Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 25. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Jakobusbrief)

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24. September 2000 - St. Michael, Göttingen

1. Woher kommen Krieg und Streitigkeiten

  • "Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten?" Die Frage steht in der Mitte der Lesung aus dem Jakobusbrief. Wir wissen nicht genau, an wen dieser Brief gerichtet war. Die Probleme in den Gemeinden, die Jakobus vor Augen hat, sind aber deutlich.
    "Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten?" Die Frage trifft ins Mark. Nicht nur Streitigkeiten gibt es in diesen Gemeinden, sondern Kriege! Christen, die ein Zeugnis für die Liebe Gottes abgeben sollten, eine Gemeinde, die sich im Glauben stärken sollte, ist in Streitigkeiten zerrissen, liegt miteinander im Krieg. Die Kirche ist gespalten, die Gemeinde entzweit, die Familien uneins. "Ihr streitet und führt Krieg!" muss der Brief den Gemeinden vorhalten.
  • Möglicherweise kommt uns die Sprache etwas übertrieben vor. Aber sie legt erbarmungslos offen, dass mitten durch die Christenheit Spaltung geht, und im Laufe der Jahrhunderte hat diese Spaltung viel realer und blutiger zu Krieg geführt, als sich dies Jakobus je hat vorstellen können. Vielleicht aber hat er mit seiner Analyse der Ursachen der Spaltung dennoch ins Schwarze getroffen und kann der Brief daher für uns heute ein wichtiges Hilfsmittel werden, um Streit und Krieg zu überwinden. Denn auch im Blick auf uns Heutige, unsere Familien, die Gemeinschaften in denen wir zusammen leben, unsere geistliche Gemeinschaften, unsere Pfarrgemeinden, unsere Kirche - ganz zu schweigen von der einen Christenheit, gespalten in Kirchen und Gemeinschaften - wir liegen zu oft in unseligem Streit.
  • Es gibt sinnvollen Streit im Ringen um die Erkenntnis Gottes, das rechte Verständnis des Evangeliums und den Aufbau der Kirche. Friede um des Frieden willens kann nicht das Rezept sein. Deutlich wird dies daran, dass es einen Schein-Frieden gibt, bei dem die Gerechtigkeit unter die Räder gerät. Der unselige Streit aber rührt nicht aus dem äußeren Anlass, aus dem zu streiten gilt, sondern aus dem Innern derer, die den Streit ausfechten.
    Jakobus benennt die Weisheit, um die zu ringen nicht zu Krieg führt, sondern zu Gerechtigkeit. "Die Weisheit von oben ist erstens heilig". Heiligkeit aber ist für den Menschen, dass Gott der Maßstab ist, sonst nichts. Die Weisheit von oben dient nicht zur Befestigung der Herrschaft von Menschen, weder im Staat noch in der Kirche. Die Weisheit von oben stellt die Menschen unter die Herrschaft des heiligen Gottes. Diese Weisheit ist "sodann friedlich, freundlich, gehorsam, und voll Erbarmen". Wo Christen zusammen sind, da sollte von vorne herein ein Stil im Umgang untereinander herrschen, der im anderen letztlich Christus sieht und Christus Respekt erweist. Die Weisheit ist "ist unparteiisch, sie heuchelt nicht". Das macht noch einmal deutlich, dass es nicht um irgendeinen Frieden und irgendeine Freundlichkeit geht, sondern um jene Offenheit und jenen Willen zur Wahrheit, wo nicht ich selbst mit meinen Interessen und meiner Strategie im Vordergrund stehe, sondern der Glaube und die Gerechtigkeit. Letztlich wird die Weisheit von Gott immer daran erkennbar bleiben, dass sie "reich an guten Früchten" ist. Daran ist alles zu messen.

2. Eifer und Ehrgeiz

  • Jakobus stellt dieser Weisheit von oben die "irdische, eigennützige", ja "teuflische Weisheit" gegenüber. Wenn wir wissen wollen, woher der Krieg kommt, den wir unter Christen gegeneinander führen, finden wir hier die Antwort. Das teuflische, diabolische an dieser Weisheit ist, dass sie Frommes im Munde führt und uneingestanden etwas ganz anderes will. Der Hauptteil des Jakobusbriefes macht deutlich, dass es Leute gab, die unter Verfälschung der Lehre des Hl. Paulus sich auf den Standpunkt stellten, dass nur die richtige Glaubensaussage allein entscheidend sei. Jede Frage nach den Früchten dieses Glaubens wird von diesen Leuten als unzulässig abgelehnt. Allein der Glaube - die Werke zählen nicht. Aber gerade wenn der Glaube nicht zu Gott führt, sondern zur eigennützigen Sicherung der Herrschaft der Glaubenswächter, ist er diabolisch. Gerade wenn der Glaube meint, rein "geistig" und letztlich theoretisch bleiben zu können, wenn die Werke der Gerechtigkeit zur Nebensache erklärt werden, geht es um irdische Interessen und nicht um Gott.
  • Jakobus schreibt: "Wo nämlich Eifersucht und Ehrgeiz herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art." Eifersucht und Ehrgeiz. Der Satz hat es in sich. Was hier mit Eifersucht übersetzt ist, heißt im Griechischen eigentlich nur "Eifer". Das Wort (zélos) kann sowohl positive wie negative Bedeutung haben. Eifer kann gut sein und schlecht. Ja, das Fehlen von Eifer ist vielleicht immer die schlechtere Variante. Aber Eifer allein ist es eben nicht. Die Richtung entscheidet mit. Deswegen sagt Jakobus "Eifer und Ehrgeiz".
    Das zweite Wort (eritheía) ist aber noch schwerer zu übersetzen, weil es nirgendwo in der Bibel durch den Zusammenhang erklärt wird. Wir kennen es nur aus einigen Aufzählungen von schlechten Eigenschaften, ohne nähere Erklärung. Daher wird es in den verschieden Bibelausgaben ganz verschieden übersetzt: Luther übersetzte mit Zank, andere versuchten Ehrsucht und Streit als passenden Ausdruck. Ehrgeiz, Zank, Ehrsucht in Verbindung mit Eifer sind tödlich.
    Es gibt aber einen Beleg für dieses Wort außerhalb der Bibel: bei Aristoteles. Auch da ist die Übersetzung nicht leicht. Manche übersetzen mit Parteienbuhlerei, andere mit Amtserschleichung. Aristoteles aber erklärt das Wort mit dem Beispiel einer Regierung, die nur dadurch an die Macht kam, weil sie die Stimmen von Wahlmännern gekauft hat.
    Klarer, finde ich, kann man es nicht beschreiben. Wie gut passt das Bild eines Menschen, der voll Eifer ist, dem dann aber jedes Mittel recht ist, um sich durchzusetzen. Bis dahin, dass er andere schmiert um an sein Ziel zu kommen.
  • Woher kommen die Kriege und unseligen Streitigkeiten? Weil wir den Eifer, mit dem wir uns für die "gute Sache" einsetzen, bereits für die Legitimation halten, uns über die Liebe und die Gerechtigkeit hinwegzusetzen. Wer die rechte Gesinnung hat, meint, er könne Spenden von jedermann annehmen, könne jedes Mittel zum Machterhalt einsetzen, weil die Gesetze für ihn nicht gelten. Wer für sich den rechten Glauben in Anspruch nimmt, meint, er könne sich über die Gemeinde, die Kirche, die anderen hinwegsetzen.
    Man spürt die Verlegenheit der Übersetzer, ein rechtes Wort zu finden für die Haltung, in der der Eifer für den Glauben zur Versuchung wird für den, der sich im Recht weiß - und sich dadurch ins Unrecht setzt, weil er sich selbst in den Mittelpunkt rückt und mit allen Bandagen kämpft.

3. Nähe Gottes

  • Der unselige Streit auch in der Kirche gründet darin, dass eine unsichtbare Linie überschritten wird. Die Linie, die den Eifer für Gott ersetzt durch das eifrige Bauen an der eigenen Machtposition. Das fängt mit Notlüge an und führt zu Meineid und Korruption. Der rechte Glaube meint sich durchsetzen zu müssen indem sich der Rechtgläubige an die Stelle Gottes setzt.
  • Jakobus spricht die bittere Wahrheit aus: Dadurch erreicht man nichts und zerstört alles. "Ihr mordet und seid eifersüchtig und könnt dennoch nichts erreichen. Ihr streitet und führt Krieg. Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet." Nicht bitten können, sondern herrschen wollen! Nichts von Gott zu erwarten - der ist doch so fern! - und daher selbst sich zum Retter der Familie, zum Retter der Gemeinde, zum Retter der Kirche, zum Retter des Abendlandes erklären - und dadurch alles zu verlieren, was Gott uns geschenkt hat und schenken will. Die Gottesferne, die der eifrige Streiter zu bekämpfen vorgibt, wird nur noch vertieft, weil er alles nur noch von sich und nichts mehr von Gott erwartet.
  • Von Gott etwas erwarten und Gott um etwas bitten können wir aber nur, wenn wir von Gottes Gegenwart durchdrungen sind und wir die Bitte des Vater Unser zum Zentrum unseres Bittens machen: "Dein Reich komme!" Jakobus schreibt uns: "Ihr bittet und empfangt doch nichts, weil ihr in böser Absicht bittet, um es in eurer Leidenschaft zu verschwenden." Nicht der Eifer ist das Problem, sondern dass wir unter der Hand uns selbst zum Ziel erklärt haben. Das ist die Wurzel des unseligen Streites in der Kirche. Überwunden kann er nur werden, wenn wir unermüdlich von uns selbst weg auf Gott schauen. Noch einmal den Rat des Jakobus: "Sucht die Nähe Gottes; dann wird er sich euch nähern." Amen.