Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 29. Sonntag im Lesejahr A 2005 (Jesaja)

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16. Oktober 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Charisma

  • Das Wort "Charisma" bezeichnet in der Soziologie und im Glauben fast das Gegenteil. Die Bedeutung im Glauben leitet sich ab vom griechischen Wort: Gabe, Gnadengabe. Wie Paulus schreibt: jede und jeder hat von Gott eine Gabe erhalten, die zum Aufbau der Kirche beiträgt; ein Geschenk Gottes, uns zum Auftrag. In der Soziologie hingegen kann man sich auf die göttliche Herkunft des Charismas nicht einlassen. Da wird Charisma vielmehr gemessen an der Wirkung. Charisma sei dort, wo Gefolgsleute dem Führer dieses zubilligen und ihm folgen.(1)
  • Der Alltagsgebrauch des Wortes bewegt sich zwischen beiden. Es ist bewusst, dass einer Charisma hat und es schwingt mit, dass er es bekommen hat, vielleicht gar von Geburt. Aber das, was interessiert ist die Wirkung. Die Medien sind auf der Suche nach Politikern, Schauspielern oder Wirtschaftsführern mit Charisma. Gerade dadurch bauen sie es aber erst richtig auf: mit welchem Stolz schauen die Parteigänger des charismatischen Führers auf den so Herausgehobenen; wie bedenklich wiegen sich die Häupter im Parteivorstand, wenn der Kandidatin in der Presse mangelndes Charisma bescheinigt wird.
  • Als Christen sollten wir uns entscheiden, ob wir uns davon beeindrucken lassen. Ehre, wem Ehre gebührt. Aber unser Blick sollte doch tiefer gehen. Unsere Fähigkeiten und Gaben sind Geschenk. Gott hat sie uns mit auf den Weg gegeben und will uns helfen, unsere Talente zu entfalten. Das alles "für den Aufbau des Leibes Christi", der Kirche (Eph 4,12). Wenn das Charisma, das die Presse einem Papst zuschreibt, dazu dient, soll es uns recht sein. Die Ehre aber gebührt Gott.

2. Ehre

  • Die Ehre Gottes ist das Thema der Lesungen des heutigen Sonntags. Auch der Psalm, den wir als Zwischengesang beten, singt das Lob der Ehre Gottes: "Alle Götter der Heiden sind nichtig, der Herr aber hat den Himmel geschaffen". Wer aus dem Glauben lebt, lässt sich nicht blenden von den Lobreden, mit denen die Medien jemanden heute auf den Schild erheben, um ihn morgen fallen zu lassen. "Alle Götter der Völker sind nichtig, der Herr aber hat den Himmel geschaffen. Bringt dar dem Herrn, ihr Völker, Lob und Ehre!"
  • König Kyrus ist dafür ein schönes Beispiel. Was der Prophet Jesaja schreibt ist deftig. Dem großen, machtbewussten König der Perser bescheingt er, dass Gott - der Gott des fremden kleinen Volkes aus Palästina - es war, der ihm die Feder führt. Nicht des Königs Machtvollkommenheit, nein, Gottes Werk ist es, Jerusalem wieder aufzubauen. Und, nebenbei bemerkt, dürfte es auch für das Volk Gottes nicht leicht zu schlucken gewesen sein, dass Gott zu fremden Königen spricht und nicht exklusiv zu seinem Volk.
  • Gott zu ehren bedeutet den Menschen zu befreien. "Allein Gott in der Höh´ sei Ehr", ist nämlich keine Missachtung der Leistung des Menschen. Vielmehr geht der Blick tiefer. Er sieht den Schöpfer und Erhalter der Welt, der in uns und durch uns Menschen wirken will, um sein Reich zu bauen. Sein Wille geschehe. Wenn wir dies zur größeren Ehre Gottes tun, dann bekennen wir, dass jedem Menschen Charisma, Talent und Gabe geschenkt wird als Aufgabe: Gott in Werken der Liebe zu dienen.

3. Spannungsfeld

  • Wir stecken mitten drin. Wir sind Teil und haben Teil an einer Kultur, die Menschen verehrt und zu Stars und Führern erhebt. Ganz ohne das kommt eine menschliche Gesellschaft auf Erden auch nicht aus. Wir müssen uns daher unseren Weg suchen. Kein Wunder also, dass das zentrale Zitat aus dem heutigen Evangelium für diese Frage immer wieder Referenzpunkt war: "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!"
  • Was aber gehört dem Kaiser, was Gott? Die Abgesandten der Pharisäer und des Herodes - zwei ganz verschiedene Parteien! - haben sich zusammengetan, um Jesus in seinen eigenenWorten zu fangen. Verböte er die Steuerzahlung, hätte Jesus die Staatsgewalt provoziert, empföhle er sie, hätte er beim Volk verscherzt. Jesus aber ist durch die Schule der Versuchungen in der Wüste gegangen. Er "erkannte ihre böse Absicht". Er entlarvt sie mit der Steuermünze, die sie wie selbstverständlich in der Tasche tragen.
  • Der markante Satz eignet also nicht zur Entscheidung der Grundsatzfrage. "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!", dient zur Entlarvung der Heuchler. Und doch dürfen wir darin auch die Frage finden, die wir uns immer wieder stellen müssen: wem wir die Ehre erweisen. Denn wenn dem Kaiser gehört, was er rechtmäßig als Steuer einfordert und mit der Münze bezahlt wird, die sein Antlitz trägt, was gehört dann Gott? Nach dem Bekenntnis der Bibel ist jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen, trägt jede und jeder Gottes Antlitz. Deswegen leben wir zur größeren Ehre Gottes, die sichtbar wird im Dienst an den Menschen, jedes Menschen, nicht nur des Kaisers und charismatischer Führungsgestalten. Amen.

 


Anmerkung

1 "„Charisma" soll eine als außeralltäglich (...) geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit (...) nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als „Führer" gewertet wird. Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus „objektiv" richtig zu bewerten sein würde, ist natürlich dabei begrifflich völlig gleichgültig: darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den „Anhängern", bewertet wird, kommt es an." Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Fünfte revidierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann. Tübingen (J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)) 1980, 140.