Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 29. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Matthäus)

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16. Oktober 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Den Kaisern zu Diensten

  • "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört," Mit seiner Antwort entlarvt Jesus die Abgesandten der religiösen Elite, die ihn auf's Glatteis führen wollten. Sie selbst haben die Münzen des verhassten römischen Kaisers in der Tasche gehabt - und hatten doch gedacht, Jesus eine verfängliche Frage gestellt zu haben: Entweder müsste er es sich mit dem Volk verderben oder er würde sich eine Anklage wegen Aufruf zum Steuerboykott zuziehen. Mit geradezu jesuitischem Geschick entzieht sich Jesus dieser Falle.
  • Uns bleibt die Antwort Jesu als Frage. Ist die Scheidelinie so einfach zu ziehen: Das eine gehört dem Kaiser und ist sein Zuständigkeitsbereich; das andere gehört Gott und ist Gott zu geben? Lange Zeit war es vor allem in der evangelischen Theologie so interpretiert worden, dass der äußere Bereich "dem Kaiser" gehört, und wir in unserer Innerlichkeit uns Gott anvertrauen und von ihm leiten lassen sollen. Spätestens seit der Nazidiktatur ist diese scheinbar glatte Lösung vom Tisch. Das Extrem der Diktatur macht deutlich, dass es hier gar keine glatte Lösung gibt, hie Gott - da Kaiser, sondern dass ein Konfliktfeld vermessen wird. Dieser Konflikt wird uns Zeit unseres Lebens begleiten.
  • Keiner von uns kommt darum herum, ein Geldstück in die Hand zu nehmen. Die Euromünzen und -scheine zeigen keine Portraits mehr, sondern abstrakte Muster und Symbole. Das gibt die Realität gut wieder. Mit jedem Geld, das durch unsere Hand geht, dienen wir einem "Kaiser", der nicht so recht fassbar und doch allgegenwärtig ist. Nicht nur beim Geld, sondern bei vielem, was wir tun, haben wir längst den Überblick verloren, welchen Kaisern wir dabei im einzelnen dienen, welche Systeme wir stützen, in welchen Zusammenhängen wir ein kleines Rädchen sind, das mitläuft und funktioniert, ohne das je selbst entschieden zu haben.

2. Es gibt nur einen Gott

  • Die Antwort Jesu hat zwei Hälften. "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!" Wer das als dogmatischen Satz liest, wird dazu verführt, sein Leben zweizuteilen. Jesus selbst habe doch gesagt, dass ein Teil Gott, ein Teil dem Kaiser gehöre. In dem Augenblick aber, indem ich das so klar sage, merke ich, dass das so nicht stimmen kann. Schüler und Jünger Jesu zu sein bedeutet eben nicht, Sätze zu lernen und als Wahrheiten vor mir herzutragen.
  • Ich merke, dass Jesus Fragen auslöst. Die Pharisäer hat er durch seine Antwort in ihrer eigenen Verlogenheit entlarvt. Das bedeutet aber nicht, dass wir unbeteiligt daneben stehen könnten. Die Antwort Jesu ist geeignet auch bei mir Lebensgewissheiten zu untergraben. Genauer noch: Die Antwort Jesu legt offen, wie brüchig mein Weltbild ist, wenn ich aufteile zwischen dem, was Gott gehört, und dem, über das die Kaiser dieser Welt regieren. Unmittelbar ruft der Satz aus der ersten Lesung dazwischen: "...damit man vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang erkennt, dass es außer mir keinen Gott gibt". Alle anderen Mächte, Strukturen und Abhängigkeiten stehen in der Gefahr, sich selbst zu Gott zu machen. Das Bild des Kaisers auf der Steuermünze in der Hand der Pharisäer legt bloß, wie weit sie schon an den Kaiser verkauft sind.
  • Ähnlich trägt - symbolisch gesprochen - jeder von uns solche Münzen mit sich rum, denen aufgedruckt ist, welchen Mächten und Gewalten wir zu dienen haben. Wir kommen dem auf die Spur, was das für jeden jeweils ist, wenn wir achtsam sind gegenüber unseren Gefühlen und Gedanken. Da finde ich die Signale, wo ich darauf bedacht bin, Tribut und Steuer zu bezahlen. Manchen dieser 'Kaiser' unterwerfen wir uns freiwillig, weil wir dazu gehören wollen; anderen sind wir unterworfen, weil wir nicht einfach aussteigen können aus dieser Welt und ihren Macht- und Wirtschaftsstrukturen.

3. Entweltlichung statt Weltflucht

  • In seiner Rede in Freiburg am 25. September hat Papst Benedikt ein Wort verwendet, das aufhorchen lässt. Er fordert von der Kirche "Entweltlichung".* Dabei fügt er, um Missverständnisse zu vermeiden, sogleich an: "Das heißt natürlich nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern das Gegenteil." Nicht weniger als die Mitte unseres Glaubens ist dabei berührt. Wir glauben, dass Gott selbst die Gestalt des Menschen in dieser Welt angenommen hat und in Christus Mensch geworden ist. Gott hat unsere Welt angenommen, "nicht nur, um die Welt in ihrer Weltlichkeit zu bestätigen und ihr Gefährte zu sein, der sie so lässt, wie sie ist, sondern um sie zu verwandeln."
  • Der Papst hat damit den heiklen Punkt der Struktur der deutschen Kirche angesprochen und sich implizit kritisch zu dem deutschen System der Kirchensteuer geäußert, die bei allzu vielen den Eindruck erweckt, die Kirche sei trotz Säkularisierung immer noch ein Teil des Staates. Damit nimmt er Argumente auf, die auf der evangelischen Seite die Freikirchen motiviert hat, aus den Landeskirchen auszusteigen, deren Pastoren bis 1918 in Deutschland Staatsbeamte waren. Dass der Papst die Kirchensteuer nicht explizit nennt, macht aber deutlich, dass es nicht nur um Kirchensteuer geht. Vielmehr ist es in allen Bereichen des Lebens die eigentliche Aufgabe von uns allen, die Welt anzunehmen und von Christus her zu verwandeln.
  • [Eine Bemerkung zur ersten Lesung in Klammern: Dass Jesaja den persischen König Kyrus zum Knecht und Werkzeug Gottes erklärt, ist eigentlich etwas Unerhörtes. Denn die Motive des Kyrus, den Wiederaufbau Jerusalems zu ermöglichen, waren sicher keine frommen. Gott aber hat sich dieses Königs bedient, um sein Volk zu sammeln. Ganz analog findet sich in der Freiburger Rede des Papstes ein Abschnitt, der ebenso unerhört ist. Der Papst lobt die Säkularisation vor zweihundert Jahren. Damit widerspricht er der katholischen Position, die die Enteignung der Kirche durch die Fürsten als tiefes Unrecht gebrandmarkt hatte. Was dem Jesaja sein Kyrus, ist Benedikt sein Napoleon. Der französische Kaiser (und die anderen Herrscher) hatten ganz andere Motive. Aber Gott hat sie zu seinem Werkzeug gemacht, die Kirche in die Verstrickung weltlicher Herrschaft zu befreien.]
  • Die Spannung zwischen dem, was Gott gehört, und dem, was dem Kaiser zusteht, wird uns bis an das Ende der Zeiten erhalten bleiben, weil wir uns als Christen nicht aus der Welt zurückziehen wollen und dürfen. Es braucht Christen mitten in der Welt und ihren Strukturen. Gerade deswegen braucht es aber auch den ungeteilten Gottesdienst, der deutlich macht, dass wir in allem Gott gehören, nach dessen Bild wir geschaffen sind. Die Münze in unserer Hand mag ein Teil der Strukturen dieser Welt sein; es ist jedoch an uns, davon nicht gefangen zu sein, sondern sie durch die Liebe Gottes in unserem Alltag verwandeln zu lassen. Amen.