gelten diese als mächtig. Ausdrücklich spricht Jesus nicht von Menschen, die mächtig 'sind', sondern vom Schein der Macht. Es sieht nur so aus als hätte die Machtausübung ihren Ursprung in diesen Herrschern. Und die, die als Herrscher gelten unterdrücken ihre Völker und die Großen missbrauchen ihre Macht.(1)
  • Demokratien lösen das Problem pragmatisch. Einerseits wird proklamiert: 'Alle Gewalt geht vom Volke aus'. Andererseits wird Herrschaft beschränkt, indem sie nur auf Abruf verliehen wird und durch Gewaltenteilung dem unvermeidlichem Missbrauch durch einzelne und Gruppen andere entgegengesetzt werden. Das ist das beste System, das ich kenne, dort wo es um Politik in einer pluralistischen Gesellschaft geht. Aber an die Wurzel kann diese Lösung jedoch nicht gehen.

2. Christus Gestalt geben

  • Unsere Berufung als Christen ist es, die Vision Jesu aufzugreifen, dass in einer christlichen Kirche ein anderes Verhältnis zur Macht möglich ist. Die Quelle dieser Vision ist nicht einfach die Erfahrung aus unserer Vergangenheit, denn als Christen sind wir Menschen in der Welt. Wir sind getauft und unterwegs, Christus-Menschen und Leib Christi zu werden. Aber vieles von dem, wie wir sind und was wir tun ist noch nicht von Christus verwandelt. Daher müssen wir in jedem Blick auf die Erfahrung der Kirche kritisch sein: unterscheiden, was aus Christus kommt und was nicht. Der Maßstab dafür liegt klar vor uns: Es ist Christus selbst und sein Evangelium.
  • Einen wichtigen Hinweis gibt uns das Evangelium vom vergangenen Sonntag. Dort sagt Jesus zu Petrus und den anderen Jüngern, die ihm nachfolgen: "Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen: Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten". Wer genau hinschaut merkt: In der Verwandlung der alten zu den neuen Strukturen empfangen wir einerseits die Fülle, andererseits fehlt eines: der Vater. Dieser steht in der antiken Gesellschaft für die Herrschaft. Da bleibt für die Jünger eine Lücke. Wir erhalten in der Nachfolge keinen Ersatz für die irdischen Väter, denn nur einer ist unser Vater, der im Himmel.
  • Wir haben keinen väterlichen Herrscher auf Erden. Die Versuchung, den Papst oder den Pfarrer dafür einzusetzen mag groß sein. Das widerspricht dem Evangelium aber ebenso, wie wenn sich Papst oder Pfarrer selbst zum irdischen Ersatzvater machen wollen. Was wir haben ist nur ein Vater im Himmel, der eben nicht 'zur Verfügung' steht. Was wir jedoch auf Erden haben, ist Christus. Kirche zu sein bedeutet, Leib Christi zu sein: nicht Verein, Verband oder Körperschaft, sondern Leib Christi. Durch ihn beten wir zum Vater, mit ihm sind wir unterwegs, in ihm sind wir eine Gemeinschaft. Eine Alternative zu allen anderen Gemeinschaftsformen können wir nur sein, wenn unsere Weise Gemeinschaft zu sein dem Leib Christi unter den Menschen Gestalt gibt.

3. Gottes Dienst

  • "Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele." Das ist der Schlüssel. Die Vision von einer Macht, die andere nicht missbraucht, ist die, dass Christus in einer Gemeinschaft des Hörens, des Dienens und der Danksagung Gestalt gewinnt.
  • Das erste ist das Hören. Wir können den Missbrauch von Macht in unserer Mitte nur überwinden, wenn wir beginnen, gemeinsam auf das zu hören, was der Geist Gottes uns sagt. Das bedeutet, dass wir beginnen müssen, (zunächst) im gemeinsamen Hören der Heiligen Schrift (dann) einander zuzuhören. Denn Gott wirkt und spricht in jedem, der sich seinem Wort öffnet. Deswegen reicht die Predigt nicht, die das Evangelium auslegt. Wir müssen in unserer Gemeinde Gelegenheiten finden, auf einander und die verschieden Erfahrungen des Glaubens zu hören. Da stehen wir noch ganz am Anfang.
  • Das zweite ist das Dienen. Aus dem Hören kommt die Motivation und die Kraft, nicht nur einander, sondern vor allem auch denen in Not, die uns in unserem Alltag begegnen, zu dienen. Das tun viele, vielleicht alle von uns schon auf die eine oder andere Weise. Aber wir wissen es nicht von einander und können dem daher keine Gestalt geben. Es ist der Vereinzelte der den Dienst der Nächstenliebe leistet. Deswegen überlastet das auch immer wieder Christen. Christus gibt sein Leben, aber für die Gemeinschaft der "Vielen". Erst wenn wir das stärker erfahren, dass wir eine Gemeinschaft des Dienens sind, können wir auch zu den Grenzen unserer Kräfte stehen.
  • Das dritte ist die Danksagung, die Eucharistie. Durch diese Feier bekommt es eine sichtbare Gestalt, was im Alltag geschieht: Dass wir Leib Christi sind, weil wir den Leib Christi empfangen. Dass wir nicht aus eigener Kraft handeln, sondern aus einer Kraft, die wir empfangen. Deswegen richtet sich das Gebet in der Mitte der Eucharistie, das Hochgebet, an den Vater. Allein durch Christus, mit ihm und in ihm sind wir unterwegs, nicht wieder eine neue Variante irdischer Herrschaft aufzubauen, sondern den Beginn dessen, was die Vision Christi ist: "Bei euch soll es nicht so sein...". Es kann auch wirklich anders sein, wenn wir allein Gott, unserem Vater im Himmel das Reich, die Macht und die Herrlichkeit zusprechen. Amen.

 


Anmerkung

 

(1) Herrschaft und Macht gebrauche ich hier synonym. Der griechische Text würde eine Differenzierung erfordern: "dokountes archein" sind die zum Schein Herrschenden, die "megaloi" hingegen sind wörtlich nicht die "Mächtigen", wie die Einheitsübersetzung schreibt, sondern die "Großen", die ihre "exousia" misbrauchen. Dem korrespondiert das später "....wer unter euch groß sein will..."