Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 29. Sonntag im Lesejahr A 2014 (1. Thessalonicher)

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19. Oktober 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Drei Tugenden

  • "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!" Nicht immer ist es wie bei der Münze, die man Jesus zeigt. Da ist gleich aufgeprägt, auf wessen Finanzsystem man sich eingelassen hat und wem man Steuer schuldig ist.
    An dem Beispiel aber wird deutlich, dass Jesus auffordert hinzusehen und zu unterscheiden, was in der jeweiligen Frage und Situation zu tun ist. Er hält keine Regel für alle Situationen bereit. Vielmehr will er Menschen in eine Beziehung zu Gott führen, die es ihnen ermöglicht, begründet und offen zu entscheiden.
  • Die Haltung, die aus dieser Beziehung zu Gott rührt, bringt Paulus immer wieder auf die Formel "Glaube, Hoffnung, Liebe". Das sind die drei Tugenden, die wachsen, wenn wir mehr in Beziehung zu Gott leben. Tugend aber bedeutet: Eine innere Haltung, die in dem Maße wächst, in dem ich daraus handle. Nicht nur eine einzelne Handlung ist dann vom Glauben geprägt, sondern der Mensch, der so handelt.
  • Heute haben wir die ersten Zeilen aus dem ältesten erhaltenen Text der Christenheit gehört, aus dem Brief des Apostels Paulus an die Christen in Thessaloniki. Die Wissenschaft geht zwar davon aus, dass schon Sammlungen über Zitate und Taten von Jesus im Umlauf waren; sie finden sich später in den Evangelien. Aber der Erste Thessalonicher-Brief ist wohl keine 20 Jahre nach Ostern geschrieben und wurde im Gottesdienst der Gemeinde vorgelesen.
    Paulus beginnt mit einem Dank an Gott für das, was er in dieser Gemeinde erlebt und von dort gehört hat. Er hat bei seiner Verkündigung in Thessaloniki so viel Offenheit und Bereitschaft angetroffen, dass für ihn kein Zweifel besteht, dass diese Menschen von Gott erwählt und berufen sind. Und im Besonderen erwähnt Paulus die Haltung, die aus dieser Offenheit gewachsen ist: Glaube, Liebe und Hoffnung.

2. Anstrengung für den Glauben

  • Jeder der drei Tugenden setzt Paulus ein Wort voraus, das sie qualifiziert: "Werk eures Glaubens, Opferbereitschaft eurer Liebe und Standhaftigkeit eurer Hoffnung". Was hier mit "Opferbereitschaft der Liebe" übersetzt ist, heißt zunächst einfach "Mühe der Liebe" und auch mit "Standhaftigkeit der Hoffnung" hat unsere Übersetzung ein wenig über das Ziel hinaus geschossen, denn wörtlich ist es erst einmal die "Ausdauer der Hoffnung".
  • Am spannendsten scheint mir aber das erste, das "Werk des Glaubens". Wenn es später in anderen Paulusbriefen um die Frage gehen wird, welche Bedeutungen die Werke in Erfüllung des mosaischen Gesetzes haben, dann wird Paulus Glaube und Werke in strikten Gegensatz zu einander sehen. Aber darum geht es hier in Thessaloniki nicht.
    "Werk des Glaubens" kann das "Werk" meinen, also die Frucht, die aus dem Glauben kommt. Aber das griechische Original lässt sich genauso gut übersetzen mit "Werk für den Glauben", also die Anstrengung, die einer unternimmt, um zu glauben. "Anstrengung des Glauben" das passt dann auch nahtlos zur "Mühe der Liebe" und zur "Ausdauer der Hoffnung".
  • Wie kann es sein, dass man sich für den Glauben anstrengt? Entweder ich glaube oder ich glaube nicht, sollte man denken. Und außerdem: Ist der Glaube nicht freies, übernatürliches Geschenk der Gnade Gottes?
    Ja, der Glaube ist ein Geschenk. Aber nicht wie ein Implantat, das mir die Gnade Gottes unter die Schläfenlappen operiert und - plopp - dann bin ich ein Glaubender. Vielmehr gibt Gott sowohl die Kraft wie die Hilfe, die ich brauche bei der "Anstrengung des Glauben".

3. Gnade des Glauben, der Liebe und der Hoffnung

  • Glauben ist Anstrengung. Was Glauben bedeutet, zeigt das Wortfeld des deutschen "trauen"an. Nicht zufällig spricht die Bibel im Verhältnis Gottes zu seinem Volk immer wieder von der Hochzeit, der Trauung. Denn im Glauben geht es um das Zutrauen zu Gott und das Vertrauen in ihn. Wer das Vertrauen je versucht hat, wird wissen, welche Anstrengung es kostet, sich darauf einzulassen. Da müssen oft Ängste überwunden werden. Manchmal kommen die verborgenen Ängste und die unsichtbaren Fesseln überhaupt erst zum Vorschein, wenn ich mich auf den Weg des Vertrauens begebe.
  • So ist auch die "Mühe der Liebe" für viele nicht erst die Opferbereitschaft, wenn sie Liebe weiter geben wollen, sondern viel mehr, dass es unendlich schwerfällt, Liebe zu empfangen und dabei einen Anderen mir nahe kommen zu lassen. Und ebenfalls wundert es kaum, dass Paulus von der "Ausdauer der Hoffnung" spricht, denn was wir sehen ist das Kreuz, worauf wir hoffen, ist die Auferstehung. Je mehr wir den Weg der "Anstrengung des Glaubens" gehen, desto mehr vielleicht braucht es diese Ausdauer, weil in der Nähe Gottes das Kreuz nicht verschwindet, sondern überhaupt erst sichtbar und spürbar wird, um überwunden werden zu können.
  • Daher braucht auch keiner Sorge zu haben, die Rede von der "Anstrengung des Glaubens" stünde im Widerspruch dazu, dass der Glaube doch reines Geschenk der Gnade Gottes ist. Denn nie ist mir das so deutlich, als wenn ich tatsächlich in den Glauben geführt werde. Das ist ein Geschenk: Nicht nur hat Gott mir die wunderbaren Menschen geschenkt, die mir helfen ihm zu vertrauen und auf einen zu setzen, der der Gekreuzigte ist. Auch die Kraft, die es kostet, die alten Sicherheiten loszulassen und die damit verbundenen Ängste zu überwinden, sind reine Gnade, Geschenk eines Gottes, der mich unendlich liebt. Kein Wunder, dass Paulus Gott aus ganzem Herzen dankt, wenn er solchen Glauben, solche Liebe und solche Hoffnung wachsen sieht. Amen.